VfgP.-Josef Schedel

Weltuntergang.

Vom Himmel hoch

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Die Katastrophentheorie des Russen Immanuel Velikovsky

empörte vor fünfzig Jahren die Gelehrtenwelt. Jetzt ist Chaos im Kosmos erneut aktuell: Droht uns schon wieder ein Weltuntergang? 

Von Herbert Cerutti

EINE UNGLAUBLICHE WUNDERGESCHICHTE wird von Josua im Kampf mit den Kanaaniterkönigen erzählt: «Und er sagte angesichts des Volkes Israel: Sonne, stehe still zu Gibeon und Mond im Tale Ajalon. Da standen Sonne und Mond still, bis dass sich das Volk an seinen Feinden rächete.» Die stillstehenden Gestirne waren das Signal zu noch Schlimmerem: «Und da die Kanaaniter vor Israel flohen, liess der Herr grosse Steine vom Himmel auf sie fallen, dass sie starben.»

So erinnerte der 1895 in Russland geborene und 1939 nach Amerika ausgewanderte Arzt und Psychoanalytiker Immanuel Velikovsky in seinem 1950 erschienenen Buch «Welten im Zusammenstoss» an die Bibel. Während selbst fromme Leser das Himmelsgeschehen eher symbolisch verstehen, nahm Velikovsky die Sache beim Wort: In der Mitte des zweiten Jahrtausends vor unserer Zeitrechnung, meinte er, musste ein riesiger Himmelskörper die Erde gestreift und deren Umdrehung kurz gestoppt haben. Als kosmischen Rächer postulierte Velikovsky einen Kometen, dessen im Schweif verstreute Steine den Feinden Israels den vernichtenden Schlag versetzt hätten. Und da ein solches Bremsmanöver eine ungeheure globale Belastung bedeutet, seien Gebirge eingesunken, andere emporgestiegen, hätten Meere zu kochen, Felsen zu schmelzen, Vulkane aufzuflammen und Wälder zu brennen begonnen - alles Ereignisse, deren Spuren Velikovsky in historischen Quellen sowie in geologischen und paläontologischen Zeugnissen gefunden haben will, wie er in seinen Büchern «Zeitalter im Chaos» und «Erde in Aufruhr» dann dem Publikum detailliert rapportierte.

Aber schon 52 Jahre vor dieser Katastrophe soll der Komet ein erstes Rendez-vous mit der Erde gehabt haben. Es habe sich, so Velikovsky, folgendermassen abgespielt: Anfangs berührte nur der eisenhaltige Schweif unseren Planeten. («Und es war Blut in ganz Ägyptenland», meldet eine hebräische Schrift.) Dann röstete brennendes Petroleum aus im Schweif vorhandenen Kohlenhydraten Mann und Maus. Der näher rückende Kopf des Kometen brachte mit seiner gewaltigen Anziehungskraft die Erdrotation durcheinander, was sich in wochenlanger Finsternis manifestierte. Die kosmische Unrast wusste das geknechtete Judenvolk zum Exodus aus Ägypten zu nutzen. Und just als das Rote Meer zu überqueren war, sog der Komet es zur Seite.

Als er vorbei war, stürzten die Wasserberge wieder auf den Meeresgrund und ersäuften Ägyptens Soldaten. Insektenlarven, die auf dem Kometen Huckepack fuhren, brachten die biblischen Plagen. Hilfreich dagegen waren Bakterien, die aus den Kohlenhydraten des Kometen Manna bereiteten. Die während der dunklen Katastrophenjahre vom Himmel regnende Ersatznahrung rettete Mensch und Tier vor dem Hungertod.

Der schreckliche Komet war nicht irgendwer, sondern Venus in ihrer früheren Form. Vom Planeten Jupiter ausgespuckt, flog der Protoplanet erst der Erde um die Ohren, schubste dann den Mars aus seiner Bahn, wodurch dieser ebenfalls der Erde gefährlich nahe geriet - mit entsprechenden biblischen Folgen in den Jahren 721 und 687 vor Christus. Nach diesem letzten planetaren Showdown mit gigantischem elektrischem Zucken am Firmament (Homer beschreibt in der «Ilias» den himmlischen Kampf zwischen Athena und Ares, lies Venus und Mars) fand die ungestüme Venus endlich ihre Bahn in Sonnennähe.

So absurd seine Hypothesen erscheinen,

der Russe hatte es sich und den Kritikern nicht leicht gemacht. 1940 hatte ihn die Traumwelt Sigmund Freuds interessiert; dabei war er auf den biblischen Moses gestossen. Er fragte sich, ob die ungemütlichen Happenings im Verlaufe des Exodus nicht Naturkatastrophen hätten gewesen sein können. Falls ja, müssten doch entsprechende Hinweise ebenfalls in den Schriften anderer Völker zu finden sein.

Velikovsky wurde fündig. Im Papyrus des Ägypters Ipuwer, dann auch im mexikanischen Codex Chimalpopoca und schliesslich selbst in Japan und China, bei den Babyloniern und Etruskern, in den Veden, in isländischen Epen - überall zeigten sich die literarischen Spuren kosmischen Ringens, von Fluten und Weltenbrand, himmlischem Honigtau und Ambrosia. Und wo ein Volk nichts von all dem erwähnt, war dem Psychoanalytiker der Grund klar: kollektives Vergessen unangenehmer Erinnerungen.

Was Velikovsky nach zehnjähriger Recherche präsentierte, waren keine Pamphlete, sondern Werke in wissenschaftlichem Gewand, mit zahllosen Zitaten und Anmerkungen. Am 3. April 1950 kam «Worlds in Collision» in den Verkauf - innert Wochenfrist waren 55000 Exemplare weg. Der Rebell fand ein Millionenpublikum. Man hat immer wieder über den durchschlagenden Erfolg der unglaublichen Story gerätselt. Irgendwie scheint der Autor bei einem Publikum, das der Allwissenheit der Gelehrten überdrüssig ist, einen empfindlichen Nerv getroffen zu haben. Er offeriert dem Leser eine unkonventionelle Schöpfung, nicht erhabenes Werden während Äonen, sondern ein historisches Drama, welches das geologische und biologische Gesicht der heutigen Welt prägte.

Dabei werden die Herkunft des Erdöls, das Entstehen der Eiszeiten, der Untergang der Mammuts völlig neu gedeutet. Und wo bisher die ehernen Gesetze der Himmelsmechanik die Gestirne auf ewigen Bahnen hielten, dominieren jetzt unbändige elektrische und magnetische Kräfte. Die etablierte Wissenschaft mitsamt ihren Bannerträgern Newton und Darwin war in Frage gestellt. Und für manche war wohl verlockend, dass die Heilige Schrift aus dem Dunst der Mythen heraustrat.

Velikovsky bemühte sich - noch vor seinem öffentlichen Auftritt - mit Physikern und Astronomen ins Gespräch zu kommen. So machte er über die Oberflächentemperatur und die Zusammensetzung der Atmosphäre von Venus und Mars gewisse Voraussagen, die spektroskopisch hätten überprüft werden können. Sogar mit Einstein trat er in Kontakt. Dieser las das Buch sorgfältig, machte einige Marginalien und schrieb dem Autor: «Ich bewundere Ihr dramatisches Talent, sehe für mein Fach aber keine Gefahr.» Weniger diplomatisch reagierten die Astronomen. Sie weigerten sich, den «Unsinn» überhaupt zu lesen, und fällten ihr negatives Urteil lediglich auf Grund von Buchbesprechungen.

Doch «Welten im Zusammenstoss»

wurde 1950 nicht von irgendeinem Esoterikladen, sondern von Macmillan lanciert, einem renommierten Verleger auch von Lehrbüchern. Vom öffentlichen Interesse für Velikovskys Ideen überrascht, verloren die Astronomen den Kopf. In einer beispiellosen Kampagne, orchestriert von der Harvard-Sternwarte mit Harlow Shapley an der Spitze, drohten mehrere Universitäten, die Macmillan-Lehrbücher im Unterricht zu boykottieren, falls der Verlag das umstrittene Werk nicht sofort aus dem Programm nehme. «Worlds in Collision» war momentan zwar der Renner; Schulbücher aber sind ein dauerhaftes Geschäft. Noch im Sommer 1950 trat Macmillan sämtliche Buchrechte an Doubleday ab.

Physiker, Chemiker, Geologen, Astronomen, Evolutionsforscher, Historiker und Linguisten stritten jahrelang mit Velikovsky und seinen Anhängern. Sind sich nicht die Schöpfungsmythen verschiedener Völker ähnlich, weil im Laufe der Zeit die Geschichten geographisch diffundierten (wie auch aus Europas Sankt Nikolaus der amerikanische Santa Claus wurde)? Hätten die Kollisionen nicht zur totalen Zerstörung der involvierten Planeten führen müssen? Oder dokumentieren die Jahrringe kalifornischer Bäume nicht ein ruhiges Klimageschehen während der letzten 3000 Jahre? Von solcher Art waren die Fragen, die man aufwarf.

Die etablierte Geisteswelt glaubte die Zumutungen des Doktor Velikovsky pariert zu haben, als eine neue Generation Gefallen an der unbequemen Naturgeschichte fand. Ende der sechziger Jahre entdeckte Amerikas akademische Jugend, verunsichert von Vietnam und herausgefordert von der Dominanz von Geld und Technik, den Aussenseiter neu. Studenten in Portland, Oregon, gründeten 1972 zur Verbreitung von Velikovskys Gedankengut die Zeitschrift «Pensée». Und die Planeten selber meldeten sich zu Wort: Zur nicht geringen Überraschung mancher Kritiker lieferten die jetzt von amerikanischen und russischen Sonden im Weltraum gesammelten Daten in einigen wichtigen Punkten die Bestätigung der belächelten Voraussagen. Physiker und Astronomen der Universitäten Princeton und Columbia attestierten in einem Brief an die Zeitschrift «Science», dass Velikovsky eine heisse Venusoberfläche, Radiowellen vom Jupiter sowie eine irdische Magnetosphäre bis hinaus zur Umlaufbahn des Mondes richtig prognostiziert habe.

Das akademische Establishment beschloss, dem mittlerweile fast achtzigjährigen Enfant terrible doch noch eine Diskussionsplattform zu geben. Organisiert vom renommierten Astronomen und Weltraumforscher Carl Sagan, veranstaltete AAAS, die Dachgesellschaft der Wissenschaften in Amerika, am 25. Februar 1974 in San Francisco ein Symposium. Auf der Rednerbühne sassen neben Sagan und Velikovsky auch ein Experte für die Soziologie der Wissenschaften sowie, als Fachmann für die Astronomie der Antike, der ETH-Professor Peter Huber. Im Saal drängten sich 1400 Zuhörer.

Liest man Velikovskys Bericht über den siebenstündigen Disput, will er seine Kritiker mit dem Hinweis beschämt haben, dass im vergangenen Vierteljahrhundert alle geologischen und astronomischen Bücher gründlich zu revidieren waren, in seinen eigenen Schriften aber nach wie vor kein einziger Satz zu ändern sei. Der offizielle Symposiumsbericht «Scientists Confront Velikovsky» spricht allerdings eine andere Sprache. Mit mathematischer Akribie demonstrierte Carl Sagan an zehn ausgewählten Problemen, wie physikalisch unmöglich das postulierte Geschehen sei - vom plötzlichen Stoppen der Erddrehung, das Kanaaniter wie Hebräer selber von der Erde weggeschleudert und zu Satelliten gemacht hätte, bis zur gravitationellen Hürde für das Entweichen der Venus aus dem enormen Schwerefeld Jupiters. Auch gebe es keinerlei Evidenz für kilometerhohe globale Flutwellen, für ein Blitzgefrieren der Mammuts infolge plötzlicher Polverschiebung oder für die extraterrestrische Herkunft des Erdöls.

Der Zürcher Peter Huber zeigte schliesslich, dass Venus bereits vor 5000 Jahren auf archaischen Schrifttafeln aus Uruk in Mesopotamien als (braver) Morgen- und Abendstern erwähnt wird. So blieb die Fachwelt überzeugt, Velikovsky sei ein Spinner oder Lügner und seine richtigen Voraussagen seien mehr oder weniger zufällig. James Meritt vom Physiklabor der Johns Hopkins University findet es heute noch nötig, Velikovskys Bücher und Vorträge im Internet Punkt für Punkt zu zerzausen und den Mann lächerlich zu machen. Die Fans aber halten dem Guru weiterhin die Treue. «Welten im Zusammenstoss» erlebt auch nach dem 1979 erfolgten Tod Velikovskys Neuauflage um Neuauflage.

Es mag eine Laune der Götter sein:

Die moderne astrophysikalische Forschung hat Velikovskys Schöpfungsgeschichte wiederbelebt. Zwar bleibt die Geburt der Venus in historisch junger Zeit nach wie vor unwahrscheinlich. Aber das in den fünfziger Jahren vorherrschende Bild eines mehr oder weniger gutmütigen Universums mit seinem gemächlichen Werdegang hat einem Kosmos nach Velikovskys Gusto Platz gemacht. So lieferten die Erkenntnisse aus den Apollo-Missionen für das Entstehen des Mondes eine neue Sicht: Der Mond wurde nicht von der Erde eingefangen und entstand auch nicht, gleichzeitig mit der Erde, aus dem Zusammenballen von Staub. Luna dürfte vielmehr das Kind eines «Giant Impact», einer gewaltigen Kollision, sein. Dabei soll vor 4,5 Milliarden Jahren ein etwa marsgrosser Planet die Erde getroffen und einen Ring von Trümmern in eine Erdumlaufbahn geschleudert haben. Die Ringmaterie klumpte schliesslich zum Erdtrabanten zusammen.

In jener Epoche scheinen in unserm Sonnensystem gigantische Verkehrsunfälle durchaus üblich gewesen zu sein. Bis sich die wildesten Gesellen nach und nach selber eliminiert hatten. Und noch heute regiert im Kosmos eher Chaos denn göttliche Harmonie. Vor allem im Asteroidengürtel zwischen Jupiter und Mars kreisen zahllose Trümmer, deren Bahnen sich durch gegenseitige Kollisionen oder durch die Anziehungskraft anderer Himmelskörper auf gefährlichen Erdkurs verschieben könnten. Was dann einem Planeten passiert, konnte die Welt im Juli 1994 live verfolgen. An jenem Tag stürzte der Komet Shoemaker-Levy 9 auf den Planeten Jupiter, nachdem ihn eine frühere Streifkollision bereits in kilometergrosse Brocken zerrissen hatte. Das kosmische Granatfeuer zernarbte mit 23 Geschossen Jupiters Antlitz; die dabei produzierten Feuerbälle stiegen 2000 Kilometer hoch über die Jupiteratmosphäre.

Noch gewaltiger muss jener Meteoriten-Crash gewesen sein, der sich vor 65 Millionen Jahren im Norden der mexikanischen Halbinsel Yukatan ereignet hat und das Schicksal der Dinosaurier besiegelt haben soll. Eine schöpferische Katastrophe allerdings, denn der Untergang der dominierenden Riesenechsen gab den damals noch unterentwickelten Säugern eine Chance. 1989 zischte ein grosser Asteroid nur wenige hunderttausend Kilometer an der Erde vorbei. Dies war der Auftakt zu einer vertieften Diskussion über die Gefahr durch NEOs, Near-Earth-Objects. Die Astronomen haben bisher etwa 200 Asteroiden und Kometen entdeckt, die mindestens einen Kilometer im Durchmesser messen und in ihrem Lauf um die Sonne immer wieder der Erde nahe kommen. Durch Beobachtungen lassen sich Bahnverschiebungen erkennen und auf Jahre hinaus berechnen. Vermutlich gibt es aber gegen 2000 weitere NEOs, die noch gar nicht entdeckt sind und uns jeden Tag auf den Kopf fallen könnten.

Der Aufprall

eines solchen Objektes käme der Explosion von Tausenden von Atombomben gleich - eine globale Katastrophe mit möglicherweise vielen Millionen Toten und gravierenden Klimastörungen während Jahren. David Morrison, Chefexperte bei der Nasa für das Asteroidenproblem, schätzt die Wahrscheinlichkeit für einen grossen Crash auf eins zu einer Million pro Jahr. Was nicht ausschliesst, dass es bereits morgen passieren könnte. Der US-Kongress hat mittlerweile der Nasa den Auftrag erteilt, mit einem grossangelegten Suchprogramm innert zehn Jahren alle NEOs aufzuspüren und zu vermessen, die mehr als einen Kilometer im Durchmesser gross sind. Russland verfolgt ein ähnliches Programm.

Was aber zu geschehen hat, falls man tatsächlich ein NEO auf Erdkurs entdeckte, ist fraglich. Die Nasa möchte Atombomben mit Trägerraketen zum Störefried bringen und dort zünden, worauf die Schockwelle den NEO aus der Bahn drücken oder die Nuklearwaffe den Himmelskörper sogar zerfetzen sollte, was allerdings einen immer noch gefährlichen Trümmerschwarm im Umlauf liesse. Doch um die Abwehr zu organisieren, braucht es mehrere Jahre Vorwarnzeit. Die Russen arbeiten nun an einem Projekt für einen Schutzschild, dem als Vorwarnzeit eine Woche genügen würde: Weltraumteleskope sollten NEOs in 20 Millionen Kilometer Entfernung aufspüren; eine Flotte von mit Atombomben bestückten Raumschiffen, die ständig im Weltraum patrouillierte, könnte sofort den Kampf aufnehmen. Diese Sorte von «Star Wars» kommt den Kollegen von der Nasa allerdings etwas gar futuristisch vor. Herbert Cerutti ist Wissenschaftsredaktor der NZZ.