"Zwei frühe Kirchtürme des Bremer Bistums":
Anmerkungen zu dem beachtenswerten Aufsatz von Heinz B. Maass
Uwe Topper, Berlin
Die Beobachtung, dass die Türme (meist) älter sind als die dazugehörigen Kirchen, habe ich vielfach in Westeuropa, neuerdings auch in Deutschland, machen können. Gerade bei der jüngst besuchten Kirche in Ankershagen in Mecklenburg entstand derselbe Eindruck, dasselbe gilt für die Feldsteinkirche St. Remigius in Suderburg in der Lüneburger Heide, deren runder Wehrturm getrennt vom Fachwerkbau der Kirche steht und rund tausend Jahre alt sein soll.
Auch aus Tirol liegen mir neueste Hinweise vor (Frank v. Lamezan). Allerdings sind meine Schlussfolgerungen etwas anders als die von Maass beschriebenen: Ich vermute, dass diese Türme zunächst ganz profanen Zwecken dienten, nämlich der Nachrichtenübermittlung. Einerseits kann man das aus dem Netz der Türmeketten schließen - sie stehen in Sichtweite und bilden Linien, die viele hundert Kilometer weit über Land reichen - und andererseits aus dem Eingang im ersten Stock.
Dieser ist kein Hinweis auf Wehrtürme, (wie Maass richtig bemerkt,) sondern er ist die Sicherung gegen unbefugten Gebrauch: Die Wachmannschaft wurde nur durch jene Leute, die dazu berechtigt waren, abgelöst. Als Signale dienten bei Tage Spiegel und bei Nacht Glaskugeln, die das Licht der Sonne oder einer kleinen Feuerquelle (Kerze reicht!) bündeln, das dann in Abständen (ähnlich dem Morsesystem, aber eher wie die Ogham-Schrift aufgebaut) gesendet werden konnte. Hier mischen sich neue Erkenntnisse (z.B. von Gernot Geise), meine Forschungsergebnisse in Spanien ("Das Erbe der Giganten", 1977) und meine Vermutungen.
Die Verwendung dieser Türme als Beinhaus ist durchaus sinnvoll, nachdem man von der Feuerbestattung abgekommen war, denn diese Türme waren allgemein sakrosankt. Auch eine spätere Verwendung für kultische Zwecke ist eine logische Folge, wobei ich die etwas gesuchte Verbindung zum "Abendmahl auf dem Söller" nicht einsehe. (Eher könnte diese Episode aus dem Evangelium nach dem schon vorhandenen Kultraum in den Türmen dem Evangeliumstext hinzugefügt worden sein). Auch als Taufort haben die Türme - wie Maass klar herausgearbeitet hat - ursprünglich nicht gedient.
Die später angefügten "Kirchen" waren m.E. zunächst keine christlichen Kultgebäude, sondern Gerichtshäuser, "Basilika" auf Griechisch; in Ankershagen war das deutlich zu sehen. Die frühesten christlichen Kulträume im Abendland waren Oktogonale (z.B. Maria im Kapitol in Köln), insofern den Turmräumen nachgebildet. Erst später wurden die rechteckigen Basiliken umfunktioniert zu Kirchen.
Wie Maass an Hand der Zitate aus P. Schmid darstellt, ist der Übergang von der Feuerbestattung zur Körperbeisetzung (mit der Zwischenstufe Beinhaus) ein fließender Vorgang, der mit der Christianisierung nicht zusammenhängen muss. Erst die strenge Katholisierung nach der Avignoner Gründungsphase des Papsttums und Übersiedlung nach Rom (statt Paris, was sinnvoll gewesen wäre), hat dann die Körperbestattung allgemein durchgesetzt. Ich möchte darum noch einmal auf meine These hinweisen, dass wir zwar einen "gotischen" Kult und entsprechende Kulträume ("Kirchen") in Europa schon im 11. bis 13. Jh. haben, dieser Kult aber mit dem heute bekannten Christentum fast nichts zu tun hat, auch nicht als dessen Vorläufer ("Arianismus") angesprochen werden sollte.
Die radikale Änderung der europäischen Religionen - die regional ungeheuer stark verschieden waren - und die Zentralisierung sind Vorgänge, die nicht vor 1190 einsetzten und nicht vor 1420 beendet waren. Eigentlich hat uns erst die Reformation eine einheitliche Kirche, auch eine katholische, beschert.
Und nun zu seinem Buch "Neues aus dem altern Stedingen" (1993), das hauptsächlich Fragen der Heimatkunde des Stedinger Landes an der Unterweser behandelt. Hier streift Heinz Maass auch den Stedinger Kreuzzug von 1234, über den es zahlreiche Untersuchungen gibt. Laut Lexikon sollen die Stedinger 11000 Mann unter Waffen gestellt haben und einer Übermacht von 40000 Feinden erlegen sein, die von so weit entfernten Gebieten wie Kleve am Rhein herangezogen kamen.
Diese Zahlen - selbst wenn sie falsch sein sollten - lassen den Gedanken zu, dass es sich um mehr als nur um Gebietsansprüche und ein paar zerstörte Burgen handelte. Es muss ein Religionskrieg gewesen sein. Die Bezeichnung "Kreuzzug" und die Behauptung, dass man gegen "Ketzer" vorging, besagt das ja auch, wenngleich man in allen späteren Dokumenten tunlichst verschwieg, dass diese Ketzer nicht etwa Christen mit abweichender Bibelauslegeung waren, sondern echte "Heiden" (Wenden usw.).
Wenn die Stedinger tatsächlich elftausend Mann zusammenbrachten, muss ihr Land oder ihre Anhängerschaft sehr viel größer gewesen sein, als dies heute angenommen wird.
Die - vermutlich unkorrekt rückerrechnete - Jahreszahl 1234 liegt etwa in dem Zeitraum, den ich für die beginnende Katholisierung Mitteleuropas ansetze. Eine Neubewertung von Sigrid Hunkes grundlegendem Werk "Europas eigene Religion" (Tübingen 1997) unter Berücksichtigung der zerbrochenen Chronologie wäre eine wichtige Aufgabe.