Gunnar Heinsohn, geb. 1943, Dr. phil., Dr. rer. pol., lehrt seit 1984 als Professor an der Universität Bremen und leitet dort das Raphael-Lemkin-Institut für Xenophobie und Genozidforschung.
Ein außerordentlich vielfältiger Wissenschaftler, facettenreich wie ein Insektenauge, das mit dem Blick in auseinanderstrebende Räume gleichzeitig eindringen kann, sprachmächtig und überzeugungsfähig, dabei von jugendlicher Frische. Sein monotoner Sprechstil - stets druckreif im besten Sinne - lebt ohne Kontakt zur Zuhörerschaft, eher nach innen horchend, dabei rastlos und unaufhaltsam wie der Panther in Rilkes Gedicht, der müdegeworden von den Stäben sein enges Areal abschreitet, von links nach rechts und rechts nach links, erinnert irgendwie an Stefan Georges Vortragsweise.
Die chronologie- und geschichtskritischen Arbeiten Heinsohns sind wohl die besten ihrer Art im deutschen Sprachraum. Sie haben viele Probleme der Geschichtsforschung gelöst und dadurch der "Rekonstruktion der Menschheits- und Naturgeschichte" (so der Name der von Christoph Marx 1982 ins Leben gerufenen Gesellschaft, die Heinsohn bis zu ihrer Auflösung 1988 geleitet hat) den besten Dienst erwiesen. Als Bücher erschienen:
- "Die Sumerer gab es nicht" (Frankfurt/M 1988)
- "Wann lebten die Pharaonen?" (mit H. Illig, Ff/M 1990)
- "Wie alt ist das Menschengeschlecht?" (1991, 2. Aufl. Gräfelfing 1996)
- "Perserherrscher gleich Assyrerkönige?" (Gräfelfing 1992)
- "Wer herrschte im Industal?" (Gräfelfing 1993)
Zu seinen wichtigsten soziologischen Schriften zählt das Buch "Privateigentum, Patriarchat, Geldwirtschaft. Eine sozialtheoretische Rekonstruktion der Antike" (Frankfurt/M 1979). Noch in einer Vorlesung an der FU (1995) betonte er zu diesem Thema, die mythische Grundlage bildeten die Geschichtswerke des Titus Livius, ohne jedoch zu sehen, daß diese eine viel spätere Schöpfung sind und weder als Abbild eines mythischen Urzustandes noch als nachträgliche Motivation der römischen Gesellschaft gedient haben können.
In dem mit Otto Steiger verfaßten Werk über die Hexenverfolgungen, "Die Vernichtung der weisen Frauen" (München 1985), spürt man seine Sympathie für die unterdrückte Frauenwelt und seinen Zorn, der sich gegen die Kirche richtet. Erst in neueren Veröffentlichungen wird das Prinzip der weisen Frauen zur demographischen Gesundheit der Bevölkerung, nämlich das Recht auf Kindstötung, von ihm abgelehnt und damit dem kirchlichen Unterdrückungsmechanismus der Rücken gestärkt.
Sein Buch "Die Erschaffung der Götter. Das Opfer als Ursprung der Religion" (Reinbek 1997, eine Neufassung von "Was ist Antisemitismus?" von 1988) stellt die Religionen als Zweckerfindungen zur Überwindung des Katastrophenschocks dar, eine in sich schlüssige Theorie, die auf Velikovsky aufbaut und viele diskutable Ergebnisse bringt. Dabei werden altgediente Vorstellungen auf den Kopf gestellt, allerdings auch penetrante Lügen der Kirchen und Conquistadoren unkritisch weitergetragen. Schwierig wird die Aufrechterhaltung der Kernthesen, wenn Heinsohn sein von ihm selbst aufgestelltes verkürztes Geschichtsschema an einzelne Gedankenfolgen anlegen würde, d.h. wenn die Bronzezeit nicht Jahrtausende zurückläge sondern kurz vor dem Mittelalter. Indem er die klassischen Geschichtszahlen in seine Untersuchung einführte, hat er sich selbst widerlegt. Die Unvereinbarkeit der beiden Denksysteme Heinsohns - Katastrophismus und Chronologieverkürzung auf dieser Stufe - tritt hier besonders deutlich zutage.
Heftiger Kritik ausgesetzt war auch sein Buch über Hitlers Beweggründe für die Shoah: "Warum Auschwitz?" (Reinbek 1995), in dem aus dem Menschen Hitler eine überdimensionale geschichtliche Größe von napoleonischer Genialität geschaffen wird, was in dieser Weise äußerst peinlich berührt.
In dem Versuch, sich von esoterischen oder religiösen Offenbarungen abzusetzen, hat Heinsohn die wissenschaftlich nicht haltbare These aufgestellt, daß Katastrophen einzig der Vergangenheit angehören und die Verdrängung ihrer Überlieferung, die uns das heutige Geschichtsbild beschert hat, keineswegs aus Angst vor einer Wiederholung erfolgt sei.
Ó Uwe Topper, 01.03.2000