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<META content='"MSHTML 4.72.3110.7"' name=GENERATOR>
</HEAD>
<BODY>
<DIV>Für Solche, die sich noch nicht vom (Bislang) Letzten Grossen Ruck
& der exoterrestrischen Pestursache überzeugen konnten: vorab einmal
noch nicht ganz die Hälfte von Hecker's Büchlein (ohne
Korrekturen):</DIV>
<DIV> </DIV>
<DIV><B><FONT size=6>
<P align=center>J. F. C. Hecker</P></FONT><FONT size=5>
<P align=center>Der schwarze Tod im vierzehnten
Jahrhundert</P></B></FONT><I><FONT size=5>
<P align=center>Nach den Quellen für Aerzte und gebildete Nichtärzte
bearbeitet von Dr. J. F. C. Hecker,</P></I></FONT><FONT size=3>
<P align=center>Professor an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin,
Mitglied der medicinischen Ober-Examinations-Commission und gelehrter
Gesellschaften in Berlin, Bonn, Dresden, Erlangen, Hanau, Kopenhagen, London,
Lyon, Metz, Neapel, New York, Philadelphia und Zürich</P></FONT><B><FONT
face="Fraktur BT">
<P align=center>Berlin, 1832</P></FONT><FONT size=2>
<P align=center>Verlag von Friedr. Aug. Herbig</P></B></FONT><FONT face=Arial
size=1>
<P align=center>[III]</FONT> Herrn</P><FONT size=4>
<P align=center>Dr. J. F. Dieffenbach,</P></FONT><FONT size=3>
<P align=center>dirigirendem Arzte der Abtheilung für chirurgische Kranke
in der Charité und praktischem Arzte in Berlin; Mitglied der
Königlich Preussischen medicinischen Ober-Examinations-Commission, und
medicinischer und naturwissenschaftlicher Gesellschaften in Berlin, Bonn,
Dresden, Heidelberg, Leipzig, Lyon, Metz, Stockholm, Würzburg und der
Wetterauischen Gesellschaft für die gesamte Naturkunde Mitglied und
Correspondenten;</P></FONT><FONT size=4>
<P align=center>seinem verehrten Freunde,</P></FONT><FONT size=3>
<P align=center>widmet diese Abhandlung</P></FONT><FONT face="Fraktur BT">
<P align=right>der Verfasser.</P></FONT><I><FONT size=2>
<P align=center>Vorwort </I></FONT><A
href="mhtml:mid://00000260/#_Toc428895989">*</A>
<DIR>
<DIR>
<DIR>
<DIR>
<DIR><I><FONT size=2>
<P>1. Allgemeines. </I></FONT><A
href="mhtml:mid://00000260/#_Toc428895990">*</A></P><I><FONT size=2>
<P>2. Die Krankheit </I></FONT><A
href="mhtml:mid://00000260/#_Toc428895991">*</A></P><I><FONT size=2>
<P>3. Ursachen. Verbreitung. </I></FONT><A
href="mhtml:mid://00000260/#_Toc428895992">*</A></P><I><FONT size=2>
<P>4. Menschenverlust </I></FONT><A
href="mhtml:mid://00000260/#_Toc428895993">*</A></P><I><FONT size=2>
<P>5. Moralische Folgen </I></FONT><A
href="mhtml:mid://00000260/#_Toc428895994">*</A></P><I><FONT size=2>
<P>6. Die Aerzte </I></FONT><A
href="mhtml:mid://00000260/#_Toc428895995">*</A></P><FONT size=2>
<P>Anhang </FONT><A href="mhtml:mid://00000260/#_Toc428895996">*</A></P><I><FONT
size=2>
<P>I. Das alte Geisslerlied </I></FONT><A
href="mhtml:mid://00000260/#_Toc428895997">*</A></P><I><FONT size=2>
<P>II. Verhöre der Brunnenvergiftung beschuldigter Juden </I></FONT><A
href="mhtml:mid://00000260/#_Toc428895998">*</A></P><FONT size=3>
<P align=center></P></DIR></DIR></DIR></DIR></DIR>
<P></P></FONT><B><FONT face="Fraktur BT">
<P align=center> </P></B></FONT><FONT face=Arial size=1>
<P align=center><A name=_Toc428895989>[V]</FONT><B><FONT size=5>
Vorwort</A></P></B></FONT><FONT size=3>
<P align=justify>Man findet hier eine inhaltreiche Seite der Weltgeschichte
aufgeschlagen. Sie handelt von einer Erschütterung des Menschengeschlechts,
der an Umfang und Gewalt keine andere gleichgekommen ist, sie spricht von
unglaublichen Niederlagen, von Verzweifelung und entfesselten dämonischen
Leidenschaften, sie zeigt den Abgrund allgemeiner Gesetzlosigkeit in Folge einer
Weltseuche, die sich von China bis nach Island und Grönland
verbreitete.</P>
<P align=justify>Die Veranlassung, dieses Bild einer längst entschwundenen
Zeit zu enthüllen, liegt am Tage. Eine neue Weltseuche hat fast dieselbe
Ausdehnung erreicht, und wenn auch weniger furchtbar, doch ähnliche
Erscheinungen zum Theil hervorgerufen, zum Theil angedeutet. In ihren Ursachen,
ihrer Verbreitung über Asien und Europa liegt die Aufforderung, sie von
einem grossartigen Gesichtspunkte aufzufassen, denn sie führt zur Ahnung
des Weltorganismus, in welchem das organische Gesammtleben den grossen
Naturkräften unterthan ist. Nun ist menschliches Wissen noch nicht so weit
gediehen, in die Vorgänge über und unter der Erde Zusammenhang zu
bringen, oder auch nur die Naturgesetze vollständig zu ermitteln, deren
Kenntnis man bedürfte, viel weniger sie auf grosse Erscheinungen
anzuwenden, in denen eine Triebfeder tausend andere in Bewegung setzt. Von
dieser Seite ist also jener Gesichtspunkt nicht aufzufinden, wollen wir nicht in
das unfruchtbare Gebiet der Vermuthungen gerathen, deren die Welt schon zu viele
hat. Wohl aber zeigt er sich </FONT><FONT face=Arial size=1>[VI]</FONT><FONT
size=3> auf dem weiten und gedeihlichen Felde der historischen Forschung. Die
Geschichte, dieser Spiegel des Menschenlebens in allen seinen Richtungen, bietet
auch für die Weltseuchen eine unerschöpfliche, wenn auch wenig
gekannte Fundgrube von Thatsachen dar, sie macht auch hier ihre Würde als
wahrheitliebende Philosophie der Wirklichkeit geltend. Ihrem Geiste entspricht
die Auffassung der Weltseuchen als Weltbegebenheiten, die Deutung ihrer
Erscheinungen aus der Zusammenstellung des Gleichartigen, in der die Thatsachen
durch sich selbst reden, indem sie aus höheren Gesetzen des
fortschreitenden Menschenlebens hervorgegangen erscheinen. Kosmischer Ursprung
und folgenreiche krampfhafte Regung der unterliegenden Völker sind die
hervortretenden Seiten, auf welche sie bei allen Weltseuchen hinweist. Diese
selbst aber gestalten sich in ihren Eingriffen auf den Organismus wie in ihrer
Verbreitung verschieden, und es ist hier eine Entwickelung von Form zu Form in
Jahrtausenden unverkennbar, so dass die Weltgeschichte in grosse Zeiträume
zerfällt, in denen bestimmt ausgeprägte Seuchen vorherrschten. So weit
unsere Zeitbücher reichen, kann hierüber noch mehr oder minder sichere
Auskunft gegeben werden. Doch ist dieser Theil der medicinischen
Geschichtschreibung, der in die Weltgeschichte so vielseitig und mächtig
eingreift, kaum erst in der Anlage begriffen. Die Ehre der Wissenschaft, die
menschlichem Thun und Treiben überall vorleuchten soll, lässt uns den
Wunsch aussprechen, dass er auf dem noch nicht ganz verschütteten Boden der
deutschen ärztlichen Gelehrsamkeit erfreulich gedeihen
möge.</P></FONT><FONT size=4>
<P align=justify>Berlin, den 2. März 1832.</P><B>
<P align=justify>d. V.</P></FONT><FONT face="Fraktur BT">
<P align=center> </P></FONT><FONT face=Arial size=1>
<P align=center><A name=_Toc428895990>[1] </FONT><FONT face="Fraktur BT">1.
Allgemeines.</A></P></B></FONT><FONT size=3>
<P align=justify>In grossen Seuchen offenbart sich die allwaltende Macht, welche
den Erdball mit all seinen Geschöpfen zu einem lebendigen Ganzen gestaltet
hat. Die Kräfte der Schöpfung treten in gewaltsamen Widerstreit: die
trockene Schwüle des Luftkreises, die unterirdischen Donner, die Nebel der
übertretenden Wasser verkünden Zerstörung, der Natur genügt
nicht der gewöhnliche Wechsel von Leben und Tod, und über Menschen und
Thiere schwingt der Würgeengel sein flammendes Schwert.</P>
<P align=justify>Diese Umwälzungen geschehen in grossen Umläufen, die
dem Geiste des Menschen in seiner Beschränkung auf einen kleinen Kreis der
Erkenntniss, unerforschlich bleiben. Aber sie sind grössere
Weltbegebenheiten, als irgend andere, die nur aus der Zwietracht, oder der Noth,
oder den Leidenschaften der Völker hervorgehen. Sie erwecken durch die
Vernichtung neues Leben, und wenn der Aufruhr über und unter der Erde
vorüber ist, verjüngt sich die Natur, und der Geist erwacht aus
Erstarrung und Versunkenheit zum Bewusstsein höherer Bestimmung.</P>
<P align=justify>Wäre es menschlicher Forschung noch irgend erreichbar, ein
historisches Bild so mächtiger Ereignisse in lebendigem Zusammenhange zu
entwerfen, wie die Geschichtsschreiber von Kriegen und Schlachten und
Völkerwanderungen entworfen haben, so würde die geistige </FONT><FONT
face=Arial size=1>[2]</FONT><FONT size=3> Entwickelung des Menschengeschlechts
auf klare Anschauungen zurückzuführen sein, und die Wege der Vorsehung
würden deutlicher erkannt werden. Es würde nachzuweisen sein, dass der
Geist der Völker durch das zerstörende Widerspiel der Naturkräfte
tiefe Eindrücke erleidet, und dass in der allgemeinen Gesittung durch
Niederlagen hervortretende Wendepunkte herbeigeführt werden. Denn alles was
in dem Menschen liegt, Gutes und Böses, wird durch die Gegenwart grosser
Gefahr gesteigert, sein Inneres gerät in Aufruhr, wie bei dem Anblick eines
jähen Abgrundes, — der Gedanke der Selbsterhaltung beherrscht die
Gemüther, die Selbstverleugnung wird auf härtere Proben gestellt, und
wo irgend Finsterniss und Rohheit walten, da fliehen die geängsteten
Sterblichen zu den Götzen ihres Aberglaubens, und göttliche wie
menschliche Gesetze werden frevelhaft übertreten.</P>
<P align=justify>Ein so gewaltsamer Zustand bringt nach einem allgemeinen
Naturgesetz Veränderung hervor, eine heilsame oder nachtheilige, wie die
Umstände sich gestalten, so dass die Völker entweder höheren
sittlichen Werth erringen, oder tiefer versinken. Dies alles aber geschieht nach
einem viel grösseren Maassstabe, als durch den gewöhnlichen Wechsel
von Krieg und Frieden, durch das Emporkommen oder den Fall der Reiche, weil die
Naturkräfte selbst die Seuchen hervorbringen, und den menschlichen Willen
unterjochen, der in den Kämpfen der Völker gewöhnlich allein
hervortritt.</P></FONT><B><FONT face="Fraktur BT">
<P align=center><A name=_Toc428895991>2. Die Krankheit</A></P></B></FONT><FONT
size=3>
<P align=justify>Das denkwürdigste Beispiel hiervon giebt eine grosse
Seuche des vierzehnten Jahrhunderts, welche Asien, Europa und Afrika verheerte,
und deren sich noch jetzt die Völker in düsteren Ueberlieferungen
erinnern. Es war eine <B>morgenländische Pest</B>, kenntlich an Brandbeulen
und Drüsengeschwülsten, die in keiner andern </FONT><FONT face=Arial
size=1>[3</FONT><FONT size=3>] Fieberkrankheit vorkommen. Wegen dieser
Brandbeulen und schwarzen Flecken auf der Haut, den Verkündern fauliger
Entmischung, nannte man sie in Deutschland wie in den nordischen Reichen den
<B>schwarzen Tod</B>, in Italien hiess sie das <B>grosse Sterben</B> ). Nur
wenige Zeugnisse über ihre Zufälle und ihren Verlauf sind uns
erhalten, aber sie reichen hin, um das Bild der Krankheit zu erhellen, und sie
werden durch Uebereinstimmung mit den Merkmalen desselben Uebels in neuerer Zeit
glaubwürdig.</P>
<P align=justify>Der kaiserliche Schriftsteller <B>Kantakuzenos</B> ),
dessen eigener Sohn <B>Andronikus</B> dieser Pest in Constantinopel erlag,
berichtet von <B>grossen Eiterbeulen</B> ) an den Oberschenkeln und Armen
der Kranken, die durch Erguss von übelriechender Jauche, wenn man sie
öffnete, Erleichterung brachten. Damit sind offenbar die <B>Bubonen</B>,
die untrüglichen Kennzeichen der morgenländischen Pest bezeichnet,
denn er spricht ausserdem noch von kleineren Beulen an den Armen und im Gesicht,
wie an anderen Theilen des Körpers, und unterscheidet diese </FONT><FONT
face=Arial size=1>[4]</FONT><FONT size=3> ganz deutlich von den
<B>Brandblattern</B> ), die nicht weniger von der Pest in allen ihren
Formen hervorgebracht werden. Bei manchen brachen schwarze
<B>Stippchen</B> ) über den ganzen Körper hervor, entweder
einzeln, oder zusammenhängend und verfliessend. Diese Zufälle fanden
sich nicht bei allen vereint, bei manchen reichte ein einziger hin, ihnen den
Tod zu bringen, einige aber genasen mit allen behaftet wider Erwarten.
Kopfzufälle waren häufig; viele Kranke wurden stumpfsinnig und
verfielen in betäubenden Schlaf, auch verloren sie die Sprache durch
Zungenlähmung, andere waren schlaflos und angstvoll. Schlund und Zunge
wurden schwarz und wie von Blut unterlaufen, kein Getränk löschte den
brennenden Durst, und so währte die Qual ohne Linderung bis zum Tode, den
viele durch Verzweiflung beschleunigten. Die Ansteckung war augenscheinlich,
denn die Pfleger ihrer Verwandten und Freunde erkrankten, und viele Häuser
in der Hauptstadt starben bis auf den letzten Bewohner aus.</P>
<P align=justify>Bis hierher zeigte sich nur die gewöhnliche Beschaffenheit
der morgenländischen Pest, es gesellten sich aber noch tiefere Leiden zu
dieser Seuche, die zu anderer Zeit nicht vorgekommen sind. <B>Die Werkzeuge des
Athmens wurden von fauliger Entzündung ergriffen</B>, ein heftiger
Brustschmerz befiel die Kranken, Blut wurde ausgehustet, und der Athem
verbreitete einen verpestenden Geruch.</P>
<P align=justify>Im Abendlande wurde diese Erscheinung beim Ausbruch der Seuche
vorherrschend ). Ein hitziges Fieber, von Blutauswurf begleitet,
tödtete in den ersten drei Tagen. Es scheint, dass Bubonen und Brandbeulen
zuerst </FONT><FONT face=Arial size=1>[5]</FONT><FONT size=3> gar nicht
vorkamen, sondern dass die Krankheit in der Gestalt des anthraxartigen
Lungenübels die Zerstörung des Körpers vollendete, bevor noch die
übrigen Zufälle sich entwickelten. So wüthete die Seuche in
Avignon volle sechs oder acht Wochen lang, und verursachte durch den verpesteten
Athem der blutspeienden Kranken nah und fern eine so entsetzliche Ansteckung,
dass selbst Aeltern ihre erkrankten Kinder flohen und alle Bande des Blutes sich
lösten. Denn die Nähe eines der Pest Verfallenen war sicherer
Tod ). Nach dieser Zeit sah man Bubonen in den Achseln wie in den Weichen,
und Brandbeulen über den ganzen Körper, aber nur erst gegen den
siebenten Monat genasen einige Kranke mit gereiften Bubonen, wie in der
gewöhnlichen, milderen Pest. So berichtet der muthvolle Guy von Chauliac,
der die Ehre des Arztes darin suchte, der Gefahr Trotz zu bieten, der den
Pestkranken wacker und rastlos beistand, und die Entschuldigung seiner
arabistischen Genossen vershcmähete, dass ärztliche Hilfe vergebens
sei, und dass die Ansteckung zur Flucht berechtige. Zweimal sah er die Pest in
Avignon, zuerst i. J. 1348 vom Januar bis zum August, dann zwölf
Jahre später, im Herbst, wo sie von Deutschland zurückkehrte, und neun
Monate lang Angst und Schrecken verbreitete. Das erste Mal wüthete sie mehr
unter den Armen, i. J. 1360 aber mehr unter den Reichen und Vornehmen,
auch tödtete sie jetzt eine Ueberzahl von Kindern, die sie früher
verschont hatte, und nur wenige Weiber.</P>
<P align=justify>Aehnliches sah man in Aegypten ); auch hier war [6] der
Lungenbrand vorherrschend, und tödtete mit brennender Hitze und Blutspeien
rasch und unfehlbar; auch hier verbreitete der Hauch der Kranken die
tödtliche Ansteckung, und menschliche Hülfe war so vergeblich wie
für die Nahenden verderbenbringend.</P><B>
<P align=justify>Boccaccio</B>, der in Florenz, dem Sitze der wiedererwachten
Wissenschaften, Augenzeuge unglaublicher Niederlagen war, beschreibt die
Zufälle der Krankheit lebendiger, als seine nichtärztlichen
Zeitgenossen ). Sie begann hier, nicht wie im Orient, mit Nasenbluten, dem
sichern Zeichen unvemeidlichen Todes, sondern es entstanden, bei Männern
wie bei Frauen, zu Anfang Geschwülste in den Weichen und in den Achseln von
verschiedenem Umfang, bis zur Grösse eines Apfels oder eines Eies, welche
das Volk Pestbeulen (Gavoccioli) nannte. Bald darauf erschienen ähnliche
Geschwülste ohne Unterschied an allen Theilen des Körpers, und es
zeigten sich <B>schwarze oder blaue Flecke</B> am Arm oder am Oberschenkel wie
an allen anderen Stellen, entweder einzeln und gross, oder klein und
dichtgedrängt. Und so wie die Pestbeulen zuerst als ein sicheres
Todeszeichen angesehen wurden, so waren es dies Flecken für jeden, der sie
bekam ). Kein ärztlicher Rath, noch die Kraft einer Arznei brachte
Hülfe, sondern es starben fast alle innerhalb der ersten drei Tage, nach
dem Erscheinen jener Zeichen, einige früher, andere später, und die
meisten ohne alles Fieber ) und andere Zufälle. Die Seuche aber griff
um so wüthender um sich, da sie sich von den Kranken den Gesunden
mittheilte, wie das Feuer trockenen und fettigen Stoffen in seiner Nähe,
und selbst das Berühren der Kleider und anderer Gegenstände,
</FONT><FONT face=Arial size=1>[7]</FONT><FONT size=3> welche von den
Verpesteten benutzt worden waren, die Krankheit zu übertragen schien. Nun
wurden aber nicht nur Menschen von der Pest angesteckt, sondern auch Thiere
erkrankten daran, und starben in kurzer Zeit, wenn sie Sachen von Erkrankten
oder Verstorbenen berührt hatten. So sah Boccaccio mit eigenen Augen zwei
Schweine auf den Lumpen eines an der Pest Verstorbenen nach kurzem Herumwerfen
todt zusammenstürzen, als hätten sie Gift bekommen. An anderen Orten
starben Hunde, Katzen, Hühner und andere Thiere schaarenweise durch
Pestansteckung ), und es ist zu vermuthen, dass auch andere Thierseuchen
sich entwickelten, wenngleich die unkundigen Schriftsteller des vierzehnten
Jahrhunderts hierüber schweigen.</P></FONT><B><FONT face="Fraktur BT">
<P align=center><A name=_Toc428895992>3. Ursachen. Verbreitung.
</A></P></B></FONT><FONT size=3>
<P align=justify>Die Untersuchung der Ursachen des schwarzen Todes bleibt
für die Lehre von den Weltseuchen nicht ohne wichtige Ergebnisse,
wenngleich sie nicht über das Allgemeine hinausgehen kann, ohne in ein
durchaus unbekanntes und bis auf diese Stunde unbearbeitetes Gebiet zu gerathen.
Mächtige Umwälzungen in dem Erdorganismus waren vorausgegangen, wir
haben von ihnen noch sichere Kunde: Von China bis an den atlantischen Ocean
bebte der Erdboden, in ganz Asien und Europa gerieth der Luftkreis in Aufruhr,
und gefährdete durch schädliche Einflüsse das Pflanzen- und
Thierleben.</P>
<P align=justify>Die Reihe dieser grossartigen Ereignisse begann schon im Jahre
1333, funfzehn Jahre vor dem Ausbruch der Pest in Europa; ihr erster Schauplatz
war China. Hier entstand zuerst in den von den Flüssen Kiang und Hoai
</FONT><FONT face=Arial size=1>[16]</FONT><FONT size=3> durchströmten
Länderstrichen eine versengende Dürre, begleitet von einer
Hungersnoth. Hierauf folgten in und um King-sai, der damaligen Hauptstadt des
Reiches, so gewaltige Regengüsse, dass der Sage nach über 400'000
Menschen in den überfluthenden Wassern umkamen. Endlich stürzte der
Berg Tsincheou ein, und es entstanden grosse Erdrisse. Im folgenden Jahre (1334)
wurde, mit Uebergehung fabelhafter Ueberlieferungen, die Umgegend von Canton von
Ueberschwemmungen heimgesucht, während in Tche nach einer beispiellosen
Dürre eine Pest entstand, die an fünf Millionen Menschen weggerafft
haben soll. Wenige Monate darauf erfolgte in und um King-sai ein Erdbeben, und
nach dem Einsturz des Gebirges Ki-ming-chan bildete sich ein See von mehr als
hundert Stunden im Umfange, wobei wiederum Tausende ihr Grab fanden. In
Hou-kouang und Honan währte eine Dürre fünf Monate lang,
unabsehbare Heuschreckenschwärme verheerten die Felder, und Noth und
Seuchen blieben nicht aus. Zusammenhängende Nachrichten über den
Zustand Europa’s vor der grossen Katastrophe kann man vom vierzehnten
Jahrhundert nicht erwarten, auffallend ist es aber, dass gleichzeitig mit einer
Dürre und neuen Ueberschwemmungen in China im Jahre 1336 viele
ungewöhnliche Lufterscheinungen und im Winter häufige Gewitter im
nördlichen Frankreich beobachtet wurden, und dass schon in dem
verhängnissvollen Jahre 1333 der Aetna einen Ausbruch machte ). Nach
chinesischen Jahrbüchern sollen 1337 in der Gegend von Kiang vier Millionen
Menschen durch eine Hungersnoth umgekommen sein, und Ueberschwemmungen,
Heuschreckenschwärme und ein <U>sechstägiges</U> Erdbeben </FONT><FONT
face=Arial size=1>[17]</FONT><FONT size=3> unglaubliche Verwüstungen
bewirkt haben. In <U>demselben Jahre</U> erschienen in Franken die ersten
Heuschreckenschwärme, denen in den nächsten Jahren unzählige
folgten. 1338 wurde King-sai von einem zehntägigen Erdbeben heimgesucht
— zu gleicher Zeit litt Frankreich durch eine Missernte — und von
jetzt an bis 1342 wechselten in China Ueberschwemmungen, Erdbeben und
Hungersnoth mit einander ab. <U>Dasselbe</U> Jahr zeichnete sich auch in den
Rheingegenden und Frankreich durch grosse Ueberschwemmungen aus, die man nicht
bloss dem Regen zuschreiben konnte; denn aller Orten, selbst auf den Gipfeln der
Berge, sah man Quellen hervorrieseln, und trockene Gegenden wurden auf
unerklärliche Weise unter Wasser gesetzt. Im folgenden Jahre stürzte
in China der Berg Hong-tchang zusammen, und es entstand danach eine
zerstörende Wasserfluth; auch folgten auf einen dreimonatlichen Regen in
Pien-tcheou und Leang-tcheou unerhörte Ueberschwemmungen, die sieben
Städte verwüsteten. In Aegypten und Syrien entstanden gewaltige
Erdbeben, und in China wurden diese von jetzt an immer häufiger, denn sie
wiederholten sich 1344 in Ven-tcheou, wo in Folge davon das Meer übertrat,
1345 in Ki-tcheou, und in den beiden folgenden Jahren in Canton mit
unterirdischem Donner. Dazwischen kamen wieder Ueberschwemmungen und Hungersnoth
hier und da vor, nach 1347 aber beruhigte sich in China das Toben der
Elemente ).</P>
<P align=justify>Erst 1348 traten in Europa die Zeichen des tellurischen
Aufruhrs ein, nachdem die zwischenliegenden Länderstriche Asiens
wahrscheinlich auf gleiche Weise heimgesucht worden waren. Auf der Insel Cypern
war die Pest von Osten her schon hereingebrochen, als ein Erdbeben die
Grundfesten der Insel erschütterte, begleitet von einem so furchtbaren
Orkan, dass die Einwohner, die ihre muhamedanischen Sklaven getödtet
hatten, um </FONT><FONT face=Arial size=1>[18]</FONT><FONT size=3> nicht von
ihnen selbst unterjocht zu werden, in sinnlosem Schrecken hierhin und dorthin
flohen. Das Meer fluthete über, die Schiffe zerschellten an den Felsen, und
wenige überlebten das wunderbare Ereigniss, wodurch dies blühende
Eiland einer Wüste gleich verödet wurde. Vor dem Erdbeben hatte ein
verpesteter Wind einen so giftigen Geruch verbreitet, dass viele Einwohner,
davon überwältigt, zu Boden stürzten und in grausem Todeskampfe
ihre Seele aushauchten ).</P>
<P align=justify>Diese Erscheinung ist eine der seltensten, die je wahrgenommen
worden, denn nichts ist beständiger, als die Mischung des Luftmeers,
— von keiner Seite hat die Natur das organische Leben sorgsamer gesichert;
nie haben Naturforscher fremdartige Stoffe in der Atmosphäre aufgefunden,
die, mit sinnlichen Merkmalen begabt und von Winden getragen, Krankheit erregend
über ganze Welttheile, von Land zu Land sich verbreitet hätten, wie
vom Jahr 1348 erzählt wird. Um so mehr haben wir zu bedauern, dass in
dieser ausserordentlichen Zeit, die bei tiefem Stande der Wissenschaften
überaus arm an guten Beobachtern war, so wenig Zuverlässiges über
jene ungewöhnlichen Vorgänge im Luftmeer aufgezeichnet worden ist.
Doch sagen deutsche Nachrichten ausdrücklich, ein dicker, riechender Nebel
sei von Osten herangezogen und habe sich über Italien verbreitet );
auch konnte man </FONT><FONT face=Arial size=1>[19]</FONT><FONT size=3> sich
wohl über eine so handgreifliche Erscheinung nicht täuschen, —
die Glaubwürdigkeit schlichter Ueberlieferungen, mögen sie auch
physikalischer Forschung wenig genügen, kann bei Erwägung des
Zusammenhanges der Ereignisse schwerlich in Zweifel gezogen werden. Denn gerade
jetzt war das Erdbeben allgemeiner, als je in historischen Zeiten; an tausend
Stellen öffneten sich Abgründe, aus denen schädliche Dünste
emporstiegen, und wie denn natürliche Vorgänge ins Wunderbare verkehrt
werden, so ging die Sage von einer feurigen Dunstkugel, die im fernen Osten sich
zur Erde herabgesenkt, in einem Umkreis von mehr als hundert Stunden alles
Lebende vernichtet und die Luft weit und breit verpestet habe ). Hierzu
kamen die Folgen unzählbarer Ueberschwemmungen; grosse Flussgebiete waren
in Sümpfe verwandelt worden, aller Orten erhoben sich faule Dünste,
verstärkt durch den Geruch verwesender Heuschrecken, die vielleicht nie in
dichteren Schwärmen die Sonne verfinstert hatten ), so wie zahlloser
Leichen, die man selbst nicht in den wohlgeordneten Städten Europa’s
dem Anblick der Lebenden rasch genug zu entziehen wusste. Es ist also
wahrscheinlich, dass die Atmosphäre in grosser Ausdehnung fremdartige,
sinnlich erkennbare Beimischungen erhielt, die wenigstens in den niederen
Regionen nicht zersetzt </FONT><FONT face=Arial size=1>[20]</FONT><FONT size=3>
oder bis zur Unwirksamkeit zertheilt werden konnten. Wenden wir uns aber
zurück zu den Zufällen der Krankheit, so beweist die brandige
Lungenentzündung, dass die Werkzeuge des Athmens dem Angriffe eines
atmosphärischen Giftes erlagen, eines Giftes, das — geben wir die
selbständige Entwicklung der schwarzen Pest an irgend einer Stelle des
Erdkreises zu, an welcher unter so ausserordentlichen Umständen schwerlich
zu zweifeln sein möchte — die Wege des Kreislaufes so feindlich
ergriff, wie nur irgend das Milzbrandgift und andere thierische Contagien,
welche die Lympfdrüsen zur Anschwellung und Entzündung bringen.</P>
<P align=justify>Verfolgen wir nun den Gang der grossartigen Umwälzungen
weiter, so erhalten wir Kunde von einem Erdbeben ohne Beispiel, das am 25.
Januar 1348 Griechenland, Italien und die angränzenden Länder
erschütterte. Neapel, Rom, Pisa, Bologna, Padua, Venedig und viele andere
Städte litten bedeutend, ganze Ortschaften versanken, Burgen, Häuser
und Kirchen stürzten zusammen, und Hunderte von Menschen wurden unter
Trümmern begraben ). In Kärnthen fielen dreissig Ortschaften und alle
Kirchen zusammen, mehr als tausend Leichen wurden unter dem Schutt
hervorgezogen, die Stadt Villach wurde so von Grund aus zerstört, dass nur
wenige Einwohner sich retteten, und als der Boden aufhörte zu schwanken,
sah man Berge von ihrer Stelle gerückt und viele Dörfer
verschüttet ). Bei diesem Erdbeben soll der Wein in den Fässern
trübe geworden sein, eine Angabe, die den Beweis stattgefundener
entmischender Luftveränderungen darbietet; hätten wir aber auch keine
andere Nachricht, aus der die Anregung widerstreitender Naturkräfte
während </FONT><FONT face=Arial size=1>[21]</FONT><FONT size=3> dieser
Erschütterungen hervorgehen könnte, so ist in neuerer Zeit durch
wissenschaftliche Beobachtungen dargethan worden, dass das Verhältniss der
Atmosphäre zum Erdkörper durch vulkanischen Einfluss sich ändert:
wie sollte hieraus nicht auf jene ausserordentlichen Ereignisse
zurückgeschlossen werden können? Wir wissen aber noch ausserdem, dass
während dieses Erdbebens, dessen Dauer von einigen auf acht, von anderen
selbst auf vierzehn Tage angegeben wird, die Menschen eine ungewöhnliche
Betäubung und Kopfschmerz empfanden, viele sogar ohnmächtig
wurden ). Bis in die Gegend von Basel erstreckten sich die
zerstörenden Erderschütterungen ), und sie wiederholten sich bis
gegen 1360 in ganz Deutschland, Frankreich, Schlesien, Polen, England und
Dänemark, und weiter hinauf im hohen Norden ). Grosse und seltene
Meteore erschienen an vielen Orten, und wurden mit dem Grausen des Aberglaubens
angestaunt; eine Feuersäule, die am 20. December 1348 bei Sonnenaufgang
eine Stunde lang über dem Pallaste des Papstes in Avignon stand ), und
eine Feuerkugel, die im August desselben Jahres bei Sonnenuntergang über
Paris gesehen wurde, und sich vor ähnlichen Erscheinungen durch
längere Dauer auszeichnete ), anderes nicht zu erwähnen, was die
Chroniken </FONT><FONT face=Arial size=1>[22]</FONT><FONT size=3> dieses
Jahrhunderts, vermischt mit wundersamen Sagen und Deutungen, darbieten.</P>
<P align=justify>Schon 1345 und früher begannen in Europa die Vorzeichen
dieser Erschütterungen: die Ordnung der Jahreszeiten schien verändert,
Regen, Ueberschwemmungen, Misswachs waren so allgemein, dass nur wenige Gegenden
verschont blieben, und wenn ein Geschichtsschreiber dieses Jahrhunderts
versichert, es wäre Ueberfluss in den Scheunen und Vorrathskammern
gewesen ), so widerstreiten ihm einstimmig alle Zeitgenossen. Bald wurden
die Folgen des Misswachses fühlbar, besonders in Italien und den
angränzenden Ländern, wo in dem genannten Jahre ein vier Monate
anhaltender Regen die Saaten verdorben hatte. In den grösseren Städten
musste man schon im Frühjahr 1347 zu Brotvertheilungen unter die Armen
schreiten, namentlich in Florenz, wo man grosse Bäckereien einrichtete, aus
denen im April täglich 94'000 Portionen Brot zu zwölf Unzen
verabreicht wurden ); aber es liegt am Tage, dass die Menschenliebe die
allgemeine Noth nur hier und da zu lindern, ihr aber nicht ganz zu steuern
vermochte. Krankheiten, die unabwendbaren Folgen der Hungersnoth, brachen auf
dem Lande wie in den Städten aus, Kinder starben vor Hunger in den Armen
ihrer Mütter, Mangel, Elend, Verzweiflung waren allgemein in der ganzen
Christenheit ).</P>
<P align=justify>Dies sind die Ereignisse vor dem Ausbruche der schwarzen Pest
in Europa. Die Zeitgenossen haben sie nach ihrer Art gedeutet, und haben damit,
wie unter ähnlichen Umständen ihre späten Nachkommen, den Beweis
gegeben, dass den Sterblichen weder die Sinne noch hinreichende </FONT><FONT
face=Arial size=1>[23]</FONT><FONT size=3> Geistesschärfe zu Gebote stehen,
die Regungen des Erdorganismus in ihren Erscheinungen, geschweige denn in ihren
Wirkungen wissenschaftlich zu erkennen. Der Aberglaube, die Selbstsucht in
tausend Gestalten, der Dünkel der Schulen bemächtigten sich einzelner
Wahrnehmungen; sie wähnen in dem Einzelnen das Ganze zu erfassen, und ahnen
nicht den Weltgeist, der die Triebfedern alles Seins in innigem Verein
mächtiger Naturkräfte belebt, und keine Erscheinung aus vereinzelten
Ursachen entstehen lässt. Fünf Jahrhunderte nach jenem Zeitalter der
Zerstörung die Ursachen eines kosmischen Aufruhrs, der in gleicher
Ausdehnung nie wiedergekehrt ist, zu deuten, die Einflüsse wissenschaftlich
zu bezeichnen, die in den Leibern der Menschen und Thiere ein so furchtbares
Gift hervorriefe, geht über menschliche Einsicht. Vermögen wir selbst
jetzt nicht, mit allen Hülfsmitteln einer vielseitigen Naturlehre, die
Zustände der Atmosphäre anzugeben, durch welche Seuchen hervorgebracht
werden, so dürfen wir um so weniger Rückschlüsse von dem
neunzehnten auf das vierzehnte Jahrhundert versuchen; betrachten wir aber die
Vorgänge in ihrer Allgemeinheit, so giebt uns dieses Jahrhundert
gehaltvolle, für alle Zeiten hochwichtige Lehren. Deutlich offenbart sich
in dem Fortschreiten zusammenhängender Naturwirkungen von Osten nach Westen
jenes grosse Naturgesetz, das in dem Leben des Erdorganismus, wie in dem davon
abhängigen Leben der Völker, schon oft und augenfällig
hervorgetreten ist. Im innersten Schoosse der Erde war im Jahre 1333 die
Anregung gegeben, die in unablässiger Aufeinanderfolge sechsundzwanzig
Jahre hindurch bis an die westlichen Meeresufer Europa’s die
Erdoberfläche erschütterte. Gleich anfangs nahm der Luftkreis Theil an
den tellurischen Erschütterungen: Atmosphärische Wasser
überflutheten die Länder, oder versengender Brand liess Pflanzen und
Thiere verschmachten. Die Insectenwelt wurde wunderbar belebt, es schien, als
sollte das Lebende die Zerstörung vollenden, welche die </FONT><FONT
face=Arial size=1>[24]</FONT><FONT size=3> astralischen und tellurischen
Kräfte begonnen hatten. So gewann dies grause Werk der Natur von Jahr zu
Jahr grössere Ausdehnung, es war eine fortschreitende Ansteckung der Zonen,
die über und unter der Erde ihre mächtigen Schwingen regte, und schon
in den ersten Jahren des tellurischen Aufruhrs in China, erkennbar an leichteren
Vorbedeutungen, den ganzen Erdball durchzuckte.</P>
<P align=justify>Die Natur der ersten Seuchen in China ist unbekannt; wir haben
erst sichere Kunde von der Krankheit, nachdem sie schon in die westlichen
Länderstriche Asiens eingedrungen war. Hier zeigte sie sich als die
morgenländische Pest mit Lungenbrand, als welche sie vielleicht auch in
China begonnen haben mochte, d. h. als ein Uebel, welches sich mehr als
irgend ein anderes durch Ansteckung verbreitet, eine Ansteckung, die in
gewöhnlichen Pestseuchen die unmittelbare Berührung, und nur unter
seltenen ungünstigen Umständen die blosse Nähe des Kranken
erfordert. Gewiss war der Antheil dieser Ursache an der Verbreitung der Pest
über den ganzen Erdkreis ein überaus wichtiger, und die Vermuthung,
der schwarze Tod hätte vom westlichen Europa durch gute Massregeln,
ähnlich den jetzt erprobten, abgehalten werden können, würde alle
Gründe der neuern Erfahrung für sich haben, wenn irgend zu beweisen
wäre, dass diese Seuche wirklich aus dem Orient hereingebracht worden sei,
oder dass die morgenländische Pest überhaupt, so oft sie in Europa
sich gezeigt, jedesmal in Asien oder Aegypten ihren Ursprung genommen habe. Ein
solcher Beweis kann aber auf keine Weise überzeugend geführt werden,
denn er würde durch die unmögliche Voraussetzung bedingt werden, dass
entweder in den Kulturverhältnissen der europäischen Völker in
den ältesten und in den neueren Zeiten kein wesentlicher Unterschied statt
finde, oder dass Schädlichkeiten, die nur erst der Entwilderung der
menschlichen Gesellschaft und dem regelmässigen Anbau der Länder
gewichen sind, ehedem die Bubonenpest nicht unterhalten konnten. Die Pest war
vielmehr in Europa, </FONT><FONT face=Arial size=1>[25]</FONT><FONT size=3>
bevor noch Handel und gesellschaftlicher Verkehr die Völker
vereinte ); es ist daher mit Grund zu vermuthen, dass sie sich durch rohe
Lebensweise und die Unkultur des Bodens selbständig entwickelt hat,
Einflüsse, welche die Entstehung schwerer Krankheiten recht eigentlich
begünstigen. Nun brauchen wir nicht einmal in die früheren
Jahrhunderte zurückzugehen, denn das vierzehnte selbst zählte vor
seiner Mitte bereits fünf oder sechs Pestseuchen ). Erwägen wir
daher die Eigenthümlichkeit der Pest, dass sie in den Ländern, die sie
einmal heimgesucht hat, noch eine längere Zeit in milderen Formen
fortdauert, und dass die epidemischen Einflüsse von 1342, wo sie sich zum
letztenmale gezeigt hatte, bis 1348 ihrem stillen Fortwuchern überaus
günstig waren, so ergiebt sich die Annahme, dass auch in diesem
verhängnisvollen Jahre Keime der Pest im südlichen Europa vorhanden
waren, welche durch atmosphärische Schädlichkeiten geweckt werden
konnten, dass also der schwarze Tod, wenigstens zum Theil, in Europa selbst
entstanden sei. Die Verderbnis des Luftmeers kam von Osten, aber die Krankheit
selbst kam nicht auf den Flügeln des Windes, sondern sie wurde von der
Atmosphäre nur angeregt und vergrössert, wo sie schon vorhanden
war.</P>
<P align=justify>Dieser Ursprung der schwarzen Pest war jedoch nicht der
alleinige. Denn noch viel mächtiger als die Anregung schon vorhandener Pest
durch atmosphärischen Einfluss wirkte die Ansteckung der Völker unter
einander </FONT><FONT face=Arial size=1>[26]</FONT><FONT size=3> auf den grossen
Heerstrassen und in den Häfen des mittelländischen Meeres. Von China
ging der Zug der Karavanen durch Mittelasien im Norden des kaspischen Meeres bis
nach Taurien; hier harreten Schiffe, um die Erzeugnisse des Orients nach
Konstantinopel zu bringen, der Hauptstadt des Handels und dem Mittelpunkt der
Verbindung von Asien, Europa und Afrika ). Andere Züge gingen aus
Indien nach Kleinasien, und berührten die Städte im Süden des
kaspischen Meeres, und endlich von Bagdad aus über Arabien nach Aegypten;
auch war die Schifffahrt auf dem rothen Meere von Indien nach Arabien und
Aegypten nicht unerheblich. In allen diesen Richtungen bahnte sich die
Ansteckung ihre Wege, und ohne Zweifel sind Konstantinopel und die
kleinasiatischen Häfen als die Heerde der Verpestung anzusehen, von denen
diese nach entfernten Hafenstädten und Inseln ausstrahlte. Nach
Constantinopel war die Pest von den Nordküsten des schwarzen Meeres
gebracht worden ), nachdem sie bereits die Länder zwischen jenen
Handelsstrassen entvölkert hatte, und schon 1347 zeigte sie sich in Cypern,
Sicilien, Marseille und einigen Hafenstädten Italiens; die übrigen
Inseln des mittelländischen Meeres, besonders Sardinien, Corsica und
Majorca, wurden eine nach der andern heimgesucht. An der ganzen
Südküste Europa’s waren also Heerde der Ansteckung bereits in
voller Wirksamkeit, als die Seuche im Januar 1348 in Avignon ) und in
anderen südfranzösischen und norditalienischen Städten, so wie in
Spanien erschien. Die Tage ihres Ausbruchs in den einzelnen Ortschaften sind
nicht mehr auszumitteln; aber gleichzeitig war dieser nicht, denn in Florenz
erschien die Krankheit zu Anfang April ), </FONT><FONT face=Arial
size=1>[27]</FONT><FONT size=3> in Cesena den 1. Juni ), und das ganze Jahr
über wurde ein Ort nach dem andern ergriffen, so dass die Seuche, nachdem
sie ganz Frankreich und Deutschland, wo sie jedoch erst im folgenden Jahre ihre
grössten Verheerungen machte, durchwandert hatte, erst im August in England
ausbrach, wo sie denn auch nur so allmählig fortschritt, dass sie erst drei
Monate später London erreichte ). Die nordischen Reiche wurden von ihr
1349, und zwar Schweden erst im November dieses Jahres, befallen, also fast zwei
Jahre nach ihrem Ausbruch in Avignon ). Polen erhielt die Seuche im Jahre
1349 wahrscheinlich aus Deutschland ), wo nicht aus den nordischen
Ländern, in Russland aber zeigte sie sich erst 1351, länger als drei
Jahre nach ihrem Ausbruch in Konstantinopel. Anstatt von Taurien und vom
kaspischen Meere nordwestlich vorzudringen, hatte sie also den grossen Umweg vom
schwarzen Meere über Konstantinopel, das südliche und mittlere Europa,
England, die nordischen Reiche und Polen gemacht, bevor sie die moskowitischen
Gauen erreichte, eine Erscheinung, die bei späteren, aus Asien stammenden
Weltseuchen nicht wieder vorgekommen ist.</P>
<P align=justify>Ob zwischen der vorhandenen, durch atmosphärische
Einwirkung angeregten, und der durch Ansteckung hereingebrachten Pest
Unterschied statt gefunden haben, ist aus den Thatsachen nicht mehr zu
ergründen; denn die Zeitgenossen, die überhaupt genaueren
Untersuchungen dieser Art nicht gewachsen waren, haben darüber keine
Angaben hinterlassen. Eine mildere und eine bösartigere Form war allerdings
vorhanden, und jene hatte sich wohl </FONT><FONT face=Arial
size=1>[28]</FONT><FONT size=3> nicht immer aus dieser herausgebildet, wie
daraus zu vermuthen ist, dass das Blutspeien, das untrügliche Merkmal der
letzten, bei dem ersten Ausbruche der Seuche nicht gleichmässig in allen
Berichten erwähnt wird, und nun ist es wahrscheinlich, dass die mildere der
einheimischen, die bösartige der durch Ansteckung hereingebrachten Pest
angehöre. Die Ansteckung aber war an sich nur eine von den vielen Ursachen,
welche die schwarze Pest hervorriefen; diese Krankheit war, wenn irgend eine,
kosmischen Ursprungs, eine Folge mächtiger Regungen des Erdorganismus. Eine
Triebfeder setzte zur Vernichtung lebender Wesen tausend andere in Bewegung,
vergängliche oder nachhaltige, nah- oder fernwirkende; — die
mächtigste von allen war die Ansteckung, denn in den fernsten Ländern,
die kaum noch den Nachhall der ersten Erschütterung vernommen hatten,
erlagen die Völker der organischen Vergiftung, der Ausgeburt in Aufruhr
gerathener Lebenskräfte.</P></FONT><B><FONT face="Fraktur BT">
<P align=center><A name=_Toc428895993>4.
Menschenverlust </A></P></B></FONT><FONT size=3>
<P align=justify>Die Verheerungen der schwarzen Pest zu beurtheilen, haben wir
keinen sichern Massstab, wenn Zahlenverhältnisse verlangt werden, wie in
neueren Zeiten. Man versetze sich einen Augenblick zurück in das vierzehnte
Jahrhundert. Die Völker waren noch wenig entwildert. Die Kirche hatte sie
wohl gebändigt, aber sie litten alle an den Nachwehen ursprünglicher
Rohheit. Die Herrschaft der Gesetze war noch nicht befestigt, noch überall
hatten die Fürsten mächtige Feinde der innern Ruhe und Sicherheit zu
bekämpfen; die Städte waren Festungen zu eigener Nothwehr, an den
Wegen lagerten Raubritter, der Landmann war Lehnsknecht, ohne eigenen Besitz,
Rohheit allgemein, Menschlichkeit noch nicht in der Sinnesart der Völker.
Die Scheiterhaufen der Hexen und Ketzer loderten hoch auf, sanfte Herrscher
erschienen schwach, überall wilde Leidenschaften, Härte, Grausamkeit;
[29] — Menschenleben hatte geringen Werth, die Staaten kümmerten sich
nicht um die Zahl ihrer Unterthanen, für deren Wohl zu sorgen ihnen oblag.
Das erste Erforderniss also, um den Menschenverlust zu ermessen, die Kenntnis
der Volkszahl, geht uns durchaus ab, und nun sind wiederum die
überlieferten Angaben dieses Verlustes so ungenau, dass auch von dieser
Seite nur Raum bleibt für ungefähre Vermuthungen.</P>
<P align=justify>Kairo verlor während der grössten Wuth der Seuche
täglich 10- bis 15'000 Menschen, so viel als hier in neuerer Zeit grosse
Pesten im Ganzen weggerafft haben. In China sollen über dreizehn Millionen
gestorben sein, und dem entsprechen die gewiss übertriebenen Berichte aus
dem übrigen Asien. Indien wurde entvölkert, die Tartarei, das
tartarische Reich Kaptschak, Mesopotamien, Syrien, Armenien waren mit Leichen
bedeckt, die Kurden flohen, ohne Rettung zu finden, in die Berge, Caramanien und
Cäsarea starben aus; an den Wegen, auf den Lagerplätzen, in den
Caravanserai's sah man nur unbeerdigte Todte, und nur einige Städte
(arabische Geschichtsschreiber nennen Maara el nooman, Schisur und Harem)
blieben auf unerklärliche Weise frei. In Aleppo starben täglich 500,
in Gaza innerhalb sechs Wochen 22'000 Menschen und die meisten Thiere; Cypern
verlor fast alle seine Einwohner ), und oft sah man im
mittelländischen Meere, wie später in der Nordsee, Schiffe ohne Lenker
umhertreiben, die die Pest verbreiteten, wo sie auf den Strand geriethen ).
Dem Papste Clemens in Avignon wurde berichtet, im ganzen Orient, wahrscheinlich
mit Ausnahme von China, wären 23'840'000 Menschen von der Pest weggerafft
worden ). Die Genauigkeit dieser Angabe könnte Verdacht erregen, wenn
man sich der [30] Begebenheiten des vierzehnten und funfzehnten Jahrhunderts
erinnert. Wie hätten so grosse Kriege geführt, so gewaltige
Anstrengungen unternommen, das griechische Kaiserthum nur hundert Jahre
später gestürzt werden können, wenn die Völker wirklich so
ganz aufgerieben gewesen wären? Aber die Erfahrung, dass die Paläste
der Fürsten den Seuchen weniger zugänglich sind, und dass an wichtigen
Orten die Einwanderung aus verschonteren Gegenden selbst die grössten
Verluste bald ersetzt, macht diese Nachricht glaublich; sie erinnert uns auch,
dass mit den todten Zahlen ohne eindringende Kenntniss des Wesens der
menschlichen Gesellschaft nicht eben viel gethan ist. Wir wollen uns darauf
beschränken, einige der zuverlässigeren Nachrichten aus
europäischen Städten aufzuführen:</P></FONT>
<TABLE border=0 cellPadding=4 cellSpacing=0 width=354>
<TBODY>
<TR>
<TD vAlign=top width=73%><FONT size=3>
<P align=justify>In Florenz starben an der schwarzen
Pest:</FONT></P></TD>
<TD vAlign=top width=16%><FONT size=3>
<P align=right>60'000</FONT></P></TD>
<TD vAlign=top width=11%><SUP><FONT size=3>
<P align=center></SUP>)</FONT></P></TD></TR>
<TR>
<TD vAlign=top width=73%><FONT size=3>
<P align=justify>In Venedig</FONT></P></TD>
<TD vAlign=top width=16%><FONT size=3>
<P align=right>100'000</FONT></P></TD>
<TD vAlign=top width=11%><SUP><FONT size=3>
<P align=center></SUP>)</FONT></P></TD></TR>
<TR>
<TD vAlign=top width=73%><FONT size=3>
<P align=justify>In Marseille in einem Monat</FONT></P></TD>
<TD vAlign=top width=16%><FONT size=3>
<P align=right>16'000</FONT></P></TD>
<TD vAlign=top width=11%><SUP><FONT size=3>
<P align=center></SUP>)</FONT></P></TD></TR>
<TR>
<TD vAlign=top width=73%><FONT size=3>
<P align=justify>In Siena</FONT></P></TD>
<TD vAlign=top width=16%><FONT size=3>
<P align=right>70'000</FONT></P></TD>
<TD vAlign=top width=11%><SUP><FONT size=3>
<P align=center></SUP>)</FONT></P></TD></TR>
<TR>
<TD vAlign=top width=73%><FONT size=3>
<P align=justify>In Paris</FONT></P></TD>
<TD vAlign=top width=16%><FONT size=3>
<P align=right>50'000</FONT></P></TD>
<TD vAlign=top width=11%><SUP><FONT size=3>
<P align=center></SUP>)</FONT></P></TD></TR>
<TR>
<TD vAlign=top width=73%><FONT size=3>
<P align=justify>In St. Denys</FONT></P></TD>
<TD vAlign=top width=16%><FONT size=3>
<P align=right>14'000</FONT></P></TD>
<TD vAlign=top width=11%><SUP><FONT size=3>
<P align=center></SUP>)</FONT></P></TD></TR>
<TR>
<TD vAlign=top width=73%><FONT size=3>
<P align=justify>In Avignon</FONT></P></TD>
<TD vAlign=top width=16%><FONT size=3>
<P align=right>60'000</FONT></P></TD>
<TD vAlign=top width=11%><SUP><FONT size=3>
<P align=center></SUP>) </FONT></P></TD></TR>
<TR>
<TD vAlign=top width=73%><FONT size=3>
<P align=justify>In Strassburg</FONT></P></TD>
<TD vAlign=top width=16%><FONT size=3>
<P align=right>16'000</FONT></P></TD>
<TD vAlign=top width=11%><SUP><FONT size=3>
<P align=center></SUP>)</FONT></P></TD></TR>
<TR>
<TD vAlign=top width=73%><FONT size=3>
<P align=justify>In Lübeck</FONT></P></TD>
<TD vAlign=top width=16%><FONT size=3>
<P align=right>9'000</FONT></P></TD>
<TD vAlign=top width=11%><SUP><FONT size=3>
<P align=center></SUP>)</FONT></P></TD></TR>
<TR>
<TD vAlign=top width=73%><FONT size=3>
<P align=justify>In Basel</FONT></P></TD>
<TD vAlign=top width=16%><FONT size=3>
<P align=right>14'000</FONT></P></TD>
<TD vAlign=top width=11%> </TD></TR>
<TR>
<TD vAlign=top width=73%><FONT size=3>
<P align=justify>In Erfurt wenigstens</FONT></P></TD>
<TD vAlign=top width=16%><FONT size=3>
<P align=right>16'000</FONT></P></TD>
<TD vAlign=top width=11%> </TD></TR>
<TR>
<TD vAlign=top width=73%><FONT size=3>
<P align=justify>In Weimar</FONT></P></TD>
<TD vAlign=top width=16%><FONT size=3>
<P align=right>5'000</FONT></P></TD>
<TD vAlign=top width=11%><SUP><FONT size=3>
<P align=center></SUP>)</FONT></P></TD></TR>
<TR>
<TD vAlign=top width=73%><FONT size=3>
<P align=justify>In Limburg</FONT></P></TD>
<TD vAlign=top width=16%><FONT size=3>
<P align=right>2'500</FONT></P></TD>
<TD vAlign=top width=11%><SUP><FONT size=3>
<P align=center></SUP>)</FONT></P></TD></TR>
<TR>
<TD vAlign=top width=73%><FONT size=3>
<P align=justify>In London wenigstens</FONT></P></TD>
<TD vAlign=top width=16%><FONT size=3>
<P align=right>100'000</FONT></P></TD>
<TD vAlign=top width=11%><SUP><FONT size=3>
<P align=center></SUP>)</FONT></P></TD></TR>
<TR>
<TD vAlign=top width=73%><FONT size=3>
<P align=justify>In Norwich</FONT></P></TD>
<TD vAlign=top width=16%><FONT size=3>
<P align=right>51'100</FONT></P></TD>
<TD vAlign=top width=11%><SUP><FONT size=3>
<P align=center></SUP>)</FONT></P></TD></TR>
<TR>
<TD vAlign=top width=73%><FONT size=3>
<P align=justify>Hierzu kamen:</FONT></P></TD>
<TD vAlign=top width=16%> </TD>
<TD vAlign=top width=11%> </TD></TR>
<TR>
<TD vAlign=top width=73%><FONT size=3>
<P align=justify>Barfüsser Mönche in
Deutschland</FONT></P></TD>
<TD vAlign=top width=16%><FONT size=3>
<P align=right>124'434</FONT></P></TD>
<TD vAlign=top width=11%><SUP><FONT size=3>
<P align=center></SUP>)</FONT></P></TD></TR>
<TR>
<TD vAlign=top width=73%><FONT size=3>
<P align=justify>Minoriten in Italien</FONT></P></TD>
<TD vAlign=top width=16%><FONT size=3>
<P align=right>30'000</FONT></P></TD>
<TD vAlign=top width=11%><SUP><FONT size=3>
<P align=center></SUP>)</FONT></P></TD></TR></TBODY></TABLE><FONT size=3>
<P align=justify>[32] Dieses kurze Verzeichnis könnte durch mühsame
und unsichere Berechnung anderweitiger Angaben noch leicht vervielfältigt
werden, würde aber doch niemals ein anschauliches Bild der geschehenen
Verheerungen gewähren. Lübeck — damals das nordische Venedig
— das die zuströmende Volksmenge nicht mehr fassen konnte, gerieth
bei dem Ausbruch der Pest in so grosse Verwirrung, dass seine Bürger wie im
Wahnsinne von dem Leben Abschied nahmen. Kaufleute, denen Erwerb und Besitz
über alles ging, entsagten kalt und willig ihren irdischen Gütern. Sie
trugen ihre Schätze in die Klöster und Kirchen, um sich ihrer auf den
Stufen der Altäre zu entledigen; aber für die Mönche hatte das
Gold keinen Reiz, denn es brachte den Tod. Sie schlossen die Pforten —
doch warf man es ihnen noch über die Klostermauern; man wollte kein
Hinderniss an dem letzten frommen Werke, zu dem die stumme Verzweiflung
gerathen. Als die Seuche vorüber war, glaubte man nur noch unter Leichen zu
wandeln, denn alle Ueberlebenden waren von widriger Todtenfarbe entstellt, in
Folge ausgestandener Angst und unabwendbarer Verpestung der Luft ). Einen
ähnlichen Anblick mögen viele andere Städte gewährt haben,
und es ist ausgemacht, dass eine grosse Anzahl Flecken und Dürfer, die man
nicht zu hoch auf 200'000 angiebt ), aller ihrer Einwohner beraubt worden
sind. In Frankreich blieben an vielen Orten von zwanzig Einwohnern nur zwei am
Leben ), und die Hauptstadt fühlte die Wuth der Seuche in den
Wohnungen der Armen wie in den Pallästen. Zwei Königinnen ), [33]
ein Bischof und andere Vornehme in grosser Anzahl wurden als ihre Opfer
betrauert, über fünfhundert starben täglich im Hôtel-Dieu,
unter der treuen Pflege barmherziger Schwestern, deren entsagender Muth unter
den schönsten Zügen menschlicher Tugend in diesem grauenvollen
Jahrhundert hervorleuchtet. Denn obwohl sie der sichtlichen Ansteckung erlagen,
und ihre Schaar sich mehrmals erneute, so fehlte es doch nie an Neueintretenden,
denen unchristliche Todesfurcht fremd und fromme Hingebung heiliger Ruf war.
Bald waren die Kirchhöfe überfüllt, und nicht wenige
verödete Häuser verfielen in Trümmer ). In Avignon sah der
Papst sich genöthigt, die Rhone zu weihen, damit die Leichen ohne Aufschub
hineingeworfen werden konnten, als die Kirchhöfe nicht mehr
ausreichten ), wie denn in allen volkreichen Städten
ungewöhnliche Maassregeln ergriffen wurden, um sich der Todten schnell zu
entledigen. In Wien, wo eine Zeitlang täglich an 1'200 Einwohner
starben ), wurde die Bestattung der Leichen auf den Kirchhöfen und
innerhalb der Kirchen sofort untersagt, und nun reihte man die Todten
schichtweise zu Tausenden in sechs grosse Gruben ausserhalb der Stadt ),
wie dies [34] schon in Kairo und Paris geschehen war. Doch wurden noch viele
heimlich begraben, denn zu allen Zeiten hängt das Volk an der geweihten
Ruhestätte seiner Todten, und mag sich die hergebrachte Weise der
Bestattung nicht nehmen lassen. Gerüchte verbreiteten sich an vielen Orten,
man habe Pestkranke lebendig begraben ), wie dies geschieht bei sinnlosem
Schreck und unziemlicher Eilfertigkeit, und so stieg allenthalben das Entsetzen
unter dem geängsteten Volke. In Erfurt wurden, nach Ueberfüllung der
Kirchhöfe, 12'000 Leichen in 11 grosse Gruben geworfen, und Aehnliches
könnte mehr oder minder genau von allen grösseren Städten
berichtet werden ); feierliche Leichenbestattung, der letzte Trost der
Hinterbliebenen, war aller Orten unausführbar. In ganz Deutschland sollen,
nach wahrscheinlicher Berechnung, doch nur 1'244'434 Einwohner gestorben
sein ); dies Land blieb indessen mehr verschont, als die übrigen.
Italien aber wurde am härtesten betroffen, man sagt, es habe die
Hälfte seiner Einwohner verloren ), und diese Angabe ist
glaubwürdig bei den ungeheuren Verlusten der einzelnen Städte und
Landschaften. Denn in Sardinien und Corsica blieb nach dem Berichte des
trefflichen Florentiners <B>Johann Villani</B>, den die schwarze Pest selbst
abforderte, kaum der dritte Theil der Volksmenge am Leben ), und von den
Venetianern wird erzählt, sie hätten zu hohen Preisen Schiffe
gemiethet, um nach den Inseln zu entfliehen, so dass die stolze Stadt, nachdem
die [35] Pest drei Viertheile ihrer Einwohner weggerafft, öde und
menschenleer geworden ). In Padua fehlten nach dem Aufhören der Seuche
zwei Drittheile der Einwohner, und in Florenz erging ein Verbot, die Zahl der
Verstorbenen bekannt zu machen, und sie mit Grabgeläute zu bestatten, damit
die Lebenden sich nicht der Verzweiflung hingäben ).</P>
<P align=justify>Von England haben wir genauere Nachrichten. Die meisten grossen
Städte erlitten unglaubliche Verluste, vor allen Yarmouth, wo 7'052
Einwohner starben, Bristol, Oxford, Norwich, Leicester, York und London, wo
allein auf einem Begräbnissplatze über 50'000 Leichen, schichtweise in
grosse Gruben eingereiht, beerdigt wurden ). Man sagt, es sei im ganzen
Lande kaum der Zehnte am Leben geblieben ), doch ist diese Angabe offenbar
zu hoch; schon geringere Verluste konnten die Erschütterungen
hervorbringen, deren Folgen in einer nachtheiligen Richtung des
bürgerlichen Lebens noch einige Jahrhunderte fühlbar blieben, und
ihren mittelbaren Einfluss, den Engländern unbewusst, vielleicht bis in die
neuere Zeit fortgepflanzt haben. Durchweg verschlechterten sich die Sitten, der
Gottesdienst wurde grossentheils eingestellt, denn an vielen Orten
verödeten die Kirchen, ihrer Priester beraubt; der Volksunterricht wurde
gelähmt ), die [36]Habsucht nahm zu, und als die Ruhe wiedergekehrt
war, erstaunte man über die grosse Zunahme von Rechtsanwalten, denen die
endlosen Erbstreitigkeiten reichlichen Erwerb darboten. Dabei wirkte der Mangel
an Priestern im ganzen Lande überaus nachtheilig auf das Volk, dessen
niedere Stände den Verheerungen der Seuche am meisten blossgestellt waren,
während die Häuser der Lords verhältnissmässig mehr
verschont blieben, und es konnte nicht frommen, dass ganze Schaaren unwissender
Laien, die während der Pest ihre Frauen verloren, sich in die geistlichen
Orden drängten, um an dem Ansehn des Priesterstandes und den reichen
Erbschaften Theil zu nehmen, die der Kirche von alle Seiten zugefallen waren.
Die Sitzungen des Parlaments, der Kings-Bench und der meisten anderen Gerichte
wurden, so lange die Pest wüthete, ausgesetzt: die Gesetze des Friedens
galten nicht während der Herrschaft des Todes. Diesen Zustand der
Auflösung benutzte der Papst <B>Clemens</B>, um den blutigen Hader zwischen
<B>Eduard</B> III. und <B>Philipp</B> VI. zu schlichten, doch gelang ihm dies
nur für die Zeit, als die Pest Frieden gebot, der Tod <B>Philipp</B>'s
(1350) vernichtete alle Verträge, und man erzählt, dass Eduard zwar
mit anderen Söldlingen, aber mit denselben Heerführern und Rittern
wieder ins Feld gezogen sei. Irland wurde viel weniger als England heimgesucht;
die Gebirgsgegenden dieses Reiches soll die Pest kaum berührt haben; und
auch Schottland würde vielleicht frei geblieben sein, wenn nicht die
Schotten die Niederlage der Engländer zu einem Einfall in ihr Gebiet
benutzt hätten, der damit endete, dass ihr Heer von der Seuche und vom
Schwert aufgerieben wurde, und die Entkommenen die Pest über das ganze Land
verbreiteten.</P>
<P align=justify>Zu Anfang war in England Ueberfluss an allen
Lebensbedürfnissen, aber bald gesellte sich zu der Pest, die das einzige
Uebel zu sein schien, eine mörderische Viehseuche. Zu Tausenden fielen die
Thiere, die ohne Hüter umherirrten, an den Hecken und Zäunen, und wie
[37] man ähnliches in Afrika gesehen, so sollen auch hier die Vögel
und Raubthiere sie nicht angerührt haben. Von welcher Art diese Seuche
gewesen, kann eben so wenig bestimmt werden, als ob sie durch Ansteckung von
Pestkranken oder aus anderen Ursachen entstanden sei; nur so viel ist gewiss,
dass sie erst nach dem Anfang der schwarzen Pest ausbrach. Infolge dieser
Viehseuche, und weil das Getreide von den Feldern nicht eingebracht werden
konnte, entstand überall grosse Theuerung, die vielen unerklärlich
schien, weil die Erndte gesegnet war, von anderen dem bösen Willen der
Arbeiter und Verkäufer beigemessen wurde, jedoch in wirklichem, durch die
Umstände bedingten Mangel ihren Grund hatte, aus dem jederzeit einzelne
Klassen Vortheil zu ziehen pflegen. Ein ganzes Jahr lang, bis zum August 1349,
hauste die schwarze Pest in diesem schönen Lande, und vergiftete
überall die Quellen des behaglichen Wohlergehens ). In anderen
Ländern war sie gewöhnlich nur von halbjähriger Dauer, doch
kehrte sie an einzelnen Orten häufig wieder, worin einige, ohne
genügenden Beweis, einen siebenjährigen Umlauf annehmen wollten )
</FONT><FONT face=Arial size=2>[dies entspräche dem Biela'schen
Kometen]</FONT><FONT size=3>.</P>
<P align=justify>Spanien wurde von der schwarzen Pest bis über das Jahr
1350 hinaus unablässig verheert, wozu die häufigen inneren Fehden und
die Kriege mit den Mauren nicht wenig beitrugen. <B>Alphons</B> XI., den sein
kriegerischer Eifer zu weit fortriss, starb an ihr bei der Belagerung von
Gibraltar, den 26. März 1350 — der einzige König in Europa, den
sie abforderte; aber schon vor dieser Zeit warne zahllose Familien in Trauer
versenkt worden ). [38] Im übrigen scheint die Sterblichkeit in
Spanien geringer als in Italien, und eben so bedeutend als in Frankreich gewesen
zu sein.</P>
<P align=justify>Der Zeitraum des verderblichen Wüthens der schwarzen Pest
fiel für ganz Europa, mit Ausnahme von Russland, auf die vier Jahre von
1347 bis 1350. Die Seuchen, die späterhin, bis 1383 ) oftmals
wiederkehrend die Völker heimsuchten, zählen wir nicht mehr zu dem
"grossen Sterben", sondern es waren gewöhnliche Pesten, ohne
Lungenbrand, wie in der Vorzeit und in den nächsten Jahrhunderten,
hervorgerufen durch überall verhaltenen Ansteckungsstoff, der bei jeder
günstigen Gelegenheit neuen Boden gewinnen konnte, wie dies zu geschehen
pflegt bei dieser furchtbaren Krankheit. Das Zusammenströmen grosser
Menschenmassen war besonders gefährlich, und so bewirkte denn, noch
während der grossen Epidemie, die vorzeitige Feier des Jubeljahres (1350),
zu welcher <B>Clemens</B> VI. die Gläubigen nach Rom beschied, einen neuen
Ausbruch der Seuche, der von hundert Pilgern kaum einer entgangen sein
soll ). Italien wurde dadurch aufs Neue entvölkert, und die
Rückkehrenden verbreiteten Gift und Sittenverderbniss wiederum nach allen
Richtungen ). Es leuchtet um so weniger ein, wie jener sonst so weise und
besonnene Papst, der sich unter den schwierigsten Verhältnissen auf dem
Wege der Vernunft und Menschlichkeit zu halten wusste, zu einer so verderblichen
Anordnung gekommen, da er selbst von der Heilsamkeit der Sperre so
überzeugt war, dass er während der Pest in Avignon bei beständig
unterhaltenem Kaminfeuer keinem Sterblichen ihm zu nahen erlaubte ), [39]
und auch im Uebrigen nur Befehle gab, die vieles Elend verhüteten, oder
linderten.</P>
<P align=justify>Die Veränderungen, die um diese Zeit im hohen Norden
vorgingen, sind denkwürdig genug, um bei ihnen einige Augenblicke zu
verweilen. In Schweden starben zwei Prinzen, <B>Håkan</B> und <B>Knut</B>,
Halbbrüder des Königs <B>Magnus</B>, und in Westgothland allein 466
Priester ). Die Bewohner von Island und Grönland fanden in der
Kälte ihres unwirthbaren Himmelsstriches keinen Schutz gegen den
südlichen Feind, der aus glücklicheren Ländern zu ihnen gedrungen
war; die Pest hauste weidlich unter ihnen, die Natur brachte ihre
beständigen Kämpfe gegen die Elemente und den ihnen so kärglich
zugemessenen Lebensgenuss, nicht zu ihren Gunsten in Anschlag ). In
Dänemark und Norwegen aber war man mit dem eigenen Elend so
beschäftigt, dass die gewöhnlichen Grönlandsfahrten unterblieben.
Zugleich thürmten sich Eisberge an den Küsten von Ostgrönland,
— in Folge der allgemeinen Erschütterungen des Erdorganismus, —
und kein Sterblicher hat fortan diese Gestade und ihre Bewohner je wieder
gesehen ) [Vgl. <I>Der (bislang) Letzte Grosse Ruck</I>].</P>
<P align=justify>Dass in Russland die schwarze Pest erst 1351 ausbrach, nachdem
sie den Süden und Norden Europa's bereits durchwandert hatte, ist oben
bemerkt worden. Auch in diesem Lande war die Sterblichkeit ausserordentlich
gross, und es wiederholten sich dieselben Scenen der Trauer und Verzweiflung wie
bei den Völkern, die nun schon das Schlimmste überstanden hatten:
dieselbe Art der Todtenbestattung, [40] dieselbe grauenvolle Gewissheit des
Todes, dieselbe dumpfe Erstarrung der Gemüther. Reiche entsagten ihren
Schätzen, und schenkten ihre Dörfer und Ländereien den Kirchen
und Klöstern, denn dies war nach den Vorstellungen des Zeitalters das
sicherste Mittel, der Gnade des Himmels theilhaftig und der Vergebung begangener
Sünden gewiss zu werden. Auch in Russland brachte Furcht und Grauen die
Stimme der Natur zum Schweigen: Väter und Mütter verliessen ihre
Kinder, und Kinder ihre Aeltern in der Stunde der Gefahr ).</P>
<P align=justify>Von allen Annahmen über die Grösse des
Menschenverlustes in Europa ist die wahrscheinlichste, dass im Ganzen der
<B>vierte Theil</B> der Einwohner von der schwarzen Pest weggerafft worden sei.
Wenn nun gegenwärtig Europa von 210 Millionen bewohnt wird, so betrug die
Volksmenge im vierzehnten Jahrhundert, um eine höhere Angabe zu vermeiden,
die leicht gerechtfertigt werden könnte, mindestens 105 Millionen. Es kann
also mit Grund und ohne Uebertreibung angenommen werden, dass Europa durch die
schwarze Pest <B>fünfundzwanzig Millionen</B> Einwohner verloren hat.</P>
<P align=justify>Dass die Völker eine so furchtbare Erschütterung im
Aeussern doch so bald verwinden, und sich überhaupt ohne grössere
Rückschritte, als wirklich geschahen, so entwickeln konnten, wie sie in den
folgenden Jahrhunderten auftraten, ist der überzeugendste Beweis der
Unverwüstlichkeit der menschlichen Gesellschaft in ihrer Gesammtheit.
Anzunehmen, dass diese in ihrem Innern keine wesentlichen Veränderungen
erlitten habe, weil dem Anscheine nach alles beim Alten blieb, widerstreitet
indessen einer richtigen Ansicht von Ursache und Wirkung. Viele
Geschichtsschreiber scheinen sich zu einer solchen Meinung zu bekennen, gewohnt,
nach ihrer Weise, den sittlichen Zustand der Völker allein nach dem Wechsel
[41] der irdischen Macht, den Ausgängen der Kämpfe, und dem Einfluss
der Religion zu beurtheilen, an den grossen Naturerscheinungen aber, die nicht
nur die Oberfläche der Erde, sondern auch die Gemüther umgestalten,
gleichgültig vorüberzugehen, wie denn die meisten unter ihnen das
grosse Sterben im vierzehnten Jahrhundert nur oberflächlich berührt
haben. Wir unseres Theils sind der Ueberzeugung, dass der schwarze Tod zu den
grössten Weltbegebenheiten gehört, welche den gegenwärtigen
Zustand von Europa vorbereitet haben. Hierzu werden sich vielleicht für den
umsichtigen Beobachter des menschlichen Gemüths, wie für den Kenner
der geistigen Kräfte, welche Völker und Staaten in Bewegung setzen, im
Folgenden einige Beweise ergeben. Vor der Hand war die Steigerung der Hierarchie
in den meisten Ländern auffallend, denn die Kirche erwarb aller Orten
Schätze und grossen Länderbesitz, mehr noch, als nach den
Kreuzzügen; die Erfahrung aber hat gezeigt, dass ein solcher Zustand den
Völkern verderblich ist, und sie zu Rückschritten veranlasst, deren
ohnehin schon viele geschahen.</P>
<P align=justify>Nach dem Aufhören der grossen Pest war eine grössere
Fruchtbarkeit der Weiber überall auffallend — dieselbe grossartige
Erscheinung, die nach jeder verheerenden Seuche das Walten einer höheren
Macht in der Richtung des organischen Gesammtlebens — wenn irgend ein
anderer Vorgang — überzeugend beweist. Die Ehen waren fast ohne
Ausnahme gesegnet, und häufiger als sonst wurden Zwillinge und Drillinge
geboren, wobei wir der sonderbaren Sage gedenken müssen, dass nach dem
grossen Sterben die Kinder weniger Zähne erhalten haben sollen, als
früher, worüber die Zeitgenossen sich gewaltig entsetzten, und auch
Spätere leichtgläubig in Verwunderung gerathen sind. Geht man dieser
oft wiederholten Angabe auf den Grund, so ergiebt sich bald, dass man sich nur
eigentlich darüber wunderte, bei den Kindern nur zwanzig oder
höchstens zweiundzwanzig Zähne ausbrechen zu sehen, als ob ihnen
jemals mehr [42] zu Theil geworden wären ). Irgend ein Schriftsteller
von Gewicht, wie z. B. der Arzt Savonarola ) in Ferrara, die
wahrscheinlich achtundzwanzig Zähne bei den Kindern suchten, liessen
darüber ihre Bedenken laut werden; man schrieb ihnen nach, ohne selbst zu
sehen, wie oft bei anderen Dingen, die eben so am Tage liegen, und siehe da, die
Welt glaubte an das Wunder einer Unvollkommenheit des menschlichen Körpers,
die von der schwazen Pest bewirkt worden sei. Allmählig verschmerzten die
Völker die ausgestandenen Leiden, die Todten wurden betrauert und
vergessen, und die Welt gehörte den Lebenden im regen Wechsel des
Daseins ).</P></FONT><B><FONT face="Fraktur BT">
<P align=center><A name=_Toc428895994>5. Moralische
Folgen</A></P></B></FONT><FONT size=3>
<P align=justify>Die Erschütterung der Gemüther </P></FONT><B><FONT
face="Fraktur BT">
<P align=center><A name=_Toc428895995>6. Die Aerzte</A></P></B></FONT><FONT
size=3>
<P align=justify>Wenden wir uns jetzt zu der ärztlichen
Einsicht,</P></FONT><FONT face=Arial size=2>
<P align=center><A name=_Toc428895996>[87] </FONT><B><I><FONT
size=4>Anhang</A></P></B></I></FONT><FONT face=Arial size=2>
<P align=center><A name=_Toc428895997>[88] </FONT><B>I<FONT face="Fraktur BT">.
Das alte Geisslerlied</A></P></B></FONT>
<TABLE border=0 cellPadding=4 cellSpacing=0 width=638>
<TBODY>
<TR>
<TD colSpan=2 vAlign=top width=49%><B><FONT size=3>
<P align=center>Nach Massmann's Ausgabe von Herrn Professor Lachmann
mit der Handschrift verglichen.</B></FONT></P></TD>
<TD colSpan=2 vAlign=top width=51%><B><FONT size=3>
<P align=center>Uebersetzung</B></FONT></P></TD></TR>
<TR>
<TD vAlign=top width=6%> </TD>
<TD vAlign=top width=43%><FONT size=3>
<P align=justify>Sve siner sele wille pleghen</P>
<P align=justify>De sal gelden unde weder geuen</P>
<P align=justify>So wert siner sele raed</P>
<P align=justify>Des help uns leue herre goed</FONT></P></TD>
<TD vAlign=top width=6%> </TD>
<TD vAlign=top width=45%><FONT size=3>
<P align=justify>Wer seiner Sele will pflegen,</P>
<P align=justify>Der soll gelten und wiedergeben:</P>
<P align=justify>So wird seiner Sele Rath.</P>
<P align=justify>Dess hilf uns, lieber Herre gut!</FONT></P></TD></TR>
<TR>
<TD vAlign=top width=6%><FONT size=3>
<P align=right>5</FONT></P></TD>
<TD vAlign=top width=43%><FONT size=3>
<P align=justify>Nu tredet here we bossen wille</FONT></P></TD>
<TD vAlign=top width=6%><FONT size=3>
<P align=right>5</FONT></P></TD>
<TD vAlign=top width=45%><FONT size=3>
<P align=justify>Nu trete her, wer büssen will:</FONT></P></TD></TR>
<TR>
<TD vAlign=top width=6%> </TD>
<TD vAlign=top width=43%> </TD>
<TD vAlign=top width=6%> </TD>
<TD vAlign=top width=45%> </TD></TR>
<TR>
<TD vAlign=top width=6%> </TD>
<TD vAlign=top width=43%> </TD>
<TD vAlign=top width=6%> </TD>
<TD vAlign=top width=45%> </TD></TR>
<TR>
<TD vAlign=top width=6%> </TD>
<TD vAlign=top width=43%> </TD>
<TD vAlign=top width=6%> </TD>
<TD vAlign=top width=45%> </TD></TR></TBODY></TABLE><FONT size=3>
<P align=justify></P></FONT><FONT face=Arial size=2>
<P align=center><A name=_Toc428895998>[96] </FONT><B>II<FONT face="Fraktur BT">.
Verhöre der Brunnenvergiftung beschuldigter Juden </A></P>
<DIR>
<DIR></FONT><FONT size=3>
<P align=justify>Castellani Chillionis Antwort-Schreiben ahn die Statt
Strassburg</B>, sampt einer Copia der Inquisition und Confession verschiedener
Juden in castro Chillionis detentorum, super facto tossici et veneni, des
Vergisstens halben, de Anno 1348.</P></DIR></DIR>
<P align=justify>Denen Edlen und Fürsichtigen Schultheissen,
</P></FONT></DIV></BODY></HTML>
</x-html>