Die Misere der indischen Chronologie
Eugen Gabowitsch, Karlsruhe
INHALT
Was bedeutet "alt"?
Was wussten unsere nahen Vorfahren über Geschichte Indiens?
Und was wußte man über die Geschichte Indiens im 18. Jh.?
Auch in früheren Jahrhunderten (16.-17. Jh.) wusste man nichts von der indischen Chronologie
Wann wurde die indische Geschichte geschrieben?
Warum wurde die indische Geschichte geschrieben?
Wann existierte die Kultur der Industal?
Wurde die indische Geschichte durch die "antiken" Griechen im Mittelalter entdeckt?
Sogar der Name "Indien" stammt von den Europäern
Wussten die Araber vielleicht etwas über die Geschichte Indiens?
Endwort, das noch kein endgültiges Wort ist.
Indien ist ein Land der ältesten Kulturen der Welt, vielleicht die Wiege der Zivilisation schlechthin. Und das ist – trotz der Behauptungen der Historiker – das Land mit der kürzesten Geschichte unter den wichtigsten Kulturen der Welt (unter der Geschichte verstehe ich nicht die historische Vergangenheit, sondern die geschriebene Berichterstattung über diese und all das, was man auf Grund von geschriebenen und materiellen Zeugnisse über die Vergangenheit streng logisch – ohne die üblichen Märchen der Geschichtler - beweisen kann).
Indien ist das Geburtsland von mindestens zwei wichtigen Religionen (Hinduismus und Buddhismus), die Heimat von originellen philosophischen Systemen und reicher Literatur, das Land von Joga und Tantra, aber Indien ist – bis ins späte Mittelalter - ein Land ohne geschichtlicher Tradition und Chronologie. Darum muss man übrigens sehr skeptisch die heutigen chronologischen Behauptungen der Berufshistoriker bezüglich der alten Teile der indischen Geschichte zur Kenntnis nehmen.
Für einen traditionellen Historiker, der sich auf die Indologie nicht spezialisiert hat, klingt diese Behauptung schrecklich, als eine Beleidugung der ganzen historischen Zunft (die fast axiomatisch annimmt, das jede Hochkultur unbedingt auch das historische Bewußtsein im europäischen Sinne früh entwickelte, was für die östlichen Kulturen einfach nicht stimmt). Für mich ist das keine negative Beurteilung einer Hochkultur, die ihre eigene Wege der Entwicklung fand und in ihrer Originalität einige von verlogenen europäischen geistigen Spielchen für unnötig hielt. Es lebe die große indische Kultur, auch wenn sie ohne Chronologie und Geschichtsschreibung im westlichen Sinne auskam!
Wenn wir dabei noch bedenken, wie viel erfunden und gefälscht wurde, um jeder europäischen Ecke eigene tausendjährige Geschichte zu erfinden, dann erscheint die alte orientalische Gleichgültigkeit gegenüber Chronologie, Herrschergenealogie und historischer Aufzeichnungen als eine weise und durchdachte Position: gegen die Macht der Zeit steht der Mensch sowieso auf dem verlorenen Posten.
Schade, dass die heutige herrschende Mentalität (oder eher die Mentalität der Herrschenden) auch im Orient (in Indien wie in China, aber auch in allen anderen Ländern) unter dem westlichen Einfluss dem europäischen Gier nach einer total durchdatierten multitausendjährigen Geschichte mit östlichem Fanatismus verfallen ist. Heute kümmern sich die asiatischen Länder leider mehr um den quasi-historischen "Glanz", als um das Wohlergehen eigener Bevölkerung.
Wenn wir von Geschichte Indiens und indischen Chronologie sprechen, dann verstehen wir unter Indien das indische Subkontinent, das Land, wo heute die Republiken Indien, Pakistan und Bangladesch sich befinden, um die Grenzen Indiens grob zu ziehen. Das sind ca. 4 Millionen Quadratkilometer: durchaus mit ganz Europa vergleichbare Fläche. Oft wird auch die Republik Sri Lanka zum gleichen historischen Raum gezählt. Bei einigen historischen Betrachtungen werden auch Teile der benachbarten Länder wie Afganistan, Birma (Miamar), Nepal, Tibet zum indischen historischen Kulturkreis zugeordnet. Das Buch [1] versteht unter Groß-Indien zusätzlich auch noch solche Länder wie Indonesien, Thailand und Kambodscha.
Noch eine Bemerkung zum Vergleich mit Europa: die Ausdehnung und die Vielfalt von Völkern und Sprachen sind in Indien und in Europa etwa der gleichen Größenordnung. Die Bevölkerung Europas ist dagegen etwa um einen Faktor 2 bis 3 kleiner. Das muß unbedingt ins Auge befasst werden, wenn wir über die Geschichte und die Chronologie von Indien sprechen.
Wass bedeutet "alt"?
Die ganze indische Chronologie beruht sich auf Vergleichen mit den "römischen", "antiken" griechischen und "alt"-ägyptischen Chronologien. Eigene direkt datierten Denkmäler oder Quellen fehlen. Ganz ernsthafte Wissenschaftler sind gezwungen zu behaupten, daß Indien keine eigene Geschichte besitzt. Sie kennt nicht einmal eigene historische Quellen zur Eroberung von Indien durch Alexander d. Gr. (was auch die ganze Geschichte um Alexander d. Gr. unglaubwürdig macht). Beginnt die indische Geschichte erst mit der moslemisch-"mongolischen" Unterwerfung und dem Kolonisieren durch die Europäer? Sind die indischen Arien in Wirklichkeit die Nachfolger der Arianer? Und stammen sie aus einer viel späteren Epoche, als geglaubt wird? Ist Krischna gleich Christus? Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich von der Ähnlichkeit des Gottesdienstes in den hinduistischen Tempeln mit dem Ritual in einer orthodoxen Kirche berichten.
In der Ankündigung seines Vortrags "India obscura - Rätsel aus der Vorzeit" im Karlsruher Geschichtssalon (am 07.04.2000, s. im Internet
http://geschichte.eu.cx und die Rubrik "Karlsruher Geschichtssalon" dort) schrieb Thomas Ritter folgendes:Zeitangaben und historische Daten sind in Indien - auch und gerade in den Reiseführern - mit äußerster Vorsicht zu genießen. "Very old" kann da schon mal ein alter von 50 Jahren (oder weniger) bedeuten. Wir haben es hier mit einer Art von "Geschichtslosigkeit" zu tun ....
Zwar behauptete er weiter, dass
"Sie dürfte ihre Hauptgründe in der Kolonialzeit haben. Dennoch existiert parallel dazu unter indischen Pandits, den traditionellen Schriftgelehrten - eine Tradition, die auf eine lange Geschichte zurückblicken kann. Auf diese Tradition will ich aufmerksam machen und zu ihrer Erforschung beitragen."
Trotzdem konnten die Hörer keine historische Tradition in Indien auch nach dem Vortrag erkennen. Und das liegt daran, dass gerade die Kolonialzeit nicht für die praktisch fehlende indische Geschichte zuständig ist, sondern umgekehrt für die Versuche, den aus dem Westen kommenden Gedanken des Historismus in die indische Gesellschaft hineinzubringen.
Diese Bestrebung, eine indische Geschichte zusammenzubasteln, diente gerade dem Zweck der Rechtfertigung der kolonialen Umstände. Leute mussten überzeugt werden, dass die indische Geschichte direkt die Notwendigkeit einer britischen Kolonialmacht beweist, diese legitimiert und begründet. (s. [2], S. 3).
Was wussten unsere nahen Vorfahren über Geschichte Indiens?
Reichlich wenig – so klingt die vorweg genommene kurze Antwort. Mindestens die zweibändige (insgesamt 1428 Seiten) "Urgeschichte der Welt" von Rheinhardt [3], die immerhin auch in das erste Jahrtausend n. Chr. hereinschaut, kennt kein Indien als ein Land mit Geschichte: es gibt keinen Kapitel zur indischen Geschichte und Indien selbst wird im ganzen Buch nur wenige Male erwähnt. Nämlich, nach Index (Register) beurteilend:
Na, gut, vielleicht wussten die anderen Wissenschaftler viel mehr über Indien, als "nach den neusten Forschungsergebnissen" schreibende Rheinhardt. Im ersten - als "Geschichte des Altertums" betitelten - Band der "Weltgeschichte" [4] von Oskar Jäger wird Indien immerhin dreimal erwähnt:
Reichlich wenig für die Geschichte eines dicht besiedelten Subkontinentes vom Ausmaße der "europäischen Halbinsel" des Eurasiens!
Ein von der schulischen Geschichtsschreibung verhypnotisierter aber im gewissen Sinne gut ausgebildeter Leser wird auch danach noch zweifeln, ob man vor mehr als 100 Jahren wirklich noch nichts über die Geschichte Indiens zu berichten wusste. Vielleicht fällt ihm ein folgender Gegenargument ein: für Oskar Jäger war doch die ganze Weltgeschichte eine klare europäisch-meditterräne Angelegenheit. Darum ist es auch nicht verwunderlich, wird er sagen, dass im zweiten Band von [4] Indien nur einmal auftaucht: wenn "der Mongole" Timur 1398 die Stadt Delhi erobert haben soll.
Dazu sage ich folgendes: Immerhin heisst dieser Band "Geschichte des Mittelalters". War denn die Rolle Indiens auch im Mittelalter für die Länder um den Mittelmehr von keiner Bedeutung? Übrigens der "Mongole" Timur war in Wirklichkeit ein Europäid, wie die Rekonstruktion seines Büsten durch den sowjetischen Paläoanthropologen Gerassimow klar zeigte. Vermutlich war er ein Kreuzritter, was auch sein Name, der soviel wie "Der Eiserne" bedeutet, andeutet. (Vergl. mit meinem Synesis-Artikel über die Mongolen aus dem Heft 4/2001, S. 11)
Und was wußte man über die Geschichte Indiens im 18. Jh.?
Um die Frage zu beantworten, schlagen wir das Buch [5] auf. Ende des 18. Jh. war das ein Bestseller, der eine wichtige Rolle bei der geistigen Vorbereitung der Französischen Revolution gespielt hat. Es erschien zuerst nur unter dem Namen von G. Raynals, weil D. Diderot um Konsequenzen fürchtete. Und er hatte Recht: das Buch wurde 1781 verboten. Trotzdem wurde es mehrere Male gedruckt und in alle wichtigsten europäischen Sprachen übersetzt, auch um 40 illegale Nachdrücke sind bekannt.
Insbesondere die von Diderot eingeführten allgemeinen historisch-phylosophischen Überlegungen machen das Buch auch für die Geschichte der Historiographie zu einem wichtigen Werk. Trotzdem wollen wir an dieser Stelle das Buch nur aus der chronologischen Perspektive betrachten: welche Daten und welche chronologisierte Geschichte Indiens war den Autoren bekannt. Im von Diderot geschriebenen Teil "Altertum von Hindostan" dieses zuerst in französischer Sprache 1770 in Genf erschienenes Buchs können wir folgendes lesen:
"Noch vor dem Pythagoras reisten die Griechen dahin, um sich zu belehren. Die ältesten der handelnden Völker holten Leinwand daher, welches beweist, wie weit es die Geschicklichkeit dasselbst schon damals gebracht hatte." (S. 48)
Welche präzisen historischen und chronologischen Ausführungen! Des weiteren schreibt der Autor hauptsächlich über den fruchtbaren Boden, wunderbares Klima und andere natürlichen Gegebenheiten, die zu einer sehr frühen Besiedlung von Hindostan führen sollten. Und das tut er noch weniger historisch: so sollte es sein (Und wenn es auch so war, woran heute keiner zweifelt, ist das noch keine Geschichte und jedenfalls keine Chronologie!).
Überhaupt, beschreiben die in dieser "Geschichte beider Indien" zitierten oder erwähnten Autoren alles mögliche, außer Geschichte: die indische Philosophie, Religionen, Literatur, Geographie etc. Und das vermutlich aus einem einzigen Grund: weil die Geschichte wurde für dieses Land noch nicht erfunden (Pardon, noch nicht geschrieben – oder ist das fast das Gleiche?).
Ja, es wird der spätmittelalterliche Herrscher Kaiser Mahmud Akbar erwähnt: er "hatte den Einfall, die Grundsätze aller in seinen weitläufigen Ländern ausgebreiteten Religionen kennenzulernen" (S. 51; eine Legende, die oft in Geschichte vorkommt). Aber auch das hat nichts mit der Chronologie zu tun.
Eine der wenigen chronologischen Angaben im Buch lautet: "Eine alte Überlieferung sagt, daß, da die Araber im achten Jahrhundert anfingen, sich in Indien festzusetzen", dann entschloss der Herrscher von Malabar nach Mekka zu gehen um dort zu sterben. Aus dieser Passage kann man nur schliessen, dass in der Zeit schon das Märchen von der Islam - Entstehung im 7. Jh. in Frankreich verbreitet war.
Die ersten historischen Betrachtungen des Buchs sind der kolonisatorischen und missionaren Tätigkeit der Portugiesen in Indien gewidmet. Aber sogar das geschieht auf eine Weise, die uns demonstriert, wie wenig die Chronologie in der Zeit beachtet wurde.
Übrigens in der ersten Hälfte des 18. Jh. war die Lage mit der Chronologie und Geschichte Indiens auch nicht besser. Johann Heinrich Zedlers Universallexikon aus dem Jahr 1735 kann über eineinhalb Jahrtausende indischer Geschichte nicht mehr berichten, als das Folgende: "Die Könige in Persien besassen vor Zeiten einige Theile von Indien; als aber Alexander Magnus Darium geschlagen, marschierte er dahin, und überwand Porum, deren Indianer vornehmsten König. Nach Alexandri Zeiten haben Indianer mit ihren Fürsten sehr friedsam gelebt, und sind durch keine fremde Völker verunruhiget worden."
Auch in früheren Jahrhunderten wusste man nichts von der indische Chronologie
Die ersten intensiven Begegnungen der Europäer mit Indien seit Anfang des 16. Jh. brachten eine Fülle von interessantesten Informationen über das Subkontinent nach Europa, nur keine chronologischen Angaben und keine Geschichtsschreibung der vergangenen Zeiten. Im äußerst interessanten Buch [6] beschreibt die Autorin die deutschsprachige Auseinandersetzung mit Indien "noch vor der Entstehung der Indologie als eigenständiger wissenschaftlich-akademischer Disziplin" bis Mitte des 18. Jh.
Interessant ist zu analysieren, welche Themen von Indienreisenden betrachtet und folglich die Leserschaft im Laufe eines Vierteljahrtausends interessiert haben, welche Rolle haben dabei Geschichte und Chronologie gespielt. Die allgemeine Schätzung des Ergebnisses dieser Analyse kann man so kurz präsentieren: alles Mögliche, nur nicht die Geschichte der entfernten Zeitepochen und keinesfalls die Chronologie.
Indien wurde in erster linie als ein exotisches Weltteil, als ein irdisches Paradies und eine potentielle Schatzkammer Europas gesehen. Man interessierte sich für die Topographie und Geographie des Subkontinents, für klimatische und physikalisch-geographischen Gegebenheiten. Man las sehr gern über Monstrositäten und Befremdliches, über sensationelles und Wissenswertes. Aber die Chronologie gehörte nicht dazu.
Man interessierte sich für die Sexualität der Inder und die eigenartigen Essgewohnheiten, für die Nacktheit und für die vegetarischen Einstellungen. Man versuchte zu verstehen, wie die indischen Gesellschaften ökonomisch funktionieren und welche unerschöpfte Ressourcen man in Indien noch hat. Aber auch die Beschreibungen zur Ökonomie und zur Infrastruktur beschränkten sich auf das, was zu beobachten war und beinhalteten keine ernsthafte historische Komponente.
Einen besonderen Augenmerk verdiente in Augen der deutschen Reisenden die indische Gesellschaftsfordnung. Das Kastenwesen überraschte die europäischen Beobachter sehr. Hatten sie doch nicht einmal ein entsprechendes Terminus in der deutschen Sprache gehabt (was kaum für die tiefen Kontakte mit Indien vor 1500 spricht). Einzelne sozialen Gruppierungen, ethnischen Gruppen und Sprachen, geographischen Unterschiede in der Gliederung der Gesellschaft in verschiedene soziale Schichten – all das war im Blickpunkt der Berichterstatter. Nur nicht die Chronologie all dieser Gesellschaften.
Großes Interesse zeigten die Reisenden, unter welchen einen großen Teil die Jesuiten und andere Geistlichen und Missionare ausmachten, zur religiöser Vielfalt in Indien und zur "vergleichenden Religionsforschung": Man wollte herausfinden, in welchen Punkten die indischen Religionen den christlichen ähneln und in welchen Punkten sie sich stark unterschieden. Tempelrituale und religiösen Zeremonien, Religionskulte und die Lebensweise der Brachmanen und Mönchen wurden detailliert beschrieben und zahlreiche Übereinstimmungen wurden gefunden und bei der Missionarsarbeit ohne Skrupel benutzt.
Ja, man kann aus den Berichten über Indien eine Menge wichtiger Angaben zur politischen Organisation des Mogulenreichs erfahren, über die administrativen, politischen und regionalen Gegebenheiten des Reiches und weiterer Staaten des Subkontinents. Aber kein Staat in Indien besaß eine geschriebene Geschichte oder mindestens eine Chronologie der Herrscher und der wichtigsten Ereignisse der Vergangenheit.
Selbstverständlich sind viele von den Beobachtungen von enormer Wichtigkeit für die Geschichte Indiens ab 1500. Aber die beweisen auch unsere Hauptthese: vor dem Kolonisieren Indiens durch die Europäer existierten in diesem Teil der Welt keine historische Tradition, keine Historiographie und keine Chronologie.
Eine Bestätigung dafür liefert auch Friedrich Wilhelm in [7]. Er erzählt von Kaufleuten, Missionaren, Diplomaten und Forschungsreisenden nach Indien und ihren berichten im 17. Jh. und muss feststellen, dass "keine neuen Erkenntnisse über die Zeit vor den Großmogulen in den Westen" gelangten.
In [7], S. 85, lesen wir weiter: "Zwischen Alexanders Indienzug im 4. Jahrhundert v. Chr. und den Großmoguln (seit 1525) klafft eine große historische Lücke, die erst die neuere Forschung zu schließen wußte". In Wirklichkeit sind diese "fehlenden" fast 2000 Jahre "erstunken und erlogen": der Indienzug des Alexanders gehört wahrscheinlich in das späte 15. Jh. (die Eroberung des Westen des asiatischen Kontinents durch den Osmanen-Sultan Isakander alias Machmud den II), also liegen in dieser "großen historischen Lücke" in Wirklichkeit nur einige Jahrzehnte!.
Wann wurde die indische Geschichte geschrieben?
Jedenfalls nicht vor der Ankunft der Europäer. Im Kapitel "Indiens Verhältnis zu seiner Geschichte schreibt Wilhelm [7, S. 86] "Das alte Indien hat keine Geschichtswerke hervorgebracht, die die historischen Fakten über längere Zeiträume aufzeichnen [...] Geschichte war für sie mit Legenden vermischt. Anstelle von Annalen haben sie alten Sagen und Epen. Die späte Kaschmirchronik aus dem 12. Jahrhundert nach Christus versteht sich als Kunstdichtung."
Unser Kommentar: Vermutlich ist die indische zivilisatorische Entwicklung viel intensiver gewesen, als die Geschichtler sich das vorstellen. Wie in Europa, sind am Anfang des zweiten nachchristlichen Milleniums alle Völker noch nicht imstande gewesen, die Idee der Geschichte zu entwickeln. Auch die Entwicklung der Sprachen und der Literatur wurde bisher falsch eingeschätzt: die alten Sagen und Epen entstanden, als die Schrift sich noch nicht durchsetzte, also um 1000 n. Chr. nach unseren Vorszellungen.
Auch vor dem Beginn der englischen Eroberung Indiens, wie wir oben gesehen haben, können wir keinesfalls von geschriebenen indischen Geschichte sprechen, obwohl 1500-1750 wichtige Quellen für die neuzeitliche indische Geschichte entstanden sind.
Laut [7], S. 86, "in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begann die wissenschaftliche Erforschung des indischen Subkontinents. Die ersten historischen Arbeiten stammen von Angestellten der britischen und französischen Handelsgesellschaften in Indien. Die Engländer gründeten 1784 in Calcutta die Asiatische Gesellschaft, in deren Veröffentlichungen bahnbrechende Untersuchungen unter anderem zur indischen Geschichte, Inschriftenkunde und Numismatik erschienen."
Trotz dieser Anfänge dauerte auch im ganzen 19. Jh. die Suche nach dem historischen Material für die indische Geschichte weiter. Und so lautet die verblüffende Antwort auf die oben gestellte Frage (Also die Frage um WANN): Etwa in der ersten Hälfte des 20. Jh. Wem das wenig plausibel erscheint, sollte sich fragen, welche Bücher zu indischen Geschichte aus der früheren Zeit er kennt, in welchen diese Geschichte etwa in der heutigen Form präsentiert wurde und welche von den Unsicherheiten in der Chronologie frei wären.
Betrachten wir das Buch [8]. Im Kapitel "Das alte Indien" fand ich nur ein Datum: Guatama Buddha soll 486 vor Christus gestorben sein. Noch bescheidener sieht die indische Geschichte im Kapitel "Indien und China. Der Islam", in dem man anstatt der indischen Geschichte die Sanskritliteratur den Lesern präsentiert und kein einziges Datum aus der indischen Geschichte nennt. Und am Ende des Buchs ist die folgernde "sehr ausführliche" chronologische Tabelle der alten indischen Geschichte (bis ca. 1000 n. Chr.) präsentiert:
c. 4000 v. Chr. Höhepunkt der alten Induskultur
nach 2000 Einwanderung arischer Stämme in Indien
nach 1400 Eroberung des Gangeslandes durch die Indoarier. Das Heldenepos.
600 Abschluß der Entstehungszeit der Veden
Seit 400 Entstehung des Sanskrit
264-227 König Ashoka. Der Buddhismus wird herrschende Religion
350 Entstehung des Brachmanismus. Blüte der Sanskrirliteratur
Schon angesichts der vielen Nullen kann man diese Zahlen kaum als genaue historische Daten betrachten. Und überhaupt, gehören alle diese Ereignisse vermutlich der uns kaum bekannten mittelalterlichen Periode der indischen Geschichte und müssen radikal verjüngt werden.
Warum wurde die indische Geschichte geschrieben?
Die Frage um WARUM ist leicht zu beantworten: es gab mehrere Gründe. Jede Gruppe der Geschichtler wurde durch andere Beweggründe inspiriert.
Für Engländer war wichtig zu zeigen, wie positiv die englische Herrschafft für Indien war. Ihr habt mehrere Staaten gehabt, wir haben euch die Vereinigung beschert. Ihr habt keine gute Armee gehabt, wir haben euch gezeigt, wie man Kriege führt und gewinnt. Ihr hat keine besondere Infrastruktur beschaffen, wir bauten Straßen und Festungen, Hafen und Eisenbahnen, Schulen und Universitäten (selbstverständlich alles nach dem westlichen Vorbild!).
Für die Geschichtler im alten Europa war es wichtig zu zeigen, dass auch in anderen Teilen der Welt eine alte Geschichte existiert. Dann, dachten sie, wird man auch ihnen das Märchen vom 2,5-tausend Jahre langer europäischen Geschichte abnehmen.
Ganz besondere Situation entstand für die junge indische europäisierte Wissenschaft. Wie man im Krieg die gegnerische Taktik und seine Militärausrüstung kopiert, falls sie erfolgreich sind, so hat auch die indische nationale Renaissance- und Befreiungsbewegung die Taktik der britischen Kolonisatoren kopiert. Die Briten haben die indische Geschichte für eigene Zwecke instrumentalisiert. Die Befreiungsbewegung entschied, dass sie eine solche Geschichte braucht, die viel länger ausfällt, als die britische, und viel imposanter aussieht, als jede andere europäische.
Und schon produziert einer der Ideologen der indischen Befreiungsbewegung, der künftige indische Regierungschef Jawaharlal Nehru, das umfangreiche Buch [9]. Das Buch ist nicht nur der politischen Situation in noch für eigene Unabhängigkeit kämpfenden Indien, sondern auch der indischen Geschichte gewidmet. Und er tut das nicht in Abgelegenheit einer Bibliothek oder des eigenen Arbeitszimmers, sondern mitten im antikolonialistischen Kampf und in der Einsamkeit einer Gefängniszelle (das Buch wurde 1944 abgeschlossen, er saß im Gefängnis vom 9. August 1942 bis zum 28. März 1945 und schrieb das ca. 650 seiten dicke Buch in nur fünf Monaten.).
Bei allem Respekt von dieser schriftstellerischen Leistung, muss man sagen, dass der künftige Regierungschef versucht im Buch [9] die indische Geschichte als fast lückenlose darzustellen. Das soll der Verherrlichung der eigenen Geschichte dienen, wobei dieser Inder schon die westlichen Kanonen für die Schätzung einer Geschichte übernommen hat. Trotzdem kann man auch bei ihm Bemerkungen finden, die gegen dieses Bild der kontinuierlichen Geschichtsschreibung stoßen. Am Ende des Abschnitts über die Kultur des Industals muss er zum Beispiel gestehen, dass zwischen dieser Kultur – welche übrigens auch keine historischen Werke hinterlassen hat und uns nur aus archäologischen, also nicht besonders umfangreichen und detaillierten, Quellen bekannt ist – und der neusten Geschichte Indiens eine Menge von Lücken existiert und viele Perioden vorhanden sind, über die wir wenig (oder überhaupt nichts?!) wissen.
Nehru ist gezwungen zu schreiben, dass die alten Inder keine Historiker waren (für solche hält er die alten Griechen, Römer und Chinesen). Diese Tatsache, schreibt er, hat ihm erschwert, Daten festzustellen und eine genaue Chronologie zu schaffen. Die Historiker seiner Zeit sollen mühsam Schlüssel zum Labyrinth und zu den Rätseln der indischen Geschichte gefunden haben (Ob die Schlüssel auch zum Schlüsselloch der indischen Geschichte passen?!).
Noch mehr, er schreibt sogar darüber, dass die nationalistische Weltanschauung und die falsch verstandenen Interessen der Nation haben viele bewegt, die ausgedachten "Fakten" in der indische Geschichte zu implantieren. Viele hochgebildeten (im westlichem Sinne?) Inder sollen das für eine legitime und selbstverständliche Tätigkeit gehalten haben. Diese sehr wichtige Beobachtung wurde leider von Nehru im weiteren Verlauf des Buchs nicht berücksichtigt: er wiederholt viele kaum begründete Behauptungen der Geschichtler, die an der Erdichtung langer indischen Geschichte in vorangegangenen 100-150 Jahren aktiv Teil genommen haben.
Die Misere der indischen Chronologie war so offenkundig, dass sogar die Vertreter der jungen indischen historischen Pseudowissenschaft gezwungen waren, dies anzuerkennen und die anfänglichen Probleme der indischen Geschichtsschreibung zu artikulieren. So schrieb Kavalam Madhava Panikkar in seiner populär gewordenen "Geschichte Indiens" [10] im Vorort zur zweiten englischen Auflage (1954) auf der S. 5 folgendes: "Diese "Indische Geschichte im Überblick" wurde ursprünglich am 15. August 1947, dem Tag der Unabhängigkeitserklärung Indiens, veröffentlicht. [...] Ein bekannter chinesischer Gelehrter, Dr. Yu Ta-Wie, hat einmal zu mir gesagt, er habe die oft wiederholten Versuche , ein Buch über die Geschichte Indiens zu lesen, nach wenigen Seiten stets wieder aufgeben müssen, weil sie ihm sämtlich weniger historische Darstellungen zu sein schienen als Telefonverzeichnisse – zusammenhanglose Aufzählungen von Namen."
Panikkar hält diese Kritik an indischer Geschichtsschreibung für übertrieben, muss aber anerkennen, dass die Historiker mit ihren Versuchen aus dynastischer Sicht die Vergangenheit zu beschreiben auf die Tatsache reagierten, dass "zu der Zeit, als die Geschichte Indiens Gegenstand erster Studien wurde, kein dynastisch-chronologischer Rahmen vorlag, mit dessen Hilfe das Wachsen des indischen Volkes historisch hätte verfolgt werden können." Aus der Reaktion auf das Fehlen der historischen Tatsachen wurde m. E. eine Überreaktion, die zum Sammeln aller möglichen Herrschernamen aus literarischen Werken, von Münzen und aus anderen Quellen führte.
In der neusten historischen Forschung hat sich angesichts der in der indischen Chronologie herrschenden Misere und der schier unübersichtlicher Vielfalt von Königtümer, Fürstentümer und Länder der Standpunkt durchgesetzt, dass eine allumfassende chronologisierte Geschichte Indiens nicht zu schaffen ist. Diese in dem konkreten Fall des Buchs [6], S. 244, formulierte These wird in seiner Allgemeinheit durch Vergleich der Einleitungen zu einzelnen Bänden [2] mit der Einleitung des Bandes 3 der gleichen Serie gezogen.
Mit anderen Worten, die heutige indische Geschichtsschreibung verwendet eine Fülle von Herrschernamen, die aus verschiedenen – meist literarischen - Quellen zusammengetragen wurden und für die oft kein Beweis der reellen Existenz in der Vergangenheit zu finden ist. Darum kann auch heute noch keine umfassende Chronologie der indischen Geschichte erarbeitet werden. Und für die angenommenen Daten fehlen oft die standfesten Beweise.
Wann existierte die Kultur der Industal?
Die Schätzung von Veit Valentin haben wir schon erwähnt: Höhepunkt der alten Induskultur ca. 4000 v. Chr. Nehru nennt sogar 5000-4000 v. Chr. Panikkar gibt auf der S. 16 eine andere Schätrzung: 3500-2750 v. Chr. Im gleichen Buch in der Zeittafel zur indischen Geschichte heisst es: Industal-Kultur (Mohendjo-Daro, Harappa) – etwa 3000-1500.
Diese Datierungen hängen mit den Datierungen der Zivilisation der Sumerer zusammen, weil die Archäologen Kontakte zwischen diesen zwei Gesellschaften ausgemacht haben. Nun ist aber die Datierung der Sumerer total falsch, wie G. Heinsohn in seinem Buch "Die Sumerer gab es nicht" [12] bewiesen hat. Er verkürzte die entsprechende Datierung um ca. 2000 Jahre, was aber nicht bedeutet, dass man nicht mit noch späteren Zeiten für das Industal-Kultur als 1000 v. Chr.- 500 n. Chr. rechnen kann.
Seine Vorstellungen von der Industal - Zivilisation im ersten Jahrtausend v. Chr. untermauert Heissohn, in [13] durch stratigraphische Analysen und die Vergleiche mit den "antiken" griechischen Historikern. Diese seine Datierung muss man aber als eine relative Zeitschätzung betrachten: er nimmt an, dass die griechische und persische Chronologie (und Geschichtsschreibung) stimmen, was für uns keineswegs eine Selbstverständlichkeit ist.
Kurt Schildmann entzifferte in [14] die Indusschrift als eine, die für Altsanskrit verwendete (früher behaupteten russische Forscher, dass die Sprache der Indusschrift eine dravidische war). Wenn das stimmt, dann kann sich die betrachtete Datierung noch weiter erheblich verkürzen. Nach meinung des russischen Universalgelehrten N. Morosov, die auch die heutigen Geschichtskritiker aus Moskau teilen, ist Sanskrit – wie auch Latein, Alt-Griechisch, Hebräisch, Arabisch, Jidisch - eine der Kultursprachen, die am Anfang des zweiten Jahrtausend n. Chr. künstlich geschaffen wurden um neuen kulturellen Bedürfnissen Entsprechung zu gewährleisten. Ob das noch vor der letzten großen Katastrophe in der Mitte des. 14. Jh. oder sofort nach der Katastrophe geschah, sein hier hingestellt.
Auch eine Bemerkung bei Nehru brachte mich auf die Idee, dass die Industal-Kultur vielleicht noch im frühen Mittelalter existierte. Er beschreibt, wie die Häuser in Mohedjo-Daro aufgestockt wurden, weil das Erdreich immer höher wurde und bemerkt, dass nur im Mittelalter eine so starke Änderung der klimatischen Bedingungen stattfand, dass die Wüste sich bildete und ausbreitete und man in der Gegend nicht mehr weiter leben konnte.
Wurde die indische Geschichte durch die "antiken" Griechen im Mittelalter entdeckt?
Im Kapitel "Die Entdeckung der indischen Geschieht" des Buchs [7] liest man "Die Griechen (also, keine Inder! – E.G.) waren die ersten, die Ereignisse der indischen Geschichte überliefert haben. Schon Herodot hatte im 5. Jahrhundert v. Chr. merkwürdige Dinge über Indien berichtet, beispielsweise, daß es dort goldrgabende Ameisen gäbe." Eine wirklich herausragende historische Leistung!
Wie wir heute mit großer Sicherheit wissen, lebten die "antiken" Griechen im 13-15 Jh. nach Chr. und die Werke, wie die von Herodot, wurden in der Renaissancezeit apokryphisch erdichtet oder unter einem Künstlernamen Geschrieben. In diese – für die Geschichtskritiker sehr frühe - historische Zeit passen auch die Vorstellungen von "Herodot", oder wie auch immer er wirklich hieß, von einem Wunderland Indien gut rein.
Die nächsten sollen laut [7], S. 84, die Alexanderhistoriker sein, die nicht nur den "Alexanders Indienzug detailliert beschrieben", sondern auch noch "dem Westen genauere Kunde von indischen Königen wie Poros" brachten. Also, wieder waren es keine Inder, die dies zu leisten wußten. Und weil wir auch im Falle des Alexanders die Ereignisse des späten 15. Jh. vermuten (die Eroberung des Westen des asiatischen Kontinents durch den Iskander alias Mehmed o. Mohammed den II) oder sogar aus dem 16. Jh. als die Armeen von Suleiman den Prächtigen wirklich bis nach Indien vordrangen, sind das keine besonders uralten Anfänge der indischen Geschichte.
"Von den Alexanderhistorikern und antiken Berichten aus erster oder zweiten Hand bezog auch das europäische Mittelalter sein wages Bild, das nun durch neue Kontakte, wie sie der Welthandel , aber auch die Kreuzzüge herstellten, neue Konturen erhielt". Eine sehr detaillierte historische Beschreibung von mehr als 1000 Jahren "indischer Geschichte"!
"Die Beziehungen zwischen Indien und der griechisch-römischen Welt haben seit Frühzeit der Indologie zu Forschungen und Spekulationen Anlaß gegeben" schreibt W. Halbfass in [11, S. 250] über die Kulturbeziehungen Indiens. Auch ohne entsprechender archäologischen Funde und kulturhistorischer Analyse hätten wir an solchen Beziehungen nicht gezweifelt. Aber uns geht nicht um die blosse Existenz von Beziehungen, sonder darum, dass diese Beziehungen von den Indern historisch nicht dokumentiert wurden. Folglich gibt es auch keine Chronologie dieser und anderen ähnlichen Beziehungen, nur die erwähnten Spekulationen.
"Bedeutsame, im einzelnen freilich umstrittene Kontakte entwickeln sich im griechisch-bakrischen Nordwesten. [...] Die Frage der kultureller Wechselwirkungen, zu denen es in der kosmopolitische Atmosphäre Alexandieas gekommen sein mag, , ist oft, jedoch selten mit definitivem Ergebnis diskutiert worden." [11, S. 251]. Mit anderen Worten: wo kleine Geschichtsschreibung und keine Chronologie vorhanden waren, kann man heute nur deuten, annehmen, spekulieren, von Spekulationen profitieren etc. Aber aus Nichts entsteht trotzdem nur ein Nichts.
Sogar der Name "Indien" stammt von den Europäern
Wirklich, bis heute betrachten die Inder diesen Namen als ein englisches Wort
(Erbe der Kolonialzeit: Englisch wird auch heute noch in Indien als eine der Staatssprachen behandelt). Die Inder kennen nur den Fluß Sindhu (den wir heute als Indus bezeichnen) und nennen ihr Land Bhārat nach dem sagenhaften Weltherscher. Bhārata (BRT sind im Russischen die Konsonanten der Wörter " brat‘ " = "nehmen", "borot‘ " = "jemandem bekämpfen", aber auch "brat" = "Bruder")."Die Bezeichnung "Indien" und "indisch" haben erst in der Neuzeit ihren heutigen geographischen und historischen Sinn erhalten" ([7], S. 83). Vermutlich auch hier waren die Großmogulen die ersten (wie auch bei der ganzen indischen Geschichte): sie nannten das große Land Hindustan oder Hindostan.
Das Wort Indien stammt nach Überzeugung von Fomenko und Nossovski vom russischen Wort "inde", was so weil wie "weit entfernt", "irgendwo" bedeutet. Die westlichen Geschäftsleute sollen auf den osteuropäischen Märkten gefragt haben, von wo die exotischen Waren kommen, die dort verkauft wurden, und hörten gerade diese Antwort: "Aus einem weit entfernten Land, inde". Das Wort hat auch im Latein die ähnliche Bedeutung: weit, von dort, entfernt. Soll das bedeuten, dass die Mogulen aus dem russischen Norden kamen oder mindestens mit den Russen im engen Kontakt standen? Der Eroberer Babur soll aus Samarkand gekommen sein.
Das Wort Mogul (Moguln) kann als Weltherrscher interpretiert werden: MGLN sind die Konsonanten der Wörter
Mongole, Menge, mnogo (Russ.) = viel
Megalē (Alt-Gr.) = Große Göttin = lat.: Magna Mater,
megalion (Alt-Gr.) = groß,
magn
ālia (lat.) = Wunder, große ErrungenschaftenDas Wor Mogul ist auch mit russischen Worten "mogu, mogushchij, mogushchestwennyj" verbunden, die soviel bedeuten wie kann, derjenige, der kann, mächtiger.
Wussten die Araber vielleicht etwas über die Geschichte Indiens?
Im Buch [11] fand ich eine folgende Stelle: "Der Inschriftenkunde und Numismatik [...] kommt als Geschichtsquelle erhöhte Bedeutung zu, da die alten Inder der Historiographie wenig Aufmerksamkeit schenkten, was bereits 1000 n. Chr. al-Biruni [...] beklagte". Zu diesem Satz fielen mir zwei Überlegungen ein.
Übrigens wurde das Buch erst 1887 von E. Sachau in London zuerst in Arabisch und dann 1888 in englischer Übersetzung veröffentlicht. Er schätzte dass das Buch etwa 1030 n. Chr. geschrieben wurde. Wie die russischen Kommentatoren des Buchs [15] schreiben "Das ist wirklich ein glücklicher Zufall, das dieses wunderschöne Werk bis zu unserer Zeit überlebte und in Form von einem so schönen Manuskript erhalten blieb, der eine Datierung 4. Dschumada 554/24 Mai 1159 beinhaltet und vom Autograph des Autors abstammt." (S. 50).
Auf der gleichen Seite beklagen die Kommentatoren, dass das Werk praktisch unbekannt im Laufe der Jahrhunderte geblieben ist und das Buch kaum durch andere arabischen Autoren zitiert wurde. Die beklagen auch das Fehlen von positiven Rezensionen auf das Buch in der ganzen arabischen Literatur. Mit den Wörtern "kaum", "wenig" umschreiben die Geschichtler normalerweise das totale Fehlen. Wir können nur sagen: Was noch nicht existierte, konnte auch kaum erwähnt, zitiert oder rezensiert werden.
Jeden, der nur ein bißchen mit Apokryphen Erfahrungen hat, sollte eigentlich in dem Werk eine klare spätere Fälschung erkennen. Und wenn doch einige wenige arabischen Autoren das Buch von Biruni zitierten, dann soll die falsche Datierung dieser Autoren behoben werden (oder diese Zitate als spätere Einschübe entlarvt werden). Vermutlich wurde die Fälschung erst im 19. Jh., vielleicht auch etwas früher produziert. Das würde auch den gelobten guten Zustand des Manuskripts erklären. Ob dem wirklichen Autor des Indienbuchs Werke aus der Zeit vor dem Ankunft der Europäer in Indien zur Verfügung standen oder er die späteren Quellen benutzte und jede Erwähnung von Europäern mied um sein Werk für den künftigen Käufer interessanter zu machen, dass sollten die künftigen Forscher herausfinden.
Endwort, das noch kein endgültiges Wort ist.
Die kritischen Bemerkungen zur indischen Geschichte (oder genauer zur Pseudogeschichte) sind damit noch keinesfalls abgeschlossen. Aber auch aus diesen unseren Ausführungen sollte schon jedem klar sein, dass:
Unsere hier nicht präsentierten Zweifelsmomente beziehen sich auf die ganze heutige Geschichtsschreibung für die Zeit vor 1500. Insbesondere zweifle ich an der Existenz eines Imperiums der Mauryas (und überhaupt jedes großen Imperiums in der Vormogulenzeit). Waren das vielleicht die Mauren (die Moslems) etwa im 15 Jh. und deren uns heute nicht mehr bekannten Staaten? Eine Islamisierung im 15. Jh. könnte die unglaublichen Erfolge der Mogulen bei Indieneroberung erklären.
Auch das spätere Kaiserreich der Guptas ist vermutlich eine reine Phantasie der Geschichtler. "Die nationale indische Geschichtsschreibung sucht den Weg zum unabhängigen Einheitsstaat als große Linie herauszuarbeiten". [11, S. 187]. Für solche ideologisch geprägte Gerade können die imaginären Reiche vielleicht von Bedeutung sein. Für eine der geschichtlichen Vergangenheit entsprechende ehrliche Geschichtsschreibung ist nur ein Kriterium wichtig: Belegbarkeit der historischen Behauptungen. Und damit tut die indische "Geschichte" bis heute sehr schwer.
Viele Quellen der vor kurzem geschriebenen indischen "Geschichte" sind noch weniger glaubhaft, als die "Indische Enzyklopädie" von Al-Biruni. Andererseits sprechen die zahlreichen Ähnlichkeitsmomente bei Religionen und in der Kunst für intensive Kontakte zwischen Indien und der christlichen Welt in vorgeschichtlicher Zeit, also vermutlich in dem 14. Und 15. Jh. Pech für die indische Geschichte, dass diese Kontakte von den Beteiligten historisch nicht erfasst wurden und heute mit großer Mühe verstanden werden müssen. Auch die Erwähnung von "antiken" Griechen im Zusammenhang mit kulturellen Kontakten spricht für die Geschichtskritiker für die Datierung dieser Kontakte in die erwähnten zwei Jahrhunderte am Ende des Mittelalters.
Literatur.
Abbildungen
Bild 1. Aus [14, S. 77]: Vielleicht sind das oben die Ruinen einer mittelalterlichen Stadt? Und worum soll dieses Gesicht unbedingt ein des Priesters sein? Vielleicht war das ein Händler oder Puffbesitzer oder irgendein reicher Mann, der sich verewigen liess? Phantasielosen Archäologen machen aus fast jeder Statuette einen Priester oder eine Gottheit.
Bild 2. Siegel mit dreiköpfigen Gott der Tiere aus [1, S. 18] Obwohl ich die drei Köpfe des Gottes hier nicht unbedingt sehe, muss ich sagen, dass die Entzifferung der Inschrift durch Kurt Schildmann auch auf eine Gottheit hindeutet: va-`si-va.a-cara carana PATI oder Gott vom Nichtbeweglichen und Beweglichen.
Bild 3. Dieser Zaunpfeiler soll aus dem 2. Jh. v. Chr. stammen. Eine erstaunlich gut erhaltene Darstellung aus dem Sandstein. Wer den erbärmlichen Erhaltungszustand der meisten europäischen Sandstein-Skulpturen aus der Zeit um 1000 n. Chr. vor Augen hat, muss begreifen, dass in Indien keine Winde wehen, keine Tropfen vom Himmel fällt und keine Temperaturänderung im Laufe des Tages oder des Jahres vorkommen. Ein gelobtes Land für chronologische Phantasien!
Bild 4. Dieser berühmte große Stupa von Sanchi [1, S. 29] soll ein massiver Ziegelbau mit Sandsteinbekleidung aus dem 2.-1. Jh. v. Chr. sein. Stellt sich die Frage, ob man solche Stupas ohne Mörtel baute. Der Stupa erinnert mich an die russischen Kurgane, Mounds der Nordindianer und die etruskischen Grabhügel. Dieser Vergleich zeigt, dass auch in der vorgeschichtlichen Zeit die nützlichen technologischen Entwicklungen kaum auf nur ein Teil der Erde begrenzt blieben: Technologietransfer ist keine moderne Erfindung, sondern war ein natürlicher Phänomen im Laufe der ganzen Entwicklung der Menschheit.
Bild 5. Der herrliche Osttor der abgebildeten Stupa mit perfekt erhaltenen Skulpturen untermauert meinen Zweifel an der Richtigkeit der Datierung von frühbuddhistischer Phase in der Geschichte Indiens. [1, S. 31]. Soll das ein Ergebnis der Restauration im 20. Jh. sein? Wenn ja, dann möchten wir wissen, wie viele solche Restaurationen im Laufe der Jahrhunderte dokumentiert wurden.
Bild 6. Stifterfiguren am Eingang eines Höhlentempels, Staat Bombay. 1. Jh. n. Chr. nach traditioneller Datierung [1, S. 53]. Sandstein. Sind das die indischen Adam und Eva? Trägt "Adam" einen mittelalterlichen Turban?
Bild 7. Stehender Buddha aus Sandstein mit einem katholischen Heiligenschein. Soll aus dem 5. Jh. n. Chr. stammen (warum nicht aus dem 15.?) [1, S. 57]
Bild 8. Die klugen Inder haben Götter, die himmlischen Herrscher, und fast nie die Herrscher ihrer Staaten abgebildet. Hier eine seltene Ausnahme (Hinduistisches Herrscherpaar, angeblich aus dem 10. Jh. n. Chr.) [1, S. 100], falls es stimmt, dass es wirklich Herrscher gewesen sind und das sie im 10. Jh. und nicht viel später porträtiert wurden.
Bild 9. Mutter und Kind (Maria mit Jesus?) angeblich aus dem 10. Jh. n. Chr. [1, S. 101]. Mich erinnert die Statue auf die Bilder der italienischen Renaissance.
Bild 10. Teil des Großen Tempels von Madurai mit dem Goldlilienteich und einem Gopura (Torturm). 17. Jh. n. Chr. [1, S. 116]. Diese Datierung kann sogar stimmen: in der Zeit neigte man in der ganzen Welt zu Großbauten. Die ägyptischen Pyramiden, die Große Chinesische Mauer, die riesigen Paläste und Tempelanlagen – alle sie stammen vermutlich aus der Zeit nach 1500.
Bild 11. Heiliger Stier Nandi. Sandstein. Angeblich aus dem 11. Jh. n. Chr. [1, S. 127]. Der hätte sich vielleicht sogar in einer spanischen Arena gegen die Matadoren behaupten können.
Bild 12. Tanzender Shiva mit Engelsflügeln. Angeblich aus dem 10. Jh. n. Chr. [1, S. 131]
Bild 13. Kein Herrscherpaar, sondern Gott Shiva mit seine Partnerin Parvati. Bronze. Angeblich aus dem 11. Jh. n. Chr. [1, S. 132]
Bild 14. Vishnu nimmt die Gestalt eines Fisches an, um den Seedämon zu töten. Eine noble Absicht, die aber mit Chronologie der indischen Geschichte kaum etwas gemeinsames hat. 17. Jh. n. Chr. [1, S. 155]
Bild 15. Endlich mal eine Festung! Maharaja Takhat Singh von Jaipur. 1850.
Bild 16. Zwei landwirtschaftliche Szenen aus Kashmir. Eine persische Handschrift aus dem 19. Jh. Gut, dass es keinem Geschichtler gelang, dieses Manuskript in das 10. oder sogar 1. Jh. zu datieren (Aus D.D. Kosambi, Das Alte Indien, Berlin, 1969, S. 32-33)