Uwe Topper, Berlin



Franken im 5.-8. Jh. ?



Bemerkungen zur schamlosen Frechheit, mit der in der Wanderausstellung "Die Franken - Les francs 5.-8.Jh." (Paris, Mannheim, Berlin) Fälschungen als Dokumente vorgestellt werden.



Katalog: Die Franken. Wegbereiter Europas. 5.-8. Jh. n. Chr. Reiss-Museum Mannheim, Musée du Petit Palais, Paris und Museum für Vor- und Frühgeschichte, Berlin.

Hrg. Alfried Wieczorek, Patrick Périn, Karin v. Welck, Wilfried Menghin. (Mainz 1996, 2.Aufl. 1997). 2 Bde, braunes Deckblatt.



Alle zitierten Texte sind die zu den jeweiligen Objekten gehörenden Katalogtexte.



Der Berliner Geschichts-Salon ("BGS"), hat zwischen seiner 11. und 12. Sitzung erstmals eine Ausstellungsbegehung durchgeführt. Anlaß war die von Uwe Topper beim 11. BGS geäußerte "skandalöse" Behauptung, daß ein enorm großer Teil der von Paris über Mannheim nach Berlin gewanderten Exponate der Franken-Ausstellung nicht nur falsch datiert sondern plumpe Fälschungen seien.

Da Topper in dieser Materie prinzipiell Laie ist, war sein Angriffspunkt direkt und global. Darum konnten die herbeigeströmten Fans des BGS (insgesamt waren wir an diesem Sonntag, dem 5.10.1997, zehn Personen) seinen Ausführungen mühelos folgen. Das Ergebnis war katastrophal - für die Franken wie für deren Organisatoren.

Der für Berlin hauptverantwortliche Direktor Prof. Dr. Menghin, äußerst sympathisch und kontaktfreudig, folgte zuletzt willig zu vier Objekten und mußte bei dreien unumwunden zugeben, daß die vorgebrachte Kritik berechtigt sei. Bei dem vierten Objekt gab er - obgleich der Augenschein für sich spricht - nicht nach, aber - wie H.-U. Niemitz anmerkte - vermutlich nur, weil er seinen jungen Kollegen Prof. Dr. Knaut nicht düpieren wollte, der gerade kurz vorher behauptet hatte, das beanstandete Messer sei durch die Fundumstände als echt gesichert. Diese "Fundumstände" konnten in mehreren Fällen so handfest angezweifelt werden, daß sie als Argument ausgedient haben.



Aber gehen wir der Reihe nach vor. Wir beginnen in Saal 1 an der Tür:

"Leider können Sie nicht eintreten, weil durch einen bedauerlichen Fehler die Türen geschlossen sind," sagt der Türhüter. H.-U. Niemitz wirft einen Blick durch die Glastüren, die tatsächlich verriegelt sind, und weist auf die darin befindlichen Besucher hin. "Die werden wir wieder befreien!" wird er vertröstet.

So ist Toppers Konzept, das er seit Wochen mit Literatur und am Objekt im Ausstellungssaal erarbeitet hat, erst einmal durcheinander gebracht. Den Grund kann man nur ahnen. Wir beginnen den Rundgang daher am Ende, in Saal 3:

Da haben wir als erstes Objekt ein wunderhübsches Holzmodell einer doppelten Schiffmühle aus dem Rheintal, rekonstruiert nach Teilen, die bei Gimbsheim (Worms) in einer Kiesgrube gefunden wurden (Kat. S. 786 ff.). Durch dendrochronologische Analysen sowie durch zwei kalibrierte C14-Bestimmungen ist die Datierung gesichert: "760 n.Chr.". Die Rekonstruktion aus den winzigen Reststücken erfolgte aber eher auf grund unserer Kenntnisse dieser Art von Schiffmühlen, die bis 1929 auf dem Rhein noch funktionierten. Vor allem scheint eine im Katalog (Abb. 638, 8) abgebildete Zeichnung des 15. Jh. als Vorbild gedient zu haben. Tatsächlich müßten statt der kleinen Holzrädchen echte Eisenzahnräder verwendet worden sein, wenn diese Mühle längere Zeit arbeiten sollte, was sie auch tat: man fand abgenützte Mühlsteine. Das Modell bringt aber - dem 8. Jh. angepaßt - nur Holzritzel, die, da sie die um 90 Grad versetzte Kraftübertragung bewerkstelligen mußten, sicher in kürzester Frist verbraucht gewesen wären.

Dann wandten wir uns den Mauerresten der Kirche des Heiligen Willibrord zu, Missionar seines Zeichens und wallfahrtheimgesucht, und mußten überrascht feststellen, daß der prachtvolle Sarkophag und das steinerne Lesepult trotz bewundernswerter Dekoration nicht ein einziges christliches Merkmal aufzuweisen haben. Die Datierung - "738 n.Chr." - dürfte aus kirchlichen Texten entnommen sein und hat wenig Chancen auf Verifizierung. Unzumutbar ist allerdings die völlig heidnische Gestaltung einer angeblich christlichen Wallfahrtskirche.

Denselben Fehler konnten wir dann an einer ganzen Reihe von Denkmälern, besonders Grabsteinen, feststellen: Die ausdrücklich als christlich ausgewiesenen Grabsteine tragen seltenst irgendwelche christlichen Zeichen.

Als herausragendes Beispiel sei der Grabstein von Niederdollendorf (Kat. IX, 1.12, Abb. 608 und 609; auch abgebildet in Synesis 18, S. 5 unten) angeführt, der als Beweis für fränkisches Christentum im 7. Jh. gilt. Auf der Vorderseite trägt er einen ohne handwerkliches Können imitierten Krieger mit Kamm, Schwert und Weinflasche, auf der Rückseite einen geritzten Mann mit Lanze und Strahlenkranz, der als Christus interpretiert wird. Auf der Oberkante sieht man Strichdekors in X-Form und leitet hiervon - da Chi = Christus - den Beweis ab, daß dieser Krieger Christ war. Leider haben diese Ritzungen (siehe Abb.) nichts mit dem griechischen Chi zu tun, das zeigt der Augenschein. Aber schlimmer: Der Fälscher wollte gar keinen christlichen Grabstein herstellen, sondern einen heidnischen, was ihm fast gelungen wäre, wenn man nicht an der ganzen Ausführung und zahlreichen Details - Gesicht, Hände und falsch geritzte Linien an den Füßen - sofort erkennen würde, daß es sich um eine äußerst naive moderne Nachahmung handelt. Nachdem der Stein im 19. Jh. für die damals noch recht unbekannten Germanen als visueller Hinweis herhalten konnte, ist er nun christlich vereinnahmt worden, was absurd erscheinen muß.

Nicht besser geht es uns mit dem danebenstehenden Grabstein der Leutegund (IX, 1.11, Abb. 186), "datiert ins 6./7. Jh." Die in seltsamen Abkürzungen und unüblichem Schriftbild verfaßte Inschrift wird im Katalog mit einiger Fantasie folgendermaßen gelesen: Es bedeckt hier der Stein die sterbliche Hülle der Leutegund, die im Taufgewand uns entrissen wurde und deren Seele im Frieden Christi ruht. Es bestatteten in diesem Grab Vater und Mutter liebevoll ihre Gebeine. Darin atmet der katholische Geist des 14. Jh. oder noch späterer Zeit, jedoch nicht der Franken. Das XPI für Christus läßt auf Kennerschaft beim Fälschen schließen, nur eben falsche Kennerschaft, denn die Verwendung dieses griechischen Kürzels im 7. Jh. mitten in einer lateinischen Inschrift ist einfach stilbrechend.

Der dritte dieser schön präsentierten Grabsteine, die speziell fränkisches Christentum beweisen sollen, stammt aus der Merowingerzeit in Luxemburg und schießt den Vogel ab. (IX, 1.10, Abb. S. 1024). Er sei "eigens" aus einer "römischen Götterstele" herausgeschnitten und zeige auf der Vorderseite "Fische" und "Instrumente, die an fränkische Äxte erinnern", aber "eher selten" in jener Zeit seien; überhaupt sei die Gesamtkonzeption einmalig, es handele sich um ein einzigartiges Kunstwerk der jüngeren Merowingerzeit. Die rückseitige Götterstele zeigt Unterkörper mit Beinen von zwei Personen, deren eine durch herabhängende Flügelspitzen als Engel zu bezeichnen wäre. Leider hängen die Flügel gar zu tief herab, und die ungelenke Beinstellung läßt sofort erkennen, daß es sich um eine späte Fälschung handelt, vielleicht im 19. Jh. angefertigt. Diese Rückseite fällt als Beweis aus, aber die Vorderseite könnte ja immer noch für christliche Franken zeugen. Die "Fische" haben höchstens Ähnlichkeit mit Delphinen, wenn nicht sogar mit Vögeln, während die "Äxte" gar nicht fränkisch aussehen, sondern Messer zur Lederverarbeitung darstellen; sie wären demnach nur falsch interpretiert, wenn nicht der Augenschein allein schon die Fälschung offensichtlich machte. Es wundert einen dann jedoch, daß auch hier kein einziger Hinweis auf Christlichkeit vorkommt, so daß der Hauptbeweis, den diese Fälschungen heute antreten sollen, ohnehin ausfällt. Im vorigen Jahrhundert hatte man ja noch nicht so hochfliegende Pläne mit diesen Fälschungen vor, sondern nur finanzielle Interessen, um "heidnische Grabstelen" verkaufen zu können.

Die dilettantische Rundreliefdarstellung Karls d.Gr. aus Mustair, die mit ihrem Reichsapfel und der Bourbonen-Lilie, der falschen Krone und dem unförmigen Wanst eine Zumutung ist, hat Heribert Illig (1996, S. 196/8 und 328) schon vom angeblichen 9. ins 12. Jh. verschoben. Toppers Behauptung einer noch viel späteren Herstellung ließen wir mitsamt der Statue im Raum stehen und wandten uns ins Treppenhaus, wo wir dem Reiter von Hornhausen gegenübertraten (VI, 1.5, Abb. 237, Text S. 928), der uns ja aus den Schulbüchern sattsam bekannt ist. Die anfängliche Überraschung, ein aus der "1. Hälfte des 7. Jh." stammendes so fern von Franken (nämlich bei Halle a.d.S., heute im dortigen Museum) gefundenes Relief in diesem Zusammenhang wiederzusehen, wurde noch übertroffen durch die Bezeichnung als "christlichen Reiterheiligen" "mit Helm, Schild und Lanze". Ein Helm ist nicht zu sehen, sondern langes wallendes Haar, und den meist als Wotan oder anderen heidnischen Heros bezeichneten Reiter als "christlichen Heiligen" zu deklarieren, bedarf doch einer gewissen Frechheit, zumal sich unter dem Reiter die Midgard-Schlange befindet, die nur als heidnisches Sinnbild eingeordnet werden kann. Weitere Anhaltspunkte bringen das Relief und die winzigen Bruchstücke, die dazu gehören, leider nicht. Trotzdem nimmt sich der Katalogschreiber heraus, den Stein als Fragment einer sechsteiligen merowingerzeitlichen Kirchenchorschranke zu bezeichnen, wozu ein Hinweis auf das dabei ebenfalls ausgebrabene "sächsisch-fränkische Gräberfeld" mit "drei Pferdebestattungen des 8./9. Jh." bestens geeignet scheint. Mal ganz abgesehen von dem Wissen, das wir in den letzten 15 Jahren erarbeitet haben, kann doch auch ein traditionell arbeitender Wissenschaftler an hand dieses Reiters nicht ernsthaft eine christliche Kirche im 6./7. Jh. bei Halle postulieren und die 200 Jahre später erfolgten heidnischen Pferdegräber als bestärkenden Hinweis darauf.

Unter Zeitdruck konnten wir in Saal 2 nur einige Stichproben vornehmen, die aber dermaßen bezeichnend sind, daß die Erwähnung der übrigen von Topper untersuchten Absonderlichkeiten das Bild nur vervollständigte. Auch dort stießen wir wieder auf zwei christliche Chorschranken (VI, 1.4 und VII 2.2), die aus dem 7. Jh. stammen sollen und so plump gefälscht sind, daß es einem Zahnschmerzen verursacht. Beide täuschen Primitivität vor und zeigen doch nur, daß andere Falsifikate mit mehr Können ausgeführt sind. Die erste der beiden, einen bärtigen Mann mit Buch ("Johannes") und zwei flankierenden Tauben darstellend, ist schon als Fragment hergestellt worden, wie man unschwer an der Gestaltung der Hand sieht, d.h. man machte sich gar nicht erst die Mühe, ein ganzes Relief neu zu gestalten und dann zu zerschlagen, wie es bessere Fälscher tun.

In Vitrine 43, 3 sahen wir ein Reliquienkästchen aus Essen (VI, 1.7), "frühes 7. Jh.", mit Beschlägen aus Bein, dessen "Bildprogramm ... im Mittelalter durch eine Restaurierung verändert wurde". "Ursprünglich trugen Vorder- und Rückseite drei Felder mit figürlichen Darstellungen "(S. 928), und zwar "auf der Frontseite Christus mit erhobenen Armen, der beidseitig von Engeln flankiert wurde. Auf der Rückseite wurde das Bild des gekreuzigten Christus von zwei zurückblickenden Vierfüßlern gerahmt." Sie "kennzeichnen das Kästchen als einheimische Arbeit der jüngeren Merowingerzeit" (S. 646) und beweisen "Einfüsse fränkisch-aquitanischer Tradition" (S. 651). Diese figuralen Stücke, die schon im Mittelalter entfernt wurden, sind leider heute nicht zu sehen, dafür aber handwerklich sehr schlechte Nachahmungen, die nur eins zeigen: daß das Kästchen vor dieser mißlungenen Restaurierung wahrscheinlich nichts Christliches vorzuweisen hatte.

Die daneben liegende Schnalle (VI, 1.13) mit den Propheten Habakuk und Daniel ist eine hübsche jüdische Arbeit des 19. Jh., von der sein Hersteller vermutlich nicht träumte, daß sie dereinst in dieser Musterschau deutsch-französischer Freundschaft auftauchen würde.

Wir werfen nur einen flüchtigen Blick auf das Reliquiar der Heiligen Mumma (VI, 1.11; um 680) und die elfenbeinernen Buchdeckel, die vor allem im Katalog so schön Chlodwigs Taufe oder die Namen der Herrscher von Austrasien zwischen 575 und 662 belegen oder die nach 1659 wieder verschwundenen Namen posthumer Bischöfe des 6. Jh., und schauen uns den bronzenen Thron von Dagobert an, dessen Hauptteile im 7. Jh. verfertigt sein sollen, während Rücken- und Seitenlehnen angeblich aus dem 9. Jh. stammen. Beim Anblick der flankierenden Löwen mit ihrer typisch maurischen Fellmusterung und der hochmittelalterlichen Ornamentik der Lehnen sowie den antik anmutenden Dekorteilen ist er ein Musterbeispiel für Stilmischmasch, wie ihn fantasievolle Handwerker der Renaissance hervorbringen konnten. Da er einzigartig und einmalig für seine Zeit ist, löste er bei Niemitz den Merkspruch aus: "Einzelstücke sind in der Technikgeschichte undenkbar."

Über die zahlreichen Manuskripte und Diplome des 6. Jh., die meist in Abschriften des 9. Jh. vorliegen, können wir uns kurz fassen. Schon Pertz (1872) und ihm folgend Bresslau (1914) und besonders Bruno Krusch (1938) haben schrittweise immer mehr von diesen Diplomen als Fälschungen aussortiert, so daß fast nichts mehr übrig blieb. Zahlreiche dieser Fälschungen sind, wie Krusch sagt, so jämmerlich, daß jede Diskussion zuviel wäre; da gibt es "erfundene Pfalzen, Kuckuckseier im Stil, falsche Daten ..."

Einige der sehr schön geschriebenen Bücher, z.B. das des Gregor von Tours, das aus dem 7. Jh. (!) stammen soll, wurden von Humanisten verfaßt und könnten - richtig eingeordnet -durchaus unsere Bewunderung auslösen, wie z.B. ein Pharmakopeion (A 13), das im 6.-7. Jh. niedergeschrieben sein soll und als Prachtstück des 14. Jh., wie Topper vorschlägt, nichts an Glanz verlieren würde; andere sind allerdings dümmlich auf archaisch oder barbarisch getrimmt, um besser in die Frankenzeit zu passen, und damit völlig wertlos, ja widerwillen erregend, wie die Lex Ribuaria ("9. Jh."), die einen hingekrakelten "König beim Schatzwurf " zeigt (siehe Abb.). Kritzeln und Schmieren auf Pergament war selbst einem Kopisten ein Greuel, derartige Geschmacklosigkeit ist erst Menschen zuzutrauen, die Papier in Fülle zur Verfügung haben.

Ein Grabstein (Abb.) zeigt das in aller Deutlichkeit: Der Stein des Victorinus, der bei Krefeld gefunden wurde und exakt ins Jahr 259/260 datiert wird. Der Text besagt in plumpem Latein : "Der Beschützer Viktorin kämpfte dreißig Jahre, er fiel im Barbarenland gerade vor Deutz durch einen Franken. (Unterschrift:) Stellvertreter von Deutz." Köln-Deutz liegt übrigens von Krefeld ein beachtliches Stück entfernt, dreißig schrieb man auf Grabsteinen mit 3 X (statt TRIGINTA), das IN BARBARICO klingt doch sehr ausgedacht, der Begriff Franke für Krieger kommt 260 um einige Generationen zu früh, Unterschriften in kleineren Buchstaben sind auf Grabsteinen mit ihrem streng festgelegten Formular nicht möglich, und - jetzt wird es ernst - : eine derartig krakelige Schrift würde niemand auf Stein verewigen, nicht einmal ein einfacher römischer Soldat, sondern nur jemand, der es gewohnt ist zu kritzeln. Man beschriftete Grabsteine nicht wie Notizpapier!

Wir nahmen uns anschließend schönere Grabsteine vor, wie etwa den des Presbyters Badegisel (VI, 5.10), der die "typischen" Grammatikfehler des 7. Jh. aufweist, als Ornament aber nur heidnische Pfeilrunen bringt, oder die beiden "Schlüsselfunde", die Steine von Ludino und Pauta aus Worms (IV, 4.2 und 3), die 1844 veröffentlicht wurden und seit 1862 im Museum stehen. Der letztere trägt wundersame Namen, die zu "zahlreichen sprachwissenschaftlichen Untersuchungen" Anlaß gaben, ohne daß man die Namen einwandfrei als germanisch ansehen könnte; man spricht lieber von "Koseformen". Auch die Inschrift für Rignedrudis (Abb. 606) hat diese archaisierenden Fehlschreibungen, die bedeuten sollen, daß man damals eben nicht mehr so richtig Latein konnte und ja auch schließlich ethnisch fremd war. Einschließlich der Steinmetzen, wohlgemerkt.

Den großen Lacher erntete der Germanenkopf von Welschbillig bei Trier (IV, 2.2), der zwar bei seiner "Entdeckung" vor rund 120 Jahren echt gewirkt haben mochte, aber mit unserem heutigen gewandelten Stilempfinden eben als typisches Produkt seiner Zeit auffällt. Erhaltungsform, Bartkotletten und Haartracht müßten den Ausstellern zumindest verdächtig vorgekommen sein, wenn sie schon nicht darüber staunten, daß mit diesem Kopf noch weitere Hermen von "Göttern, Griechen, Römern und Barbaren" gefunden wurden.

Ein komplizierterer Fall von Täuschung sind die beiden Gräber unter dem Kölner Dom, die 1959 ausgegraben wurden. Der Spangenhelm des Prinzen ist mit einem Nackenschutz aus modernen Stahlringen versehen, die angeblich so gefunden und nur gereinigt wurden, wobei jeder Hinweis auf deren komplette Neuherstellung fehlt. Im Grabinventar der Prinzessin, die unbedingt als Christin in die Geschichte eingehen muß, befindet sich ein als Amulettbehälter bezeichnetes Gefäß aus vergoldetem Silber, das durch seine Gestaltung und sein Dekor als barock einzustufen ist. Es handelt sich demnach um ein Reliquiengefäß, allein schon der Größe wegen; außerdem fällt es als unpassend auf, wenn man es mit den als echt anzunehmenden Amulettkapseln von Vitrine 76 (IX, 2.21, 22 und 23) vergleicht. Wenn ein derartiger "Irrläufer" in einem absolut verschlossenen Grab auftaucht - die Kleidungsreste konnten sich nur unter völligem Luft- und Feuchtigkeitsabschluß erhalten, heißt es im Katalog -, ist das Vertrauen in die "Fundumstände" zerbrochen.

Das dazu mitgelieferte Märchen vom Prinzen und seiner Braut, die frühzeitig starb, ist äußerst publikumswirksam, dagegen ist nichts einzuwenden. Dieses mit Geschichtsfakten gleichzusetzen, wie es die Aussteller tun, ist naiv. Aber fremde Gegenstände ins Fundinventar einbringen, wie den silbernen Reliquienbehälter im Grab der Braut, ist Fälschung. Da stellt sich dann die Frage für den Laien wie mich: Kann ich den Ausgräbern nicht mehr trauen? Oder wurden auch sie hintergangen? Und wer hat die Hand im Spiel - Geschäftemacher oder Kirchenfürsten? Schließlich: Wie offensichtlich ist den für die Ausstellung Verantwortlichen der Sachverhalt?



Damit soll nicht gesagt werden, daß sämtliche Ausstellungsgegenstände fragwürdig sind; aber ein viel zu hoher Anteil ist offensichtlich gefälscht, wodurch für einen Laien auch die anderen Prachtstücke in seltsames Licht gerückt werden. Und einige Gegenstände sind offensichtlich aus Unkenntnis falsch bezeichnet. Da gibt es mehrere Kristallkugeln aus Frauengräbern (6. Jh.; Abb. in Synesis 18, S. 7 rechts unten), mit Gold- und Silberbändern gefaßt, zum Aufhängen gedacht, die einfach als Amulettanhänger notiert sind. Offensichtlich weiß man nicht mehr, daß sie zum Leuchten oder Übermitteln von Lichtzeichen dienten, wie G. Geise seit 1996 mit einsichtigen Argumenten erklärt.

Was wir dann in Saal 1 endlich zu sehen bekamen, steigerte zunächst die gute Laune, machte am Ende aber nachdenklich. Überaus witzig wirkt die Inschrift für den "Priester (?)" Aldualuhus, die ich im Original zitieren möchte (IV, 4.5):

HIC. PAV/SAT. COR/PUS ALD/UALUHI.CV/IUS. ANIMA /GAUDET.IN/ CAELO .

"Hier ruht der Körper des Aldualuhus, dessen Seele sich im Himmel erfreut."

Die Schrift ist recht fantasievoll, wobei U und V willkürlich wechseln, das A und L in zwei Formen vorkommen und D und G nach gotischer Manier geschrieben sind, aber "gotisch", wie man es in Dürers Zeit noch schrieb. Einfach spaßig ist die Verwendung des Begriffs Anima, die sich im Tode trennt vom Corpus. Diese Vorstellung ist nicht vor dem 13. Jahrhundert aufgekommen. Daß die Anima in den Himmel direkt kommen kann, um sich dort zu erfreuen, ist höchst modern, selbst in der Renaissance noch unüblich. Das PAVSAT (für ausruhen) kommt im klass. Latein noch nicht vor, ist wohl auch nur ironisch gemeint und soll auf die spätere Auferstehung des Leibes anspielen. Der Kommentar im Katalog ist äußerst knapp, Datierung in Bd. 1: "8. oder 9. Jh.," in Bd. 2: "8. Jh.", einem "Priester (?)" zugeteilt. Als Herkunftsort wird Bergkloster Worms angegeben. Man hat das Gefühl, daß sich ein gelehrter Mönch einen Scherz erlaubt hat. Der Stein fällt auch Laien als ungewöhnlich auf, müßte also bei den Verantwortlichen zumindest Verdacht erregt haben. Schaut man sich dann die angeblich gemeißelten Linien genauer an, erkennt man, daß sie nur mit einem mechanischen Steinschneidegerät hergestellt sein können, etwa mit einer Flex.

Auf anderen Grabsteinen gibt es schwülstige Texte mit eingeschalteten Runenbuchstaben, z. B. bei Dructacharius (IV, 4.7), "gebettet am Fuße der eigenen Burg", oder unmögliche Wendungen, wie bei Abt Pertrammus (IV, 4.8), "der 36 Jahre in Frieden lebte" (man starb oder ruht in Frieden). Allen drei Steinen fehlt jegliches christliche Dekor, das man bei einem Abt oder Presbyter zumindest erwarten sollte. Dafür haben wir andere Steine, die nur Kreuze aufweisen, allerdings solche, die stilgeschichtlich ins 19. oder 20. Jh. einzuordnen sind (Abb.).

Für Glas oder Schmuck war leider niemand von unserer kleinen Gruppe zuständig. Aber die Schwerter, Helme und sonstigen Eisenwaffen boten auch Laien einige Angriffspunkte. Da liegt neben Grabbeigaben (III, 3.10) wie Wollschere, Vorschlagpunze, Messerfragment und Feuereisen ein modernes Stahlbeil, wie es aus einem heutigen Bauhandwerkermarkt stammen könnte. Man kann den Unterschied in Form, Material und Bearbeitung deutlich erkennen, vor allem wenn man sich wie Topper die Mühe macht, sämtliche ausgestellten Äxte, die sogenannten Franzisken, genau zu betrachten. Eine Täuschung ist ausgeschlossen. Da helfen die Fundumstände nicht mehr, ebensowenig wie bei dem "tauschierten Messer" im Männergrab III, 3.6, in dessen (von der Form her schon unkorrekten) Klinge Messingzahnrädchen einer modernen Taschenuhr eingelegt sind. Hübsch anzusehen und durchaus stilvoll angeordnet, aber handwerklich unmöglich. Da ist es gar nicht nötig zu zitieren, daß (ungeachtet der ganz anders gearteten Tauschierung von Schmuckgegenständen der Völkerwanderungszeit) Benvenuto Cellini in der Renaissance erstmals diese Technik des Tauschierens in Europa verwendete, nachdem sie ein gehütetes Geheimnis der damaszener Werkstätten gewesen war; es reicht der Hinweis, daß man mit der Hand nur so genau Messing ("Gelbguß" bzw. eine entsprechende Legierung) stanzen kann, wie eine Lupe gerade noch sichtbar machen kann, nicht aber mit der Präzision von Bruchteilen von Millimetern, wie sie moderne Zahnrädchen aufweisen.

Unter den vielen aus Zeitmangel übergangenen Objekten zweifelhafter Herkunft wäre noch ein Spangenhelm aus Burgund zu erwähnen (V, 2.11 in Vitrine 23,3), dessen Stirnband in Kupfer einen getriebenen Bilderfries zeigt, mit Jagdszenen und heidnisch-antiken Büsten. Es ist unglaubwürdig, daß der fränkische Krieger selbst diesen heidnischen Reif an seinem ("christlichen") Helm anbrachte; man möchte lieber einen findigen Antiquar oder seinen Handwerker damit belasten.

Nun handelt es sich ja bei dieser Ausstellung nicht um eine Messe der Antiquare sondern um eine höchstpolitische Propagandaschau, für die Chirac und Kohl mit ihrer Unterschrift bürgen. Wie auch einige Besucher spontan anmerkten, geht es um Millionen von Steuergeldern. Und ob Volksverdummung nicht ebenso strafbar wäre wie Volksverhetzung, wurde auch angetippt.

War das Aufstellen der Peutinger-Tafel als "Straßenkarte des Röm. Reiches im 4. Jh." gleich am Eingang zur Ausstellung (im Katalog, S.55 "spätrömische Straßenkarte" und Abb. 38) nur eine Falschdarstellung oder eine bewußte Irreführung? Oder der Stadtplan von Köln ("Vogelschau, 4. Jh."), der ganz sicher nach der Renaissance gezeichnet wurde und offensichtliche Fehler aufweist, wie Prof. Menghin selbst konstatierte und ihn ohne zu zögern ins 18. Jh. datierte. Abgesehen von der falschen Deklarierung der Objekte, die ja nur den Laien verwirren, wären nämlich noch andere Dinge zur Sprache zu bringen. Warum die Peutinger-Tafel heute als Originalabschrift des 13. Jh. (von einer "Vorlage des 3. bis 5. Jh.") angesehen wird, wo doch schon seine Zeitgenossen annahmen, daß Conrad Celtes sie (nach 1491) persönlich erfunden hat, wie er auch den Berosos und den Hunibald (beide gemeinsam mit Abt Tritheim), die Chronik von Friedrich I und das Werk der Hroswita von Gandersheim gefälscht hat? Übrigens hat der ehrsame Peutinger mit der Tafel nichts zu tun, sie wurde erst 1714 (wieder)gefunden und 1824 gedruckt.



"Geschichte"



Unser gesamtes Geschichtsbild von den Franken beruht auf zwei lateinischen Texten: den "Geschichtsbüchern" des Gregor von Tours und dem Werk des Dichters Venantius Fortunatus (530-600), "Weggenosse und Freund" von Gregor (S. 1125, außerdem Text zu VII, 2.1 und Ms. A 21). In dessen Dichtung wird der riesige Palast auf einem Berg bei Breitenstein (?) über der Mosel beschrieben, eine Befestigung mit 30 Türmen. Doch wurde der Palast, "der im Stil der antiken Portikusvillen an der Eingangsfront von Säulen gesäumt war", trotz dieser genauen Beschreibung nie gefunden. Vielleicht hatte ein Trierer Klosterbruder Kenntnis von einer Ruine in seiner Umgebung und mischte mit ebenfalls vorhandener Kenntnis antiker Bauweise diesen Palast zurecht, um seiner Dichtung einen Glanzpunkt aufzusetzen. Darüber brauchen wir heute nicht schamrot zu werden. Aber die erstaunlichen Schlußfolgerungen, die Wissenschaftler aus dem Gedicht des Venantius ziehen, machen einen Laien sprachlos: Im Katalog liest man von der Anwerbung von "Fachleuten aus dem Inneren oder dem Süden Galliens" zur Errichtung des Palastes. "An den Arbeiten werden aber auch Steinmetzen der Mosel- und Rheinregion beteiligt gewesen sein." Wird hier die aktuell schwierige Lage unserer einheimischen Bauarbeiter durch das geschichtliche Vorhandensein angeworbener Gastarbeiter aus dem fernen Gallien wieder abgemildert?

Ähnlich zeitnah wie dieser moderne Katalogtext nimmt sich das angebliche Geschichtswerk des Gregor von Tours aus, das die verworrenen Vorstellungen spiegelt, die man in der Frührenaissance von der Spätantike bzw. dem beginnenden Mittelalter hatte. Leider ist diese Chronik unsere "Kardinalquelle" für das 6. Jh. (nämlich die einzige schriftliche, auch wenn Gregor nicht Kardinal sondern Erzbischof war) und bildet "die ideologische Grundlage der fränkischen Königsherrschaft" (so die Überschrift S. 381). Abschrift A 22 soll sogar aus dem 7. Jh. stammen!

Die detaillierte Baubeschreibung von St. Denis (von "798-99") macht einer Dombauhütte alle Ehre und müßte einmal exemplarisch untersucht werden. Der Grund für deren Falschdatierung ist leider nur zu offensichtlich. So wie Abt Suger dem Dagobert einen Thron zuschrieb, auf dem jener selbst nach offizieller heutiger Ansicht wohl nie gesessen hat, so hat man zahlreiche Grabsteine gefälscht oder den offensichtlich heidnischen Reiter von Hornhausen als christlich bezeichnet, in Helme und Schwerter nachträglich Kreuze geritzt oder "Amulettkästchen" in Gräber eingefügt, um Christentum in fränkischer Zeit vorzutäuschen.

Ein weiterer Faktor kommt hinzu: Man fälschte aus Geldgier im vorigen Jh. massig für Museen, wobei man deren Geschmack für Germanentum nachkam; dieselben Fälschungen werden heute für ein angebliches Christentum mißbraucht, was jedoch völlig hoffnungslos ist, angesichts des Fehlens jeglicher christlicher Ornamente. Offensichtlich hat man dergleichen Fälschungen nötig, denn von einer katholischen Kirche in Mitteleuropa vor dem 10. Jh. kann kaum die Rede sein. Jedenfalls nicht in der Weise, in der sie uns heute glaubhaft gemacht werden soll. Sowohl in Paris als auch in Mannheim könnte man sich die Notwendigkeit zu derartiger Propaganda vorstellen, in Berlin kommt sie uns völlig deplaziert vor.



Literaturnachweise

Hauptquelle für alle Zitate ist der anfangs genannte zweibändige Katalog. Dieser ist jedoch labyrinthartig aufgebaut, man findet Erklärungen meist nur nach langem Suchen, da Querverweise vielfach fehlen, Nummern falsch sind - nicht mal in der 2. Auflage in den mehrere Seiten starken Corrigenda vermerkt - und ohne Angabe der Vitrinen oder des Saales. Vom Gewicht her allein schon "untragbar", vom Inhalt noch mehr.

Weitere Hinweise zum aktuellen Text:

  1. Bresslau, Harry (1914): Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien (Bd.II, Berlin; Nachdr. 1958)

  2. Geise, Gernot (1996): Das keltische Nachrichtensystem wiederentdeckt ( EFODON, Hohenpeißenberg)

  3. Illig, Heribert (1996) Das erfundene Mittelalter (Düsseldorf)

  4. Kammeier, Wilhelm (1935): Die Fälschung der deutschen Geschichte (Leipzig).

  5. Krusch, Bruno (1938): Studien zur fränkischen Diplomatik, in: Abh. Preuß. Ak. Wiss. 1937, 1 (Berlin)





Fälschungen?





Mit dem Begriff der Renaissance ist für uns das Wiederauffinden der antiken Literatur und Kunst verbunden. Zahlreiche verschollene Texte, Inschriften und Statuen wurden wieder ins Blickfeld gerückt oder vor der Vernichtung bewahrt. Daß dabei auch Fälschungen unter die Funde geschmuggelt wurden, war schon damals bekannt. Aus unserem heutigen Blickwinkel wird nun immer deutlicher, wie enorm hoch der Anteil dieser Fälschungen am Gesamtmaterial der mittelalterlichen und antiken Zeugnisse ist.

Zur Eingrenzung des Begriffs Fälschung, erinnere ich an den Ossian von Mac Phersons, der als Fälschung einer Überlieferung bezeichnet wurde. In dem vielen Für und Wider haben die späten Romantiker das ganze Problem schon einmal aufgerollt. Das Ergebnis war dies: Mac Pherson war gar nicht fähig, den Ossian zu fälschen, er muß auf vorhandenes Material, auf Fragmente zumindest, zurückgegriffen haben. Diese wären dann als "echte" Vorlage zu bezeichnen.

Das gilt auch für die bretonischen Bardengesänge, sogar für die Uralinda-Chronik, die einem Kenner wie Herman Wirth als echt galt, und von der wir wissen, daß sie es nicht sein kann. Die Grenze schwimmt. Andersens Märchen sind ausgedacht, E.T.A. Hoffmanns sind nachempfunden, die der Brüder Grimm zusammengetragen und geschönt, das von Runge mitgeteilte "Van den Machandel-Boom" ist echt. Ähnlich breit ist das Spektrum der Renaissance-Historienschreibung.

Die Humanisten haben damals ganz bewußt Geschichte erfunden. Als Beispiel erinnere ich an den Kreis um den Abt von Tritheim und Conrad von Celtes, deren Fabrikate "Hunibald" und "Berosus" schon von ihren Zeitgenossen entlarvt wurden. Daß auch die Pharaonenlisten von Manethon reichlich fabuliert sein dürften, haben Heinsohn und Illig (1990) recht schlüssig bewiesen. Die Wertlosigkeit von Livius' Geschichtsbüchern hat Gisela Albrecht (1995) deutlich gezeigt. In Spanien haben eine ganze Reihe von Schriftstellern, von denen ich beispielhaft Pedro de Medina und Juan Viterbo nennen möchte, Listen von Königen Iberiens aufgestellt, die mehr als 2000 Jahre v. Chr. zurückreichen und offensichtlich an orientalischen Vorbildern geformt sind.

Als heimisches Beispiel für Geschichtsneuschöpfung haben wir die Germania des Tacitus, die aber trotz ihrer haarsträubenden Ungereimtheiten allgemeine Hochschätzung genießt. Baldauf hat 1902 klargestellt, daß sie im Auftrag des Papstsekretärs Poggio Bracciolini (1380 - 1459), einem herausragenden Geist der italienischen Renaissance, im Kloster Hersfeld (oder in Fulda) in Hessen um 1450 fertiggestellt wurde und 1470 gedruckt erschien. Ein angeblich von Enea Silvio de Picolomini 1458 - als er als Pius II den Papststuhl bestieg - verfaßter Kommentar, der 1496 in Leipzig erstmals erschien, machte das Buch bekannt und stellte dessen Anerkennung sicher. Es existieren weder Originalhandschriften noch erste Abschriften, obgleich deren Vorhandensein von den Humanisten behauptet worden war. Die im selben Jahr wie Baldaufs Kritik aufgefundenen 9 Pergamentblätter können aber die Echtheit auch nicht mehr stützen, noch weniger der dazugefundene Ziegel mit Inschrift, der sofort als Fälschung wieder ausschied.

Als Beweggrund für die Niederschrift der Germania im 15. Jahrhundert wird die Festlegung des Rheins als Westgrenze der Deutschen angesehen, aber das Motiv der "Barbarisierung" der deutschen Vorfahren war ebenfalls wichtig.

Unter der Überschrift "Wer hat eigentlich die Germanen erfunden?" schrieb ich (in Zeitensprünge 2-1996) ausführlich über die Tacitusfälschung, hier möchte ich nur noch anfügen, daß weder Pralle (1971) noch seine zahlreichen Kollegen von Baldauf Notiz genommen haben. Brunhölzl macht insofern eine Ausnahme, als er ausdrücklich versucht, eine Überlieferungskette der Handschriften des Klosters Monte Cassino - einem der Hauptorte, wo die Antike geballt die Renaissance erreicht, ein anderer ist Fulda - bis in die ausgehende Antike zurück zu rekonstruieren, die aber leider, wie er selbst weiß, auf schwachen Füßen steht. Er geht dabei von den immer wiederkehrenden Abschreibfehlern aus, doch könnte man meines Erachtens diese auch als absichtliche Entstellung seitens der Fälscher ansehen, indem dadurch die Echtheit vorgetäuscht werden sollte. Es ist bedenklich, daß die Tacitushandschrift angeblich jahrhundertelang in Fulda aufbewahrt worden sei, nach Rom (oder Florenz) gebracht aber abgeschrieben werden mußte, und daß dann von dieser Abschrift wiederum eine Abschrift angelegt wurde, danach schließlich Urschrift und Erstabschrift verschwanden und nie mehr auftauchten. Durch dieses mehrmalige Abschreiben, das vielleicht Unkundige vornahmen, erhielten die Texte das "typisch" fehlerhafte Aussehen, das man erwartete.

Wollten wir all diesen Wust von Schauermärchen und Propaganda sichten, würde vor allem ein hochinteressantes Bild der Renaissance entstehen, sonst aber wenig von der antiken und mittelalterlichen Geschichte bestehen bleiben.

Man fälschte übrigens nicht nur Chroniken und theologische Abhandlungen, sondern auch eine unüberschaubar große Zahl an Urkunden, die keinen praktischen Sinn haben, da sie in juristischer Hinsicht - und das haben Fachleute wie Harry Bresslau und Bruno Krusch mit großem Fleiß bewiesen - nicht brauchbar sind, weil weder Daten noch Adressaten noch Aussteller historische Wirklichkeit haben.

Aber welchen Sinn hat diese ungeheure Menge an wertlosen Urkunden, die wahrscheinlich in viel späterer Zeit hergestellt wurden? Kammeier gibt die einzige Antwort, die mir einsichtig vorkommt: Diese Diplome sollen "Geschichte" vortäuschen, sie sollen eine Lücke füllen, sollen weltanschauliche Grundlagen in der Vergangenheit verankern.

Die Fälscherarbeit muß in riesigem Umfang, wohl auch überstürzt, jedenfalls nicht mehr lenkbar vor sich gegangen sein. Nach den ersten Fehlern, nämlich widersprüchlichen Jahresangaben, ließ man darum die Datumszeile offen in Erwartung einer allgemeinen Richtlinie, die allerdings nie vollständig durchgesetzt werden konnte.

Erst nach der gregorianischen Kalenderreform schuf J. J. Scaliger (1629) ein mathematisch anwendbares System zur einheitlichen Festlegung der Tage, die als sogenannte "julianische Tage" nun eine genaue Stellung in ihrem Abstand von 1583 an rückwärts bis ins 5. Jahrtausend vor Christus erhielten. Aber diese für die Fälscherarbeit ungemein praktische Tafel kam viel zu spät, denn die Aktion war schon zu lange gelaufen und so schlecht geraten, daß heute jedem Diplomatiker bewußt ist, daß es sich bei diesen Urkunden um einen Haufen wertlosen Pergaments handelt.

Der Schlußstein der Kuppel: die Bollandisten


Unter dem Begriff "Bollandisten" versteht man jene seit etwa 1600 fortlaufend arbeitende Gruppe von Jesuiten in Flandern, die den Wildwuchs an kirchlichen Heiligenlegenden neu durchforsten. Sie stellen mit einer gigantisch anmutenden Fleißarbeit und Beharrlichkeit eine "für ewig gültige" Sammlung der Heiligenleben für jeden Kalendertag zusammen. Zu diesem Zweck mußten sämtliche greifbaren Manuskripte eingesammelt und geordnet und danach die Lebensläufe der Heiligen völlig neu geschrieben werden. Die Vernichtung der kursierenden alten Texte geschah vor allem, damit man später nicht gegen widersprechende "Dokumente" ankämpfen muß, wenn die neuen Akten einmal allgemeingültig geworden sind. Wie derartige Aktionen aussehen, haben wir schon am Beispiel von China oder Byzanz kennengelernt.

Zur ersten Generation gehörten Baron Heinrich Julius von Blum und der 1596 im Limburgischen geborene Johann Bolland, ebenfalls Jesuit; er bearbeitete diese Sammlung und weitete sie zu einem Unternehmen aus, das in den nächsten zwei Jahrhunderten eine beachtliche Zahl von Jesuiten beschäftigte. Bolland selbst konnte schon die ersten beiden Bände des Monumentalwerks "Acta Sanctorum" vorlegen. Von den vielen Nachfolgern seien hier noch Gottfried Henschen, der ab 1635 mitarbeitete, und Daniel Papebroch (ab 1659) genannt, ferner im 18. Jahrhundert Cuypers und Stycker. Die meisten dieser Jesuiten waren Flamen, und die fortlaufenden Bände erschienen in Antwerpen, später in Brüssel und Tongerloo. Der Aspekt, unter dem die Erstellung der Heiligenlegenden heute vorgenommen wird, hat sich zeitgemäß übliche geschichtswissenschaftliche Arbeitsweise angepaßt. Der Hauptaspekt liegt in der Geschichtsschöpfung.

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Nicht das immer wieder zerbrochene chronologische Gerüst, auch nicht die ständig wechselnden Ansichten über den rechten Glauben, sondern eine Kette von katholischen Menschen und eifrigen Bekennern des Christentums sichern nun den Fortbestand der Kirche durch zwei Jahrtausende hindurch, von denen mindestens die Hälfte reine Erfindung sein dürfte. Diese Heiligenleben bilden rückwärts bis zu den Aposteln eine geschlossene Gemeinde und damit die festeste, unumstößlichste Geschichtsschreibung des Abendlandes. Ihr geographischer Rahmen ist entsprechend weit gespannt, denn er umfaßt praktisch alle Gebiete, die zu irgendeinem Zeitpunkt einmal katholisch waren oder rückwirkend als kirchliche Domäne erklärt wurden, also auch Nordafrika und den ganzen Nahen Osten bis nach Persien. Nach drei Jahrhunderten zielstrebiger Neuschöpfung durch die Elite der katholischen Geistlichen, die Gesellschaft Jesu, ist die katholische Geschichte auf Betongrund gestellt. Da die Kirche im Mittelalter fast so etwas wie ein Monopol auf Schrift besaß und ihr Zugang zu Dokumenten bis heute unangefochten ist, dürfen wir das Thema als geschlossen betrachten.