Avenches – Aventicum –Wiflisburg:
eine besondere Römerstadt nördlich der Alpen
Christoph Pfister
Aventicum, desertam quidem civitatem, sed non ignobilem quondam, ut aedificia semiruta nunc quoque demonstrant.
Aventicum, eine jetzt verödete Stadt, die aber einstmals berühmt war, wie deren halbzerstörte Bauwerke noch heute zeigen.
Ammianus Marcellinus,
Res Gestae 15, 11, 12
(Uebersetzung: CP)
Aventicum: die Römerstadt ohne Fortsetzung
Letztes Jahr hat der Autor in dem Artikel "Zur langen Baugeschichte des Mittelalters" Pfister, 1999) gewisse Ungereimtheiten der antiken und vor allem mittelalterlichen Baugeschichte vorgestellt. Die Absicht war, unter Absehung der Ereignisgeschichte und ihren Datierungen, aufgrund einer Betrachtung von architektonischen und stilgeschichtlichen Merkmalen, die Unhaltbarkeit der offiziellen Chronologie der letzten zweitausend Jahre aufzuzeigen und zu versuchen, aufgrund der Befunde die Epochen zeitlich neu zu verorten. Im besonderen plädierte der Verfasser den Beginn der klassisch-römischen Baukultur auf allerfrühestens vor knapp tausend Jahren anzusetzen und ihr eine Dauer von rund hundert Jahren einzuräumen.
Unter dem Titel "Aventicum oder Römerstädte ohne Fortsetzung" (Pfister, 1999. 153 ff.) widmete der Autor auch eine Betrachtung dem römischen Avenches – Aventicum, jener grossen Römerstadt in der Westschweiz in der Nähe der Juraseen (Murten-, Neuenburger-, Bielersee). Aventicum nämlich ist für baugeschichtliche Ueberlegungen besonders interessant, da das römische Avenches – in der Broye-Ebene gelegen – verlassen und vollständig zerstört wurde und das nachfolgende mittelalterliche Städtchen Avenches auf einem Hügel neben dem alten Ort zu liegen kam.
Avenches – Aventicum in der Westschweiz (vgl. Abb. 1) war die bedeutendste und grösste Römerstadt auf Schweizerboden. Das belegt allein schon die fünfeinhalb Kilometer lange Wehrmauer, welche jener Ort besass und die auch grosse Teile unbebauten Gebietes umschloss. – Die Stadt besass einen imposanten Haupttempel, von welchem noch eine Säule aufrechtsteht – die einzige stehende Säule in der Schweiz, welche aus der Antike erhalten ist. Ferner finden sich neben mehreren weiteren Tempeln ein grosses Amphitheater, ein Theater, Thermen und weitere öffentliche Gebäude. Vor den Toren der Stadt wurde eine grosse Nekropole und viele bedeutende Grabmäler entdeckt.
Die Stadt wird als Gründung der flavischen Kaiser hingestellt und soll bei dem sagenhaften Alamannensturm "um 260 AD" zerstört worden sein. Rätselhafterweise hätte Aventicum "bis ins 5. Jahrhundert AD" eine schattenhafte Existenz weitergeführt.
Da stellt sich die Frage, weshalb die "Römerstadt" verlassen wurde, weshalb der zentrale Platz an anderer Stelle eine Fortsetzung fand. – Man hat den Eindruck, dass die glanzvolle antike Stadt irgendwie verloren im Kontext her historischen Landschaft steht.
Der Autor hat die Tatsache, dass Aventicum trotz seiner baulichen Vorzüge verlassen wurde und keine Fortsetzung fand, dialektisch erklärt, also dass "die römische Baukultur überall da, wo sie sich festsetzte, verlassen, zerstört und geplündert wurde. Sie hatte offenbar ein grundsätzlich fremdartiges und arrogantes Wesen in sich und musste so letztlich gegen die autochthonen und angepassten Strukturen unterliegen" (Pfister, 1999, 156).
Beiläufig soll hier angefügt werden, dass es in der Schweiz einen ähnlichen Fall gibt mit der Römerstadt Augusta Raurica östlich von Basel. Auch dort kann man sich fragen, weshalb dieser Ort zerstört wurde und weshalb das heutige Basel an anderer Stelle steht.
Neue Erkenntnisse über Aventicum
Schon in dem erwähnten Artikel hat der Autor auf Fakten hingewiesen, welche die Archäologie in jüngster Zeit über das römische Aventicum geliefert hat. Diese Erkenntnisse liegen nun gedruckt vor und zeigen, dass auch die offizielle Wissenschaft sich den oben skizzierten Schlussfolgerungen annähert.
Bisher wurde von einem absoluten Gegensatz zwischen Kelten und Römern ausgegangen. Das hatte zur Folge, dass die Siedlungen dieser beiden Kulturen immer strikt zeitlich und örtlich getrennt wurden. Die Römerstadt Aventicum in der Ebene also wurde als Neugründung in der Nähe eines alten keltischen Oppidums angesehen. Und dieses keltische Ort wurde bisher beharrlich auf dem Bois de Châtel genannten Hügel gesucht, 1,5 km südlich des heutigen Städtchens Avenches und 1 km südlich der ehemaligen römischen Stadtmauer. Auf dem erwähnten Berg wurden 1998 zwei Mauerschenkel eines – vielleicht unvollendeten – römischen Kastells neu vermessen, aber sonst keine Spuren eines Oppidums gefunden (Chronique, 229 ff.).
Der Autor hat dagegen plädiert, das keltische Oppidum in unmittelbarer Nähe der Römerstadt, nämlich auf dem heutigen Stadthügel, zu lokalisieren (Pfister, 1999, 155). Als Beweis dafür kann man erstens den Umstand anführen, dass diese Erhebung vollständig im Perimeter der über 5,5 km langen, rundlichen römischen Stadtmauer liegt. Dann ist die Lage des römischen Amphitheaters bedeutsam: Dieses liegt – wie in Römerstädten üblich – am Rande der bebauten Fläche und hier in Avenches auch am Rande des mittelalterlichen Stadthügels. Die Theater-Ellipse verbindet also im Plan von Aventicum gleich einem Kettenglied den mutmasslichen keltischen und den römischen zentralen Ort. Der Bois de Châtel als Stelle des Oppidums ist widerlegt.
In den neuesten Fundberichten der Gesellschaft Pro Aventico wird nun ebenfalls erwogen, das keltische Aventicum auf dem Stadthügel zu suchen: Der Bois de Châtel und vor allem das grosse Oppidum auf dem Wistenlacher Berg (Mont Vully) (vgl. Pfister, 1998; 247, 249) scheinen zu weit von Aventicum weg zu sein, der Stadthügel von Avenches bietet sich förmlich an (Abb.)
Zudem haben neueste Ausgrabungen beim römischen Theater, die in derselben Fundschicht unter anderem die Fundamente zweiter gallorömischer Umgangstempel und einer keltisch gehaltenen Graburne zu Tage gefördert haben, von neuem die Frage nach der Chronologie der Kulturfolgen aufgeworfen (Bulletin de l’Association Pro Aventico 40, 1998, 209 – 232). Die offizielle Erklärung versucht, die Graburne in die La Tène-Zeit, die Tempel in die klassisch-römische Zeit, "um 150 n.Chr.", zu setzen. Aber die Evidenz aus den Funden ist doch wohl, dass man von einer ungefähren Gleichzeitigkeit der beiden Kulturen ausgehen muss.
Der Ortsname Aventicum
Unterdessen hat eine fortgesetzte Beschäftigung des Verfassers mit dem Problem Aventicum verblüffende neue Einsichten gebracht, sowohl was die zeitliche Verortung der Römerstadt wie auch deren Ursprung und Ende betrifft.
In der Baugeschichte hat der Autor sein Augenmerk auf die antiken Spolien gerichtet, welche in mittelalterlichen Bauwerken zu finden sind. Es hat sich gezeigt, dass man diese Fingerzeige nicht allgemein betrachten kann, sondern diese in einzelnen Regionen und an einzelnen Bauwerken untersuchen muss.
Das römische Aventicum wurde ausgiebig als Steinbruch benutzt. Als besondere mittelalterliche Bauten in der Umgebung des antiken Platzes sind die Abteikirche von Payerne und das ehemalige Kloster Münchenwiler bei Murten zu erwähnen, in denen Spolien aus Aventicum verbaut wurden. – Vom stilistischen Aussehen her möchte der Verfasser diese Monumente – trotz teilweise anderen kunstwissenschaftlichen Datierungen – der späten Romanik zuweisen und sieht deren Entstehung nicht vor dem 14. Jahrhundert als plausibel. Weil man aber nicht annehmen kann, dass antike Bautrümmer während Jahrhunderten ungenutzt herumliegen, so fordert die Evidenz, die Antike und das späte Mittelalter zeitlich zusammenzuschieben.
Als noch verblüffender erwiesen sich die Einsichten aus einer Analyse des Ortsnamens. Der Name AVENTICVM leitet sich ab von der lokalen Stadtgöttin DEA AVENTIA, die auch inschriftlich mehrfach bezeugt ist (Bögli, 80, 89). Dahinter steht das ligurische Wasserwort ava. Der heutige französische Name Avenches kommt davon.
Neben Aventicum Helvetiorum ist durch eine Inschrift auch noch die pompöse Bezeichnung Colonia Pia Flavia Constans Emerita Helvetiorum Foederata überliefert. – Allerdings wurde dieser Stein zu Beginn des 16. Jahrhunderts gefunden, was den Ursprung verdächtig macht.
Aus der Zeit der alten Eidgenossenschaft, also vom Spätmittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, sind eine ganze Anzahl deutscher Umformungen von französischen Ortsnamen der Westschweiz überliefert, z.B. Moudon – Milden, Yverdon – Iferten, Nyon – Neuss. Diese Namensformen sind noch bekannt, werden aber auch im Volksmund nicht mehr gebraucht.
Auch Avenches hatte, seit dem 15. Jahrhundert bezeugt, einen deutschen Namen: WI(F)LISBURG. Dieser aber ist nicht – wie die meisten anderen deutschen Namen – eine Umformung, sondern ein eigener Name und damit etymologisch hochinteressant.
Wiflisburg lag im Wiflisburger Gau, zu welchem unter anderem auch Freiburg im Uechtland gehörte. Der Gau galt als Territorium der antiken Helvetier, der keltischen Bewohner der Schweiz, besonders die Westschweiz. Die Inschriften aus Aventicum nennen denn die römische Koloniestadt auch CIVITAS HELVETIORVM.
Was aber mit dem merkwürdigen Wiflisburg? Evident ist, dass kein Zusammenhang mit Aventicum besteht, auch nicht mit einem sonstigen Ortsnamen in der näheren Umgebung.
Die bisherige Ortsnamenforschung hat natürlich Wiflisburg registriert, ohne jedoch eine plausible Erklärung liefern zu können. Sowohl Otto Marti (Marti, 562) wie Peter Glatthard (Glatthard, 193) versuchten sich erfolglos an einer Deutung des Namens.
Ende 1999 hat sich denn der Autor an den Ortsnamen Wiflisburg herangemacht und innerhalb eines Tages das Rätsel gelöst. Grundlagen für die Erklärung von Wiflisburg waren für ihn die Methoden der etymologischen Entschlüsselung, wie sie auch Fomenko in seinem Werk beschrieben hat (Fomenko, 1994). Also dass man Wörter entvokalisieren, Silben vertauschen, von rechts nach links lesen und anschliessend revokalisieren muss, um zu einem Verständnis des Ursprungs zu kommen. Auch die Tatsache, dass hinter gewissen Namensformen ein bewusst verschleierter Klartext steht, hilft oft weiter.
Nach dieser Methode ist der Name Wiflisburg wie folgt zu deuten:
Der Ortsname ist zweiteilig: Wiflis-Burg, wobei der rätselhafte und damit interessante Teil der erste ist: WIFLIS; entvokalisiert ergibt das VFLS.
Der Autor stellte eine erste Annahme auf, die sich nachträglich als richtig erwies, nämlich dass das Wort eine Vorsilbe enthält, die abgetrennt werden kann, also dass die Konsonantenkombination V/FLS auszudrücken ist. Der erste zu knackende Bestandteil muss also VLS sein.
Bei VLS meinte der Schreiber schon am Anfang, dass der Anfangkskonsonant V/F für einen ursprünglichen Verschlusslaut B/P steht – was sich nachträglich ebenfalls als richtig herausstellte. Die Behauptung lässt sich auch urkundlich stützen: Die erste Erwähnung des Namens Wiflisburg ist in der Berner Stadtchronik von Konrad Justinger als "Wibelspurg" (Justinger, 69; vgl. auch Pfister, 2000, 139 ff.). Also lautete die ursprüngliche Konsonantenfolge PLS.
Dieses PLS nun ist ein Klarname und lautet revokalisiert POLIS, also der griechische Name für Stadt, Gemeinwesen.
Da blieb noch die Vorsilbe V/F. Hier hielt der Verfasser nach langem Ueberlegen dafür, dass der Konsonant - vermutlich durch die Verschleifung des nachfolgenden – umgewandelt worden ist. Als ursprünglicher Mitlaut bot sich M/N an. N-POLIS aber ist leicht zu durchschauen, dahinter steht zweifellos NEAPOLIS (ΝΕΑΠΟΛΙΣ), also griechisch für Neustadt. Eine sensationelle Erkenntnis: Die Römerstadt Aventicum hatte ursprünglich oder auch einen griechischen Namen! Die abgegangene Bezeichnis Wiflisburg konserviert eine verschollene antike Bezeichnung!
Aventicum - Neapolis im kulturgeschichtlichen Kontext
Die Entdeckung eines griechischen Namens für die angeblich kaiserlich- flavische und lateinische Koloniestadt Aventicum in der heutigen Westschweiz erschüttert sowohl die traditionelle Zeitstellung der Kulturabfolgen und noch mehr die behauptete Geschichte des erwähnten antiken Ortes.
Bei einer Betrachtung der historisch-topographischen Verhältnisse von Avenches fällt sofort auf, dass die Bezeichnung Neapolis aufs beste die urbanistische Situation in antiker Zeit ausdrückt: Von dem keltischen Oppidum auf dem Stadthügel von Avenches aus gesehen, erscheint der an ihrem Fusse in der Ebene der Broye angelegte weitläufige römische Zentralort tatsächlich als eine Neustadt. – Und auch die Dialektik der Schicksale dieser beiden Städte wird dadurch einsichtig: Die (römische) Neustadt ist verschwunden, die (keltisch-mittelalterliche) Altstadt hingegen ist geblieben.
Des weiteren ist seit langem offenkundig, dass das was man gemeinhin als römische Baukultur bezeichnet, im Grunde als griechisch oder griechisch-etruskisch zu bezeichnen ist, vor allem was den Ursprung betrifft. Als erster Stützpunkt des Griechentums in Westeuropa gilt Massilia – Marseille und das untere Rhonetal, die Provence. Von hier aus verbreitete sich die neue Kultur nach verschiedenen Seiten, zuerst aber ins obere Rhonegebiet, in welchem auch die Westschweiz mit Avenches liegt. Aventicum – Neapolis ist als wichtige Etappe im Rahmen der griechisch-etruskisch-römischen Eroberung Galliens zu sehen und belegt unzweifelhaft das Herkunftsgebiet der kulturellen Durchdringung. – Aventicum – Neapolis wäre übrigens nicht der einzige Polis-Ortsnamen im Rhonegebiet: Da gibt es noch Grenoble, das antike Gratianopolis.
Allgemein wird die ursprüngliche griechische Prägung der jüngeren Eisenzeit und der gallorömischen Epoche schlecht verstanden. Das rührt daher, dass die Belege dafür sehr dürftig sind. Und dürftig sind sie deswegen, weil die nachfolgende lateinisch-römische Zeit, aber vielleicht auch die Grosse Aktion des Spätmittelalters (hierzu: Topper, 1998), die meisten Zeugnisse ausgelöscht hat.
Interessant für die Zeitstellung ist, dass die offizielle Archäologie den griechischen Einfluss am deutlichsten in der älteren Eisenzeit erkennt, in der jüngeren Eisenzeit schon weniger und in der gallorömischen Zeit nur noch in Ansätzen. Hier scheint zum ersten eine massive Ueberdehnung der Dauer der verschiedenen Epochen durch; zum zweiten auch, dass man auf ein striktes Hintereinander hält und ein teilweises Ueberschneiden der Zeiten ausschliesst. Doch aus neuer Sicht muss man eine Synthese postulieren, welche eine ältere, griechisch-römische von einer jüngeren römisch-lateinischen Baukultur unterscheidet.
Die archäologische Evidenz spricht selbst dafür. In der Umgebung von Aventicum in älterer und neuerer Zeit freigelegte Mosaiken in römischen Villen, wie bei Cournillens/Cormérod und Vallon (Kanton Freiburg), zeigen ausschliesslich Szenen aus der griechischen Mythologie, ebenso Fragmente von Mosaiken und Wandmalereien aus der Römerstadt selbst (vgl. Abb. 2).
Vor einigen Jahren hat der Autor Zeitschrift seine neuen Erkenntnisse über die gallorömische Engehalbinsel nördlich von Bern, das dortige Oppidum, den Vicus und die Arena dargestellt und neuinterpretiert (Pfister 1997/98). Er wies dabei auch auf den alten Namen Brenodurum (BRENODOR) hin. Dieser Ortsname konnte erschlossen werden aus der Inschrift auf einem Zinktäfelchen, das 1984 auf der Engehalbinsel gefunden, aber erst seit 1990 richtig gedeutet wurde (vgl. Fellmann, 1999). Auf dem Votivtäfelchen sind vier Worte in keltischer Sprache eingeritzt, die aber mit einem – teilweise fehlerhaften – griechischen Alphabet geschrieben sind.
Ebenfalls soll auf das berühmte Korisios-Schwert hingewiesen werden, das schon vor längerer Zeit in der Zihl bei Port nahe Biel gefunden wurde: die künstlich verkrümmte Klinge der Waffe trägt als Stempel den griechisch geschriebenen Namen Korisios (ΚΟΡΙΣΙΟΣ). - Der Fund wird in die jüngere Eisenzeit verortet, nach den berühmten Funden westlich in dem gleichen Fluss bei La Tène am Neuenburgersee.
Das spärliche Fundmaterial für eine griechische Präsenz nördlich der Alpen wird durch die Erschliessung des Namens Neapolis für Aventicum schlagartig aufgewertet und gefestigt.
Man kann heute mit guten Gründen annehmen, dass das westgriechische Reich im Westen zuerst naturgemäss griechisch geprägt war und sich erst nachher in bewusster Distanzierung zum Ostreich eine eigene Sprache – eben das Latein – zugelegt hatte und dabei bestrebt war, die griechischen Ursprünge zu tilgen.
Wiflisburg und Kadesch Barnea
Die Entschlüsselung von Neapolis aus Wiflisburg führte ähnlich einer Kettenreaktion zur Enträtselung eines weiteren Ortsnamens.
Im Grunde seit langem bekannt, aber von der Theologie offenbar nicht weiter problematisiert und laut verkündet, ist die Tatsache, dass die Geographie des Alten Testamentes – wie auch diejenige des Neuen Testamentes – nicht in Palästina, sondern in Europa, besonders in Westeuropa, beheimatet ist. Bereits Friedrich Delitzsch hat 1920 nachgewiesen, dass die Schreiber der Bücher Moses und Josua keine Ahnung von der Landschaft des behaupteten Heiligen Landes hatten, was sich in einer unmöglichen jüdischen Wanderungs- und Eroberungsgeschichte in Palästina niederschlug (Delitzsch 1920). Fomenko präzisiert den Transfer, indem er mutmasst, dass dies während der "Kreuzzüge" stattgefunden habe (Fomenko, II, 241). – Wobei hier der Autor noch anmerken möchte, dass man sich die "Kreuzzüge" anders vorstellen und später ansetzen muss als von der offiziellen Geschichte behauptet.
Ein erstes und bisher offenbar einziges Mal hat bereits der russische Forscher Nikolai Morozov zu Anfang des Jahrhunderts in seinem umfangreichen, leider bisher nur russisch verfügbarem Werk "Christ", dieses Thema ausführlich behandelt. Der Autor konnte anhand der von Morozov gedeuteten biblischen Namen, deren Erschliessung er aus eigener Initiative heute fortsetzt, ersehen, dass es sich dabei hauptsächlich um Ortsnamen aus Mittel- und Norditalien, der Provence, dem Languedoc und dem Rhonegebiet bis in die Westschweiz handelte. – Schon allein diese geographische Konzentration ist bedeutungsvoll.
Im besonderen versuchte Morozov auch den besonders im fünften Buch Moses mehrere Male genannten Ort Kadesch Barnea (ענרב שדק) zu deuten: nach der Bibel am Nordrand des Sinai im Lande Edom lokalisiert, nach dem russischen Forscher aber im Rhonegebiet zu suchen, vielleicht mit Genf identisch (Fomenko, I, 109).
Morozov war mit seiner Verortung auf der richtigen Spur, hat aber den falschen Ort getroffen. Es ist tatsächlich unmöglich zu erklären, wie aus Genf (GENAVA) der obige Name herzuleiten sei.
Der Verfasser hat sich der Sache ebenfalls angenommen und ist zum Schluss gekommen, dass damit wirklich eine Stadt im Einzugsgebiet der Rhone in der Westschweiz gemeint ist, nämlich wiederum Aventicum – Wiflisburg. Genauer gesagt ist Kadesch Barnea als eine wörtliche Uebersetzung der Doppelform Wiflisburg – Neapolis zu deuten:
KADESCH = Castel; BAR/NEA = NEA/PAR = Neapel. R/L wird im Hebräischen häufig vertauscht. Also: Wiflisburg = Castel Neapel.
Aventicum als Zentrum der Helvetier
Macht schon die Entdeckung eines ursprünglich griechischen Namens für die grosse Römerstadt Aventicum hellhörig, so lässt die wiederholte Erwähnung dieses Namens in den hebräischen Texten des Alten Testamentes nach einer Erklärung fragen. Denn die Bedeutung des alten Aventicums, die sich belegen lässt aus der weitläufigen und prächtigen Stadtanlage und imposanten und repräsentativen Stadtmauer - der längsten römischen Umwallung nördlich der Alpen – kontrastiert in eigentümlicher Weise mit der dürftigen Erwähnung. Vor allem muss erneut gefragt werden, weshalb die Römerstadt am gleichen Ort keine Fortsetzung fand und dass sogar der dortige Bischofsitz - der unbestätigten Geschichte nach - bald nach Lausanne verlegt wurde. – Wenn es einen Grund gab, weshalb Aventicum verschwand, so muss er im späten Mittelalter gesucht werden, dort wo nach Meinung des Verfassers die Ereignisgeschichte langsam Tritt fasst.
Aventicum galt in gallorömischer Zeit als Hauptstadt der Helvetier. Aber auch die alten Volksnamen sind unsicher und zweifelhaft. In Caesars Gallischem Krieg werden die Helvetier bekanntlich erwähnt als das Volk, das eine Invasion Galliens unternahm, aber nach der Schlacht bei Bibracte gezwungen wurde, wieder in ihre Heimat zurückzukehren. Aber die angebliche Schrift Caesars geht noch weiter: Sie erwähnt bei den Helvetiern auch ein Volk der Tiguriner, das ebenfalls in der Gegend von Aventicum lokalisert wird. Tiguriner aber ist als Schimpfname eines Volkes zu entlarven, denn lateinisch tugurium bedeutet "elende Hütte". Die Helvetier der heutigen Westschweiz wurden also aus unerfindlichen Gründen bewusst herabgesetzt.
Der Schweizer Philologe Robert Baldauf hat schon vor ungefähr hundert Jahren dafür plädiert, Caesars Schriften aufgrund stilkritischer Befunde in das späte Mittelalter zu versetzen (Baldauf, 1902) – wie alle "antiken" Literaturzeugnisse und die Bibel. Wenn dies richtig ist, so bekommt die Erzählung in einem anderen zeitlichen Kontext einen unerwarteten Sinn. Stehen vielleicht auch die angeblich antiken Helvetier als Chiffre für Ereignisse im Spätmittelalter?
Die Namensanalyse von HELVETII zeigt HELV als prägenden Bestandteil, entvokalisiert HLV. In umgekehrter Reihenfolge ergibt sich daraus VLD. Revokalisiert wird daraus VALD, also der namensgebende Teil des Wortes für den keltischen Gau der Westschweiz, nämlich den Waldensergau, woraus sich die heutige Waadt, französisch Vaud, ableitet. Die Helvetier wurden also als Waldenser angesehen oder umgekehrt.
Fällt das Stichwort Waldenser, so denkt man sofort an die spätmittelalterliche Ketzergeschichte. Die angeblich ketzerische Gruppe der Waldenser nämlich wurden von der neuen römischen Universalkirche mit besonderem Eifer verfolgt, wie das Wilhelm Kammeier in seiner Schrift "Dogmenchristentum und Geschichtsfälschung" darlegt (Kammeier, 1979). Die Quellen scheinen für diese Zeit schon recht plausibel zu sein. Beispielsweise fanden reihenweise Waldenserprozesse statt in Freiburg im Uechtland zwischen 1399 – 1444 (vgl. dazu neuerdings Utz Tremp, 1999). Das Westschweizer Freiburg aber wird von den ältesten Geographen wie Johannes Stumpf als ausdrücklich im "Wifflisburger Gaw" gelegen bezeichnet. Die Helvetier wären also in der ältesten Ueberlieferung zu Ketzern geworden.
Aber um diese Zeit wurden nicht nur die Waldenser bereits verfolgt, sondern auch die Juden. Diese aber waren ebenfalls in den ketzerischen Regionen Südfrankreichs und Norditaliens – und demzufolge auch in der Westschweiz – stark vertreten. Doch die Differenzierung zwischen Juden und Christen war damals offenbar noch nicht abgeschlossen; anders gesagt sind alle späteren Häresien der katholischen Kirche sowohl aus einem jüdischen, volkschristlichen Substrat hervorgegangen, das in verschiedenen Gebieten noch lange dominierte. Eine solche Region scheint Avenches mit seinem Gau gewesen zu sein. Wenn sogar dessen eine antike Bezeichnung verschüttet wurde und nur auf Umwegen und über das hebräische Alte Testament wieder erschlossen werden konnte, so gilt das auch für die Stadt selbst. Man erinnert sich dabei an die erste schriftliche Erwähnung Aventicums bei Ammianus Marcellinus, dessen früheste Abschriften vielleicht gegen 1430 nachzuweisen sind. Aventicum wird dort als ehemals bedeutsame, aber jetzt verödete Stadt (vgl. Eingangszitat) bezeichnet. Aus den oben angedeuteten Zusammenhängen heraus könnte man ableiten, dass der Ort nicht deswegen verlassen wurde, weil er römisch und alt war, sondern weil er als Zentrum des Widerstandes gegen eine neue Religion und eine neue Herrschaftskirche bewusst verödet wurde.
Auf jeden Fall ist Aventicum wirklich eine besondere Römerstadt.
Literatur
Baldauf, Robert (1902): Historie und Kritik; Basel
Bögli, Hans (1991): Aventicum. Die Römerstadt und das Museum; Avenches
Chronique des fouilles archéologiques 1998; in: Bulletin de l’Association Pro Aventico 40, 1998, 209 – 232
Delitzsch, Friedrich (1921): Die grosse Täuschung. T. 1,2; Stuttgart
Fellmann, Rudolf (1999): Das Zinktäfelchen vom Thormebodenwald auf der Engehalbinsel bei Bern und seine keltische Inschrift; in: Archäologie im Kanton Bern, Bd. 4, 133; Bern
Fomenko, A. (1994): Empirico-statistical analysis of narrative material and ist applications to historical dating. Vol. 1: The development of the statistical tools; vol. 2: The analysis of ancient and medieval records; Dordrecht
Geise, Gernot L. (1997): Wer waren die Römer wirklich? Unser Geschichtsbild stimmt nicht; Hohenpeissenberg
Glatthard, Peter (1977): Ortsnamen zwischen Aare und Saane. Namensgeographische und siedlungsgeschichtliche Untersuchungen im westschweizerischen Sprachgrenzraum; Bern
(Justinger, Konrad): Die Berner-Chronik des Conrad Justinger; hg. von G(ottlieb) Studer; Bern 1871
Kammeier, Wilhelm (1938): Dogmenchristentum und Geschichtsfälschung; in: Wilhelm Kammeier, Die Wahrheit über die Geschichte des Spätmittelalters; Wobbenbüll 1979
Marti, Otto (1973): Aufbruch des Abendlandes. Völker und untergegangene Reiche im Europa der Urzeit; Zürich
Nouvelles données sur les origines d’Aventicum; in: Bulletin de l’Association Pro Aventico, 39, 1997, 29 - 100
Pfister, Christoph (1999): Zur langen Baugeschichte des Mittelalters. Kritik an der überlieferten Chronologie und Versuch einer Neubestimmung; in: ZS 1/99, 139
Pfister, Christoph (2000): Bern – eine Zähringerstadt im Lichte ihrer ältesten Urkunde. Mit Seitenblicken auf Freiburg im Uechtland und Villingen; in: ZS 1/2000, 152
Pfister, Christoph (1997/98): Brenodurum – Bern und die Entdeckung einer keltischen Landvermessung im Berner Mittelland; ZS 4/97, 6218; Teil II in: ZS 2/98, 235
Topper, Uwe (1998): Die "Grosse Aktion". Europas erfundene Geschichte. Die planmässige Fälschung unserer Vergangenheit von der Antike bis zur Aufklärung; Tübingen
Utz Tremp, Kathrin (1999): Waldenser, Wiedergänger, Hexen und Rebellen. Biographien zu den Waldenserprozessen von Freiburg im Uechtland (1399 und 1430); Freiburg
Avenches – eine besondere "Römerstadt"
Avenches
AVENTICUM
DEA AVENTIA (ava)
AVENTICUM HELVETIORUM
Inschrift, 1536 von Gilg Tschudi gefunden:
COLONIA PIA FLAVIA CONSTANS EMERITA HELVETIORUM FOEDERATA
WIF(F)LISBURG
entvokalisiert: VFLS = V/FLS = V/PLS
PLS revokalisiert: POLIS = gr.: "Stadt"
V wohl ursprünglich M oder N:
M/N > NEA = NEAPOLIS (ΝΕΑΠΟΛΙΣ) = Neustadt
Massilia (Marseille) – Gratianopolis (Grenoble)
Avenches – eine besondere "Römerstadt"
Ortsnamen Palästinas:
Galiläa = Gallia
Jordan (hebräisch: Yarden): (J)Eridanus = Po
Bethlehem = Velletri (Velitrae)
Paran = PRN = NRP/B = NARBO = Narbonne
Topel = TPL = LPT = Lombardei (im alten Deutsch: "Lamparten")
KADESCH BARNEA (ענרב שדק). Vgl. Deuteronomium, 1 ff.
KADESH = CASTEL
BAR-NEA = NEA/PAR (l und r sind leicht austauschbar, also:
NEAPAL = NEAPEL =CASTEL NEAPEL = KADESCH BARNEA = WIFLISBURG
Helvetier (HELVETII)
HLV von rechts nach links: VLH > VL/D:
Waldenser (Leute des Waldgaus, Waadt, frz. Vaud)