Eugen Gabowitsch

Newton als (neben Hardoin) geistiger Vater der Chronologiekritik und Geschichtsrekonstruktion.

Bemerkungen zum Artikel von Uwe Topper in EFODON Synesis.

Die Rolle von Isaac Newton als einen der ersten Zweifler an der Richtigkeit der Chronologie von Scaliger und Pettau kann kaum durch ein Artikel gebührend gewürdigt werden. Trotzdem haben der Autor und die Redaktion von Synesis mit der Veröffentlichung Topper (1999) einen wichtigen ersten Schritt in die notwendige Richtung getan. Aus der heutigen Perspektive soll nicht nur die Kürzung der Chronologie durch den großen Naturwissenschaftler, sonder sein überzeugender empirischer Beweis der Unmöglichkeit einer eindeutigen Datierung der historischen Ereignisse hervorgehoben werden, auch wenn für Isaac Newton gerade die kürzere Chronologie selbst die wichtigste Rolle spielte.

Neben dem unermüdlichem Kritiker der Existenz des Altertums Jean Hardouin muß Isaac Newton als einer der Väter der heutigen Chronologiekritik betrachtet werden. J. Hardouin hat solche Wissenschaften wie Numismatik, Archäologie, literarische Kritik und kritische Historiographie als erster (oder einer der ersten) verwendet und darum soll als Erzvater der westlichen Geschichtsrekonstruktion betrachtet werden. I. Newton gründete die naturwissenschaftliche Kritik der Geschichtsschreibung, die bei russischen Chronologiekritikern des 20. Jh. ihre besondere Blüte erlebt.

Mit seinem Artikel versucht Uwe Topper (1999) – und er macht es professionell und überzeugend - eine schmerzliche Lücke in der deutschen Literatur zur Chronologiekritik und Geschichtsrekonstruktion (ChK&GR) zu schließen: er erzählt die spannende Geschichte um den großen Naturwissenschaftler Isaac Newton, der sich sein ganzes Leben lang für Theologie, Geschichte und Chronologie interessierte und zahlreiche Manuskripte zu diesen Themen verfaßte. Nur wenige wurden vom vorsichtigen, aber der Natur nach häretischen großen Wissenschaftler veröffentlicht. Und wir können vom unermeßlichen Glück reden, daß unten diesen auch zwei Schriften zur Chronologie gewesen sind.

Wieso nicht in Zeitensprüngen?

Die obenerwähnte Lücke ist nach dem zehnjährigem Bestehen der spezialisierten Zeitschrift "Zeitensprünge" zur ChK&GR kaum zu erklären. Schrieb doch Heribert Illig (1989) im ersten Heft dieser Zeitschrift (damals noch Vorzeit-Frühzeit-Gegenwart genannt) in seinem für ihm üblichen würdigend-verabstufenden Präsentationsweise schon kurz über das Buch von I. Newton (1728). Also war das Buch dem Herausgeber seit Anfang an gut bekannt. Trotzdem beschränkte sich die Zeitschrift auf einige kurze und wenig sagende Bemerkungen. Ich zitiere aus Illig (1989):

"Der gläubige Christ, der noch keinen archäologischen Fund, sondern ausschließlich antike Quellen berücksichtigen konnte oder müßte, läßt nur die jüdische Zeitrechnung und griechische Olympiadenrechnung unangetastet. Rücksichtslos streicht er stolze Ahnenreihen zusammen und kommt u.a. zu folgenden Datierungen:

-958 Ödipus tötet Laios        -838 Cheops Pharao

- 937 Fahrt der Argo        -747 Ära Nabonassar

- 904 Fall von Troia        -627 Gründung Roms"

Das H. Illig diese von ihm ausgewählten Beispiele ohne Kommentar läßt, ist für einen nicht gerade chronologiebesessenen Leser eher verwirrend. Man versteht kaum, wieso gerade diese Beispiele ausgewählt wurden und ob hinter diesen Beispielen auch ein System steckt. Ödipus und die Argonauten werden selten in Geschichtsbüchern als historische Figuren mit datierbaren Lebensdaten betrachtet. Fall von Troia wird im Vergleich mit der heutigen Chronologie um ca. 320 Jahre näher an unsere Zeit gerückt. Cheops wir um ca. 2000 Jahre jünger, Nabonassar bekommt keine Korrektur und die Gründung Roms eine nur relativ kleine im Vergleich mit –753.

Was überhaupt nicht erwähnt bleibt, ist die skeptische Haltung von I. Newton bezüglich der alten Chronologie. "Das griechische Altertum ist voll von poetischen Fiktionen, weil die Griechen nichts mit Beweisen versetzten, als sie über die Zeiten schrieben, die vor der Eroberung von Asien durch Kyros lagen." (S. 1). Erst nach Tod von Alexander d. G. begannen die griechischen Chronologen ihre mehr oder weniger genauen Aufzeichnungen. Dabei setzten sie für drei hintereinander folgende Herrscher 100-120 Jahre, wodurch die griechische Chronologie um 300-400 Jahre künstlich verlängert wurde (S. 3). Wie unsicher die griechische Chronologie diese Zeit war und wie zweifelerregend sie für die Griechen selbst war zeigt Newton auf dem Beispiel von Plutarch (S. 3). Auch die Verdoppelung von historischen oder mythologischen Gestalten wird ausführlich erwähnt (S. 4-6).

Es folgen kritische Passagen über die römische, assyrische und ägyptische Geschichte. Und auch über die chronologischen Tabellen (die berühmte Kurze Chronologie von Newton), die Newton im ersten Kapitel seines Buchs präsentiert, schreib er selbst, daß diese durchaus Fehler um einige Jahre, ja sogar um 10-20 Jahre beinhalten können, was ihm schon von zeitgenössischen und vielen späteren Chronologen positiv unterscheidet.

Auch die zweite Erwähnung der Chronologie von Newton in "Zeitensprünge", die mir zu finden gelang, ist nichtssagend: in Illig (93, S. 61) wird diese einfach lapidar als kurze Chronologie erwähnt. Man muß zwangsläufig zum Schluß kommen, daß die führende deutsche Zeitschrift zur ChK&GR eine so bedeutende Figur wie des I. Newtons absichtlich oder aus Unverständnis seiner Größe ignoriert. Und das obwohl bei Newton die Kürzung der Geschichte um ca. 300 Jahre eine wichtige Rolle spielt.

Chronologie von Newton in anderen Ländern und in anderen Zeiten.

Eine Würdigung der chronologischen Verdienste von Isaac Newton findet fast in jedem Buch der russischen Autoren Fomenko und Nosovski statt. Auch Nikolaj Morosow hat über das Buch noch während seiner mehr als 20-jährigen Inhaftierung erfahren und sofort nach der Entlassung aus dem Gefängnis Ende 1905 eilte, das Buch zu finden und zu lesen.

Bei Fomenko wird mit Genugtuung betont, daß Newton viele wichtige Daten der ägyptischen Geschichte um ca. 1800 Jahre verjüngte, was der von Fomenko entdeckten Verschiebung um ca. 1800 Jahre in der alten Geschichte ziemlich gut entspricht. Auch die Verschiebung um 300 Jahre kommt bei Fomenko oft vor und gehört zu einer der verbreitetsten Fehler in der heutigen Geschichtsschreibung.

Die Engländer, die viel weniger als die Deutschen und Russen sich mit der ChK&GR beschäftigen, haben das Buch von Newton 1988 als Reprint wieder verlegt. Stellt sich die Frage, wieso die verkürzte deutsche Übersetzung dieses Buchs von Philipp Georg Hübner (s. Newton, 1741, 1745) nie in der Literatur zur ChK&GR zitiert, kommentiert oder als Reprint herausgegeben wurde?

Nach der Untersuchung der vollständigsten aller Veröffentlichungslisten von Newton, kam Fomenko zum Schluß, daß vor 1988 die letzte separate Herausgabe des Chronologie - Buchs von Newton im Jahr 1770 erfolgte. Diese Veröffentlichung beinhaltete auch einen Brief aus dem Jahre 1754 vom Bischof von Rochester, Zachary Pearce, an den Dr. Hunt, Professor der Hebräistik an der Uni Oxford. In Manuel (1963) fand ich auch die Erwähnung einer italienischen Übersetzung des Buchs (Venedig, 1757).

Ende des 18. Jh. wurden die gesammelten Werke von I. Newton veröffentlicht (1779-1785). Die im fünften Band diese Ausgabe plazierte Chronologie wurde mit Fußnoten versehen, die die "Fehler" von Newton betonen sollten.

Unterbrechung des Interesse zum Chronologiebuch von I. Newton markiert die Kanonisierung der Chronologie des antiken Mittelmehrraums, die etwa Ende des 18. Jh. stattfand. Trotzdem wurde 1827 zum 100 Jahrestag seines Todes eine anonyme Abhandlung "Essays on Chronology" in Cambridge veröffentlicht, die versuchte – mindestens teilweise – die Verdienste von I. Newton im chronologischen Bereich zu würdigen. Insbesondere wurde die Gültigkeit seiner kritischen Überlegungen zum mittlerer Dauer der Herrschaften in frühen Zeiten betont. Auch 1830 wurde im dritten Band des Buchs "Fasti helenici. The Civil and Literary Chronology of Greece and Rome" von Henry Fynes Clinton die Chronologie von Newton diskutiert und nicht vollständig abgelehnt.

Die Wiederbelebung dieses Interesse im 20. Jh. ist mit der Tätigkeit der russischen Chronologiekritiker M.M. Postnikov und A.T. Fomenko verbunden. Diese zwei bekannten Mathematiker, sowie die Mitautoren von späteren Büchern von Fomenko (V. Kalashnikov, G. Nosovski u.a.) fühlten sich als Nachfolger von I. Newton, der für sie ein glaubwürdiger und wissenschaftlich ähnlich denkender Vorreiter war.

Für Fomenko ist Chronologie der ersten Jahrhunderte (16.-18. Jh.) der Existenz dieser Wissenschaft ein Teil der Mathematik und er sieht seine Aufgabe in der Rückkehr dieser praktisch vergessener Wissenschaft in die Arme seiner liebenden Mutter. Chronologie muß befreit werden von ideologischen und dogmatischen Vorstellungen und verwandelt werden in eine überprüfbare und verständliche rechnerische Wissenschaft, deren Ergebnisse für jeden nachvollziehbar und überzeugend sind.

Kurze und lange Fassung der Chronologie von Newton.

Aus der Schilderung von Uwe Topper geht hervor, daß I. Newton zuerst (1720) eine kurze Fassung der Chronologie zusammenstellte und erst später eine viel detailliertere. Die Einzelheiten dieser Geschichte sind nicht nur interessant, sondern auch viel über die Umstände seines Lebens und seiner Schwierigkeiten im Umgang mit Zeitgenossen sagend. Schauen wir an, wieWestfall (1996) sie beschreibt, als er über Newton folgendes zu berichten weis:

"In hohem Alter kehrte er zu den theologischen Themen zurück, für die er sich in seinen frühen Mannesjahren glühend begeistert halte. Er hatte seine theologischen Studien zwar nie ganz aufgegeben, aber nach der Veröffentlichung der Principia standen sie 20 Jahre hindurch eher im Hintergrund. Nur eine kleine Zahl theologischer Papiere fällt mit Sicherheit in diese Zeitspanne. In den Jähren 1705/10 befaßte er sich wieder intensiver mit Theologie, und in seinen letzten Jahren galt ihr trotz aller Belastung durch die Neuausgaben der Principia und der Opticks sein Hauptinteresse. In diesen späten Papieren stehen oft Informationen über frühe Häresien neben Material über heidnische Religionen, über die Natur Christi oder die Chronologie der Propheten. [...] In der Theologie war Newton zu ebenso radikalen Schlußfolgerungen gekommen wie in der Naturphilosophie. Bisher hatte er sie nur einem begrenzten Kreis enger Vertrauter eröffnet. Mit fortschreitendem Alter und eingedenk des unvermeidlichen Endes wuchs in ihm das Bewußtsein seiner Verantwortung. Wenn er stürbe, so sagte er, "werde er die Genugtuung haben, die Philosophie in weniger mangelhaftem Zustand zurückzulassen, als er sie vorgefunden habe" (S. 372)

Weil Newton einige der häretischen Auffassungen nicht nur beschrieb und analysierte, sonder diese auch für richtig hielt (heute wird ihm eine Neigung zum Arianismus nachgesagt, die er aber sein ganzes Leben lang von der Öffentlichkeit verbarg), scheute er die entsprechenden seine Manuskripte zu veröffentlichen. Er war sehr um eigene Stellung und Achtung besorgt und als ein alter Mann die Bekanntgabe seiner häretischen Vorstellungen noch stärker zu vermeiden wollte, "als dies der junge Rebell 50 Jahre früher getan hatte". Wie Uwe Topper mit gutem Grund betont, wuchsen die chronologischen Kürzungen bei Newton aus seinen theologischen Schlußfolgerungen.

Newton war seit rund zehn Jahren mit der Überarbeitung seiner Deutung theologischer Arbeiten beschäftigt, "als Caroline, die Princess of Wales, 1716 von seinen neuen Prinzipien der Chronologie erfuhr. Sie interessierte sich sehr dafür und bat Newton um eine Abschrift seiner Arbeiten. Newton gab seine Werke nie leicht aus der Hand. Noch weniger lag ihm daran, der Princess of Wales eine Abhandlung zu überlassen, die immer noch genügend häretische Aussagen enthalten konnte, um seine sofortige Entlassung als Direktor der Münze zu rechtfertigen. Gut geschult in der Kunst des Hinauszögerns, argumentierte er, das Werk sei "unvollkommen und verworren", doch er wußte sehr wohl, daß mit einer königlichen Anweisung nicht zu scherzen war. Eilig verfaßte er ein "Abstract" seiner Chronologie, das später den Namen "Short Chronology" erhielt und die Arbeit in "die zu ihrer Prüfung geeignetste Form" brachte, und überreichte es einige Tage später der Prinzessin. Für sich betrachtet und losgelöst von den "Origines", auf denen sie basieren, enthielten die Ideen des "Abstract" nichts besonders Neues und nichts, was Anstoß hätte erregen können. Indem er seine umstürzlerische Theologie als Chronologie verkleidete, hatte sie Newton selbst für den königlichen Gebrauch genug entschärft". (S. 373)

In unserer weiteren Schilderung folgen wir dem Buch Manuel (1963): Die Prinzessin Caroline wurde gebeten, die kurze Chronologie nicht zu verbreiten. Trotzdem wurde die Existenz der kurzen Chronologie immer bekannter und viele haben Newton um weitere Kopien gebeten. Obwohl er einige solche Kopien anfertigte (hauptsächlich, um kleine Korrekturen zu machen), gab er sie praktisch keinem den Interessenten, auch wenn unter solchen viele bekannten Chronologien der Zeit waren, die eine gewisse Aufwertung ihrer Wissenschaft durch die Einbeziehung von berühmten Newton in eigene Reihen gehofft haben. Einer von diesen Interessenten war Abbé Conti, dem Newton eine Kopie der kurzen Chronologie entsprechen der Bitte von Prinzessin Caroline anvertraute. Abbé Conti nahm diese Kopie mit nach Paris, wo er sie mehreren interessierten Wissenschaftlern zu lesen gab.

M. Freret, ein bekannter Chronologe dieser Zeit, Mitglied der Académie des Inscriptions et Belles-leitres, übersetzte die kurze Chronologie ins französische und schrieb dazu seine eigenen kritischen Kommentare. Diese Übersetzung gelangte in die Hände des Buchhändlers G. Gavelier, der die Veröffentlichung anstrebte und im Mai 1724 einen Brief an Newton schrieb, um sein Erlaubnis zur Publikation zu bekommen. Newton beantwortete den Brief nicht (vermutlich wollte er dadurch seine Abneigung gegenüber der Veröffentlichungsidee ausdrücken oder selber noch nicht sicher war, was er eigentlich wolle). Im März 1725 schrieb G. Gavelier noch einen Brief und wieder schwieg Newton, obwohl in dem Brief stand, daß das Schweigen als Zustimmung der Veröffentlichung interpretiert wird.

Dann begann G. Gavelier die Vorbereitung der Publikation. Für alle Fälle bat er einen seinen Freund in London Newton zu besuchen und ihm zum Erlaubnis zu bewegen. Das Treffen fand am 27. Mai 1725 statt und Newton verweigerte das Erlaubnis. Aber als diese Nachricht Paris erreichte, war das Buch schon verlegt.

Newton bekam ein Exemplar des Buchs Newton (1725) am 11. November 1725 und veröffentlichte sofort einen Brief in Transactions of the Royal Society, v. 33, 1725, p. 315, in dem er Abbé Conti beschuldigte, sein Wort zu brechen und gegen den Willen des Autors gehandelt zu haben. Ob die ganze Geschichte vielleicht doch von einem heimlichen Wunsch von Newton spricht, seine kurze Chronologie zu veröffentlichen und zu sehen, wie die Öffentlichkeit darauf reagieren wird, darf spekuliert werden.

Die Reaktion der Wissenschaft war eher negativ. "Pater Etienne Souciet, ebenfalls ein Experte in früher Chronologie, veröffenthchte fünf Abhandlungen gegen Newtons Datierungssystem. Als nunmehr alter Mann wollte Newton zunächst die Angriffe ignorieren, um eine neue Kontroverse zu vermeiden. Doch änderte er schließlich seine Meinung und beschloß, sich dadurch zu verteidigen, daß er sein Werk zur Chronologie in vollständiger Form herausbrachte. Während er es noch einmal überarbeitete, ereilte ihn der Tod. Wir sollten daraus nicht schließen, daß er das Werk unvollendet hinterlassen hat. Endlose Überarbeitungen waren Newtons Schicksal, so gering die Änderungen oft auch waren." (Westfall, 1996, S. 373) Im Jahr 1728, ein Jahr nach Newions Tod, wurde die vollständige Fassung in England veröffentlicht (Newton, 1728). Bald danach wurde auch die französische Übersetzung der "langen” Chronoilogie in Paris verleegt (Newton, 1728a).

Newton als Vater der chronologischen Statistik.

In seinem letzten Kapitel "Wie war Newton zu seinen Ergebnissen gekommen?" seines Artikels betont Uwe Topper, daß auch Newton nicht immer klar begründen konnte oder wollte, wie er zu seinen Ergebnissen gekommen war (eine Angewohnheit, die bei den Chronologen bis in die heutigen Tage als Regel zu beobachten ist). Trotzdem finden wir bei Topper in seinem vorletztem Kapitel auch die Antwort auf die von Ihm gestellte Frage: Newton kam zu seinen Ergebnissen durch zwei wichtige neue oder verbesserte Methoden:

Die beiden Methoden fanden bei Morosow und später bei Fomenko eine massive Anwendung in verbesserter Form. Auch Morosow fang seine statistischen Überlegungen mit Betonung der Unmöglichkeit einer mittleren Regierungszeit um 33,3 Jahre. Er betonte insbesondere, das es bedeuten würde, daß die ägyptischen Pharaonen fast immer seine Enkel und nicht die Söhne als Nachfolger am Thron gehabt haben sollten.

Wie Morosow bemerkt, sollten die Pharaonen bei einer 33-jähriger Besetzung des Throns erst etwa im Alter von 30 Jahren ihren ersten Sohn bekommen haben. Das widerspricht allen statistischen Angaben über die Herrscher des letzten Jahrtausends in allen möglichen Ländern. Und es ist kaum anzunehmen, daß im Altertum Leute länger lebten und viel später Nachfolger bekamen.

Morosow schloß seine statistischen Beobachtungen mit der Entdeckung von drei aus der Sicht der Wahrscheinlichkeitstheorie total unmöglichen Übereinstimmungen - den unterschiedlichen Epochen (und Ländern) entsprechenden – von Zahlenreihenfolgen ab, die die Dauer der Herrschaftszeit für nacheinander folgenden Potentaten präsentieren.

Diese statistische Analyse wurde durch Fomenko ausgeweitet. Die von ihm entdeckten mehr als zwanzig solcher unwahrscheinlicher Übereinstimmungen führten zu seinem Modell einer kurzen Chronologie, die erst ab ca. 1350 beginnt und erst nach 1650 mehr oder weniger plausibel ist.

Newton und Hardouin.

Bei allen Kritikern von der Newton'schen "Chronologie" (wie z. B. beim obenerwähnten Pater Souciet) kann man vom großen Respekt, mit dem sie den kritisierten Newton behandeln, sprechen. Für J. Hardouin ist der Große Mann, den er als ersten Geometer und Mathematiker Europas sieht, kein Autorität in Sachen Chronologie.

Trotzdem war die Reaktion von Jean Hardoin an die "Chronologie" von I. Newton keinesfalls eindeutig negativ. Wir berichten darüber nach Manuel (1963). Einerseits irritierte ihm sein Glauben an die Existenz des Altertums und er stellte die Frage "Wollen die Menschen nie aufhören über den Alter der Welt zu diskutieren?". Anderseits betonte er, daß obwohl die meisten Chronologen sich bemühen, die Welt möglichst alt erscheinen zu lassen, hat I. Newton mit seinen astronomischen Retrokalkulationen die Welt um 534 Jahre verjüngert (S. 177). Eine ganz andere Frage ist, das der Skeptiker an der Existenz des Astronomen Chiron zweifelte und hielt ihm zu einem berühmten Arzt, der nie ihm zugeschriebene astronomische Beobachtungen gemacht hatte. Und ohne Chirons Beobachtungen verlieren die Retrokalkulationen von Newton jegliche Aussagekraft (nicht aber die statistischen Überlegungen, die wir oben erwähnten).

Interessant ist auch zu erwähnen. (s. S. 178)., daß kein kleinerer als Voltaire die Verteidigung von Newton gegen Hardouin übernahm (alles, was einem Jesuiten nicht gefiel, war für ihm verteidigungswert). Obwohl er gegen jedes System sich skeptisch wehrte und darum auch das System der Chronologie grundsätzlich ablehnte, fand er das neue chronologische System richtig. Vielleicht spielte für ihm auch die Tatsache eine Rolle, daß das neue System das alte völlig überflüssig machte

Literatur