Man lasse sich nicht täuschen durch das noch recht jugendliche Alter des Autors, den leichten Erzählton und den oft sehr volkstümlich-amerikanischen Gebrauch der englischen Sprache: David Childress ist, obwohl er abenteuerlich und mit wenig Geld reist, ein veritabler Gelehrter. Er dürfte heute wie kaum ein zweiter mit den zahllosen vorgeschichtlichen Rätseln vertraut sein, die nicht in das Weltbild jener passen, die die Wissenschaft als Schrank mit schon vor langer Zeit beschrifteten Schubladen, worin mehr oder weniger fixiertes "Wissen" ruht, mißverstehen. Obwohl er auch an umstrittene Quellen
(etwa Churchward) vorurteilslos herangeht und Ihm vorgeschichtliche Flugapparate und Superwaffen, wie etwa im Mahabharata erwähnt, keineswegs unglaublich erscheinen, ist er ein ernstzunehmender Forscher. Sein Wissen reicht von der vergleichenden Religionskunde über Ethnologie, Vorgeschichte und alte Kulturen bis zur Geologie.
Um dem Leser Appetit zu machen, seien hier einige bei Chlldress zu findende "Leckerbissen" erwähnt, die einem sonst kaum angeboten werden. So zitiert Childress etwa ausführlich aus einem seltenen Werk eines John Macmillan Brown (1924), der zwischen den Weltkriegen ein Szenario veröffentlicht hatte, wonach versunkene kontinentale Landmassen im Pazifik den Schlüssel zu einem Verständnis der Vorgeschichte des pazifischen Raumes darstellen. Obwohl Brown zeitweilig Kanzler der University of New Zealand war, konnten die neoscholastischen Kräfte im akademischen Establishment sein Werk offensichtlich auf den stillschweigend geführten Index geächteter Bücher setzen.
Hier mag mancher Leser sich fragen, ob nicht alles Gerede von versunkenen Kontinenten schon längst, ein für allemal, von der Geologie ins Reich der Fabel verwiesen worden ist, jedenfalls soweit auf solchen versunkenen, kontinentalen Landmassen vor- oder frühgeschichtliche Hochkulturen existiert haben sollen. Wie die Geschichte der Wissenschaft lehrt, sind aber unsere Wissenschaften ganz einfach kollektive Bewußtseinszustände, wo alles in einem Zustand ständiger Evolution, Fluidität und Ungewißheit ist.
Es ist daher eine logische Absurdität, von einer solchen Quelle, die so etwas nicht liefern kann, definitive Antworten, endgültige Ergebnisse und unwiderlegbare Beweise zu erwarten. In diesem Sinne konstatiert Chlldress nüchtern und absolut korrekt, daß die Geologie keine exakte Wissenschaft ist, sondern größtenteils eine Angelegenheit ewig-wechselnder Meinungen und Theorien.
In dem Südamerika-Band berichtet Chlldress etwas Sensationelles, was ich mit Vorbehalt wiedergebe, aber keineswegs für ausgeschlossen halte. Im nordöstlichen Brasilien, in den Gebirgen des nördlichen Bahia, soll 1984 von A. Abreu eine "Inkafestung" entdeckt worden sein. Eine Inka- oder Prä-Inka-Festung in relativ so geringer Entfernung von der atlantischen Küste Südamerikas würde im Lichte der Forschungsergebnisse Thor Heyerdahls durchaus nicht unlogisch erscheinen.
In dem Afrika-Arabien-Band fallen schon beim Durchblättern die offenbar aus einem Werk von Boccazzi (1977) stammenden Photos von Mada'in Salih ins Auge. Mada'in Salih liegt im Hedschas, 300 km nordwestlich von Medina, und wurde von den Nabatu, den Nabatäern, erbaut. Der Stil der aus dem Felsen gehauenen Fassaden mutet, wie die Abbildungen zeigen, für diese Region recht fremdartig an; das Treppenmotiv erinnert an Alt-Peru.
Studiert man neuere Werke (etwa Glueck 1965, Hammond 1973. Lawlor 1974), so ist leicht zu erkennen, daß uns die Anfänge und die Herkunft der Nabatu noch ein Rätsel sind. Ein irgendwie gearteter Zusammenhang mit der alten Zivilisation Südarabiens wird vermutet. Im Hinblick auf die offensichtliche Tatsache, daß Mada'in Salih viel fremdartiger und älter wirkt als das 400 km entfernte, bekanntere Petra in Jordanien, mit dessen hellenistisch-synkretistischem Stil es keinerlei Berührung hat, möchte Ich die These beisteuern, daß wir in Mada'in Salih den nabatäischen Anfängen in Arabien gegenüberstehen.
Aber stammen die Nabatu überhaupt aus Arabien? Wie so viele alte Völker werden sie erst nach -700. nach den letzten Velikovskyschen Naturkatastrophen erkennbar. Zweifellos wird es im Zusammenhang mit den Nabatu gut sein, sich daran zu erinnern, daß die Herkunft der semitisch sprechenden Völker im allgemeinen, und der Araber (ein nie klar definierter ethno-linguistischer Begriff) im besonderen, noch alles eher als geklärt ist. Man denke nur an die sehr nachdenklich stimmenden Zusammenhänge zwischen Marokko und Südarabien.
Im selben Band berichtet Childress über einen vor- oder frühgeschichtlichen megalithischen Hafen, der vor Alexandria - westlich des Pharos-Leuchtturmes, nahe dem Ras El Tin - unter dem heutigen Spiegel des Mittelmeeres liegt. Der Entdecker G. Jondet (1916) - Ingenieur en chef des ports et phares d'Egypte - bezeichnet diesen Hafen als grandioses und kolossales Werk und scheint geneigt, seine Erbauung den mit der Abwehr der "Seevölker"-Angriffen beschäftigten Pharaonen zuzuschreiben. Sonderbarerweise scheint kein Schriftsteller der Antike diesen gewaltigen Hafen zu erwähnen. Wie dem auch sei:
Im Hinblick auf den vorgeschichtlichen megalithischen Hafen von Lixus an der marokkanischen Atlantikküste (Heyerdahl 1979) erscheint ein ähnlicher Hafen an der Mittelmeerküste Ägyptens wissenswert. Ein Vergleich der megalithischen Hafenanlagen von Lixus und Alexandria wäre verdienstvoll.
Es mögen diese wenigen Beispiele genügen, um zu zeigen, daß Childress' Bücher höchst Interessante Mosaiksteine auch für den ernsthaften Vorgeschichtsforscher enthalten. Im übrigen sind sie eine unterhaltsame Lektüre für all jene, die - im Lehnstuhl sitzend - gern über rätselhafte vorgeschichtliche Kulturen lesen, auch für den ganz allgemein an Reisen in andere Kontinente Interessierten. Der originelle Erzählstil Childress' wird sicherlich mitunter sogar einem Griesgram ein Schmunzeln entlocken.
Schön wäre es, wenn in einer Neuauflage die teilweise geradezu ungeheuerliche Anzahl an Druckfehlern drastisch verringert würde und die öfteren Verbreitungen über allzu Ungesichert-Phantastisches komprimiert werden könnten. Unübersehbare Anzeichen von Flüchtigkeit deuten darauf hin, daß Childress seine Bücher teilweise unter großem zeitlichen Druck verfaßt hat. Hier bleibt für eine Neuauflage noch manches nachzuholen. Dazu gehört, daß im Afrika-Band auch die bisher völlig ausgelassenen Länder an der Westseite des Kontinents, von Angola bis Marokko (Lixus!) - das von Hermann (1934) am alten Triton-See gefundene angebliche Tartessos fehlt ebenfalls - behandelt werden.
Bisher erschienen von David Childress folgende Bände:
Quellen: