Dr. Eugen Gabowitsch (Karlsruhe)
Türken in Europa: Türkei der Osmanen, die hohe Pforte (Reich der Osmanen)
als europäische Großmacht seit dem 15. Jh.

Mein Vortrag am 2. März 2001 im Geschichtssalon zu Karlsruhe war der anfänglichen Phase des Osmanenreichs (15.-16. Jh.) gewidmet. Ich betonte den imperialen (als Gegensatz zum nationalen) Charakter des Türkenreichs. Von Anfängen des Osmanenreichs bis zum Jahr 1623 waren unter den Grosswesiren (etwa dem Premierminister entsprechende höchste Amt unter den Sultan) nur fünf Türken. Elf waren Slawen, 11 Albaner, sechs Griechen. Es gab auch Grosswesire italienischer, armenischer und tscherkessischer Herkunft. Bei 12 Großwesiren ist die Abstammung nicht bekannt, aber auch diese waren vermutlich mindestens teilweise in christlichen Familien aufgewachsen.
Ich zweifle, ob man im 15. Jh. schon überwiegend Türkisch in der Türkei gesprochen hat: wo ist den die griechische, kurdische, armenische, jüdische etc. Bevölkerung mit eigenen Sprachen geblieben?! Auf dem Balkan haben sich die nichttürkischen Sprachen sowieso bis heute gehalten, auch Kurdisch ist immer noch präsent. Und zum Osmanenreich des 16. Jh. gehörten die arabisch besiedelten Gebiete, die bis heute ihre arabische Sprache (wenn auch in Form von mehreren Dialekten) beibehalten haben.
Die persischen Gebiete westlich von Teheran wurden nur zwischen 1514 und 1638 nach Kriegen mit Persien vorübergehend von Osmanen beherrscht oder abhängig geworden. Trotzdem beeinflusste die persische, wie auch die arabische Sprache Türkisch in solchem Masse, dass heute, nach den Reformen der Atatürkära ist Türkisch eine ganz andere Sprache geworden. Die imperiale Sprache, die eine Mischung aus alten türkischen, arabischen und persischen Sprache darstellte, heisst heute Osmanisch.
Übrigens lt. A. Fomenko ist Osman nicht unbedingt ein Personenname (einen der ersten Herrscher der Türken) gewesen. Er ist überzeugt, dass die - teilweise alte türkische Sprachen sprechenden - Kosaken aus dem Raum nördlich des Schwarzen Meeres nach Balkan kamen und wie es bei Kosaken üblich ist, ihre (gewählten) Heeresführer Atamanen nannten. Das Wort sei eine Mischung aus türkischem Ata (Vater, Haupt) und und germanischem Mann. Viel wahrscheinlicher ist übrigens die Morosov-Variante, der in einem Atamanen den germanischen Hauptmann sieht.
In jedem Fall, soll aus Ataman später ein Personenname Osman entstanden sein. Also sind die Türken-Osmanen des 14. Jh. in Wirklichkeit die von Atamanen geführten Kosaken und das Osmanenreich wird bei Fomenko konsequent Atamanenreich genannt.
Wann und woher die Türkisch sprechende Bevölkerung nach Anatolien kam (und ob sie überhaupt dorthin massenhaft übersiedelte), muss neu erforscht werden. Es ist durchaus möglich, dass die heutigen Türken in Wirklichkeit die Nachfahren von Byzantiner (also der Griechen und anderer Völker der Byzanz) sind, die einfach die türkische Sprache von den sie beherrschenden Kosaken übernommen habe. Heute liegt zwischen dem Gebiet der türkischsprachigen Aseris (Azerbaidschaner) und dem türkischen (im linguistischen Sinne des Wortes) Teil der Türkei ein Gürtel aus gebieten mit der Bevölkerung, die kartvelischen, indogermanischen (Kurdisch und Armenisch) und arabische Sprachen spricht.
Die Rolle der slawischen Bevölkerung des Osmanenreichs ist in dem Zusammenhang gut bekannt, dass die Militäreinheiten der Janycharen, der einflussreichen Garde der Sultanen, traditionell aus Slawen bestand. Diese Tradition geht auf die Zeiten zurück (14. Jh.), in welchen die Osmanen am Boden des Balkan operierten und dort ihre ersten großen Erfolge feierten (Adrianopel-Eroberung 1361, die Tschirmen Schlacht 1371 in Bulgarien, Eroberung von Sofia 1386, die Kossovo Schlacht am Amselfed 1389). Bestimmt bestand um die Zeit die ganze türkische Armee hauptsächlich aus Slawen, die auch bei der Eroberung Konstantinopels die führende Rolle spielten.
Ich zweifle auch an der traditionellen Theorie der Geschichtler, die behaupten, dass die Türkei praktische schon i in der byzantinischen Zeit vom Türken-Seldschuken oder Rum-Seldschuken (also den byzantinischen Seldschuken) grösstenteils beherrscht wurde. Ich war vor einigen Jahren in Bursa (Brussa), der vermeintlichen Hauptstadt des Türkenreichs vor der endgültigen Eroberung der Byzanz, und ich glaube nicht, dass die berühmtem Bauwerke (Kuppelbauten) in Bursa vor 1453 entstanden.
Vermutlich ginge die Türkisierung des westlichen Anatoliens seit Ende des 15. Jh. Schritt für Schritt mit der Verbreitung des Islam voran. Die neue Religion suchte ihre Identität, ihre Abgrenzung zum Judentum und der christlichen Orthodoxie und bediente sich einer neuen Sprache, die sich bis Mitte des 16. Jh. in der Zeit des Sultans Suleiman den Prächtigen, 1520-1566 (den Prototyps des biblischen Salomons), in Konstantinopel-Istambul und Westanatolien mehrheitlich durchsetzte. Die Eroberung von Zentralanatolien dauerte noch ins 16. Jh. hinein, auch die Verbreitung der türkischen Sprache auf diese Gebiete.
Ich betonte im Vortrag, dass die Türkei im 15.-17. Jh. ein fortschrittlicher und liberaler Staat war, ohne religiöser Verfolgungen und Kriege. Christen und Juden konnten sich im Osmanenreich ziemlich wohl fühlen, die Belastung der ländlichen Bevölkerung war klar definiert und nicht zu schwer. Die Moslems zahlten keine pro-Kopf-Steuer, die Nichtmoslems 10% des Einkommens. Zum Vergleich: in Westeuropa musste ein Bauer alleine an die katholische Kirche 10% abgeben. Darum flohen Bauern nach Balkan aus katholischen Ländern und nicht umgekehrt.
Die Faszination, die in ganz Europa die Blütezeit des Osmanenreichs hervorhob, hat unser Geschichtsbild nachträglich geändert: die Renaissanceautoren beschrieben die Erfolge der türkischen Eroberer in apokrythischer Form und schrieben diese den legendären Königen wie Philip II und sein Sohn Alexander d. Gr. zu. Alleine schon der Vergleich der Karte der "Eroberungen" von Alexander mit solcher des Suleimans den Prächtigen zeigt so starke Übereinstimmungen, dass man hier vom Zufall nicht reden kann.
Bis heute weis ein Otto Normalverbraucher der historischen Literatur fast nicht von reellen historischen Figuren Mehmed (Mohammed) II der Eroberer und Suleiman II der Prächtige, kennt aber dafür die Taten dieser großen Figuren der Weltgeschichte aus Bücher und Romanen über den Philip II und Alexander d. Gr. Heute wissen wir auch, dass die türkischen Eroberungen trotz militärischer und logistischer Überlegenheit des türkischen Heeres, trotz moderner Waffen und einer stark die Expansion unterstützender Religion einige Hunderte von Jahren dauerte. Die Blitzkriege von Alexander sind nur aus einem Grund so schnell verlaufen: weil alle Schlachten dieser Kriege nur auf dem Papier geschlagen wurden.