Prof. Dr. Anatolij Timofejewitsch Fomenko (Moskau)

 

 

Kritik traditioneller Chronologie

der Antike und des Mittelalters

(Welches Jh. n. Chr. haben wir?)

 

 

Übersetzt von Alexander Beierbach

Lektorat: Eugen Gabowitsch und Uwe Topper

Korrektur Uta Topper

 

 

Vorlesung 1

Zeitgeschichtliche Probleme alter Chronologie

 

1.5. Glänzende Antike, ungebildetes dunkles Mittelalter und beeindruckende Renaissance

Machen wir uns einmal Gedanken über die Frage, wie und warum ein gewisser Abschnitt in der Geschichte des Mittelalters später die Renaissance, also "Wiedergeburt", genannt wurde. Die Antwort ist gut bekannt: in dieser Epoche wurden nach einer langen Periode des sogenannten "dunklen Mittelalters" praktisch alle antiken Zweige der Wissenschaft, Literatur, Malerei u. s. w. wiedergeboren (wie man heute glaubt). Man meint zum Beispiel, dass das alte klassische Latein am Anfang des Mittelalters zur groben, plumpen Sprache degenerierte, und erst in der Epoche der Renaissance seinen "früheren Glanz" nach und nach wiedererlangte. Diese "Wiedergeburt" des Latein (wie auch übrigens der altgriechischen Sprache) beginnt nicht früher als im 8.-9. Jh. n.Chr. (Nach neuen Erkenntnissen wird Altgriechisch erst im 14. Jh. in Italien allmählich bekannt – Lekt.).

"Seit Ende des 12. und Anfang des 13. Jh. sagten die Troubadoure mit gewissem Stolz, dass diese Geschichte (des Trojanischen Krieges. - A.F.) nicht abgedroschen ist. Niemand hat sie bis jetzt geschrieben und gedichtet" [25, S. 83]. Man braucht nicht zu erklären, dass die ungebildeten und unwissenden Troubadoure keinen blassen Schimmer von den majestätischen Liedern des blinden Homer gehabt haben, die in einer längst gestorbenen antiken Welt weit und breit bekannt waren! "Troubadoure... begannen zuerst mit dem Trojanischen Krieg; es war für sie fast ein nationales Thema" [25, S. 85-86]. Es geht darum, dass die Franken sich für gebürtige Trojaner gehalten haben. Außerdem, "mit dem Trojanischen Krieg verband man auch das Argonautenabenteuer... als die Kreuzritter (Double für Argonauten? - A.F.) auf die weiten Länder Asiens zusteuerten..." [25, S. 85-86]. In mittelalterlichen Texten zweifellos ungebildeter Autoren "macht Alexander d. Gr. dem Frankreich Komplimente" [Seite 25, S. 87-88]. Manche Romane des Mittelalters, die vom Trojanischen Krieg sprechen, stellen den berühmten trojanischen Helden Paris treuherzig mit der Stadt Paris gleich (vielleicht stammte er aus Paris?) (s. [20]).

Ständig mit solchen mittelalterlichen Aussagen konfrontiert, meinten die modernen, unter dem Druck traditioneller Chronologie stehenden Historiker absolut offenherzig, dass im Mittelalter "die Vorstellung von der chronologischen Reihenfolge fast verloren gegangen war: Bei der Beerdigung von Alexander d. Gr. waren Mönche mit Kreuzen und Weihrauchfässern anwesend (das ist bestimmt schlimmer, als "die Komplimente dem Frankreich" oder "die pariser Abstammung" von Paris. - A.F.). Catilina hört die Messe... Orpheus ist Zeitgenosse von Äneas, Sardanapal ist ein griechischer König, Julian Apostata ist päpstlicher Kaplan. Alles bekommt in dieser Welt ein fantastisches Kolorit.... Es leben die gröbsten Anachronismen und merkwürdigsten Hirngespinste friedlich zusammen" [26, S. 237-238]. Alle diese (und tausend andere) Überlieferungen werden heute nur aus dem Grunde als offensichtlich absurd verworfen, weil sie der anerkannten Version der Chronologie widersprechen.

Leser: Warum passt Ihnen denn die Hypothese der Inkompetenz vieler mittelalterlicher Chronisten nicht? Sie hätten wohl viel schreiben können, diese Mönche und Dichter, die gerade das richtige Lesen und Schreiben gelernt hatten.

Autor: Das Problem besteht darin, dass es erstens zu viele solche "Ungereimtheiten" gibt und zweitens diese aus irgendeinem Grunde mit Ergebnissen der unabhängigen Datierung (zum Beispiel astronomischer Datierung) alter Dokumente übereinzustimmen beginnen. Darüber werden wir später ausführlicher sprechen. Hier möchte ich nur unterstreichen, dass das Ergebnis der Datierung von Ereignissen nach schriftlichen Zeugnissen mehrdeutig ausfällt. Zum Beispiel kann der im "antiken Stil" geschriebene Text mit dem gleichen Erfolg in eine sehr alte Epoche wie auch in die Renaissance platziert werden.

Literatur

Bemerkung: Autor benutzt und zitiert hauptsächlich Quellen in Russisch. In der vorliegenden Übersetzung wurden auch im Falle der ins Russische übersetzten Bücher Zitate aus dem Russischen ins Deutsche übersetzt. Bei deutschen Originalquellen oder falls die Quelle ins Deutsche schon früher übersetzt wurde, wurde asserdem angestrebt, das Originalzitat zusätzlich zu bringen.

In der vorliegenden Liste wurden die russischen Titel zuerst in deutscher Transkription wiedergegeben. Wo es möglich war, wurden unter der gleichen Nummer mit zusätzlichen Buchstaben "a", "b" etc. auch der Titel des Originals und/oder die Übersetzung in eine der westeuropäischen Sprachen der Literaturliste beigefügt. Wo das unmöglich war, wurden die Übersetzungen der Titel in Klammern gegeben.

Wir bitten jeden Leser diese Liste aufmerksam zu prüfen und zu überlegen, ob er weitere Informationen über die westlichen Herausgaben der entsprechenden Quellen besitzt. Für solche Angaben wären wir den Lesern sehr dankbar.– Lekt.

1. Bikerman, E. J., Chronologija drevnego mira. Moskau, Nauka, 1976. (Russ.)

1a. Bickerman, E. J., Chronology of the Ancient World. London, 1968 (auch 1980).

1b. Bickerman, Elias, Chronologie. Teubner, Leipzig, 1963.

2. Gurewitsch, Ja., Kategorii srednevekovoj kul’tury. Moskau, 1972 (Die Kategorien der mittelalterlichen Kultur, Russ.).

3. Jewsebij Pamfil (Eusebios Pamphili), Tserkovnaja istorija. St-Peterburg, 1848. (Russ.)

3a. Eusebius <Caesariensis>, Kirchengeschichte. Studienausg., unveränd. Nachdr. der 3. Aufl. 1989. - Darmstadt: Wiss. Buchges., 1997.

4. Bler, G. Chronologicheskie tablitsy, Bände 1-2. Moskau, 1808-1809 (Chronologische Tabellen, Russ. Ob das Buch eine Übersetzung ist und wie der Familienname des Autors im Originalbuch geschrieben wurde ist uns leider nicht bekannt – Lekt.).

5. Kympan, F., Istorija chisla π. Moskau, 1971. (Russ.)

6. Momsen, T., Istorija Rima. Moskau, 1936 (Russ.).

6a. Mommsen, Theodor, Römische Geschichte, Deutsche Buch-Gemeinschaft, Berlin, 1931, Bänder I, II, III und V.

7. Radtsig, N., Natschalo rimskoj letopisi, Moskau, 1903 (Anfang der römischen Chronographie. Russ.)

8. Martynow, G., O natschale rimskoj letopisi. Moskau, 1903 (Zum Anfang der römischen Chronographie. Russ.)

9. Gerodot, Istorija. Leningrad, 1972.

9a. Herodot, Historien. Alfred Kröner, Stuttgard, 1971.

10. Brugsch, H, Istorija faraonow. Letopisi i pamjatniki drewnich narodow. Egipet. St.-Peterburg, 1880 (Russ.)

10a. Brugsch, Heinrich, Geschichte Ägypten’s unter den Pharaonen, Leipzig, 1877 (auch Wiesbaden, 1981).

11. Kusischtschina, W.I. (Redaktion), Istorija drewnego Wostoka, Moskau, 1979 (Geschichte des Alten Orients. Russ.).

12. Schantepi-de-la-Sossej, Illjustrirowannaja istorija religij. Moskau, 1899

12a. Chantepie de La-Saussaye, Pierre Daniel, Manual of the science of religion, London, 1891

12b. Chantepie de La-Saussaye, Pierre D., Lehrbuch der Religionsgeschichte, Tübingen (auch Freiburg)

13. Wulli, I., Ur haldeew., Moskau, 1961.

13a. Woolley, Charles L., Ur "of the Chaldees". Ithaca, NY, 1982 (auch London. 1982)

13b. Woolley, Charles L., Ur of the Chaldees. London, 1930. (auch Harmondsworth, 1938, 1940 und 1952)

14. Chronika Ioanna Malaly. W slowjanskom perewode. St.Peterburg, 1911 (Chronik von Johannes Malalas. In slawischer Übersetzung. Russ. Johannes Malalas oder Malelas, angeblich 491-578, byzantinischer Schriftsteller syrischer Abstammung, Autor der berühmten "Weltchronik", s. dazu Krumbacher K., Geschichte der byzantinischen Literatur. München, 1897, S. 329-330 - Lekt.)

15. Jewsewija Pamfilowa jepiskopa Kesarii Palestinskoj o naswanijach mestnostej, wstretschajuschtschichsja w Swjaschtschennom Pisanii. Blaschennogo Ieronima Stridonskogo o poloschenii i naswanijach jewrejskich mestnostej. St.Peterburg, 1894 (Eusebios Pamphili, Bischof der Cäsarea in Palästina über die geographischen Namen der Gegenden, die in der heiligen Schrift vorkommen. Hieronimus aus Stridonum (?) über die Lage und Benennung der jüdischen Ortschaften. Russ).

16. Gregorowius, F., Istorija goroda Rima w srednii weka. Ot 5. do 16. stoletija. T. 1-5, St.Peterburg, 1902-1912.

16a. Gregorovius, Ferdinand, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter: vom V. bis zum XVI. Jahrhundert / hrsg. von Waldemar Kampf. - Vollst. u. überarb. Ausg. in 7 Bd. nach d. erstmals 1953 - 1957 erschienenen Ausg. Wiss. Buchges, Darmstadt.

17. Nikita Choniat, Istorija so wremeni zarstwowanija Ioanna Komnina (1186-1206). St.Peterburg, 1862 (Niketas Choniates, Geschichte seit Thronbesteigung des Kaisers Johannes Komnenos. Russ; Niketas Choniates, angeblich 1155-1217, byzantinischer Beamter und Schriftsteller, Autor der berühmten "Chronik". – Lekt.)

17a. Nicetas <Choniates>, Imperii graeci historia: ab anno M.C.XVII. in quo Zonaras desinit, vsque ad annum M.CC.III. Libris XIX, descripta ..., Vignon, Genève, 1593 (Grich., Lat.)

18. Nikifor Grigora, Rimskaja Istorija. St.Petersburg, 1862 (Nikephoros Gregoras, Römische Geschichte. Russ.)

18a. Nikephoros Gregoras, Rhomäische Geschichte. Historia Rhomaĩke. Übersetzt und erläutert von Jan Louis Van Dieten. Anton Hirsemann, Stuttgart, Teil 1. 197§, Teil 2. 19/), Teil 3. 1988, Teil 4.1944.

19. Livius, T., Rimskaja istorija ot osnowanija goroda. T.1-6. Moskau, 1897-1899. (Geschichte seit Gründung der Stadt Rom Russ.)

19a. Livius, Titus, Die Anfänge Roms: Römische Geschichte I-V, Hans Jürgen Hillen (Übers.), Dt. Taschenbuchverlag, München, 1991.

19b. Livius, Titus, Römische Geschichte, Übers. W. Sontheimer, Buch XXI und XXII, Der zweite Punische Krieg I. Reklam. UB 2109.

19c. Livius, Titus, Römische Geschichte, Übers. W. Sontheimer, Buch XXIII und XXV, Der zweite Punische Krieg II. Reklam. UB 2111.

19d. Livius, Titus, Römische Geschichte, Übers. W. Sontheimer, Buch XXVI und XXX, Der zweite Punische Krieg III. Reklam. UB 2113.

19e. Ab urbe condita, Briscoe, John (ed.), Bd. 1 Libri XXXI-XXXV, Bd. 2. Libri XXXVI-XL. Stuttgart, 1991. (Lat.)

Titus Livius (ang. 59 v. u. Z. – 17 u. Z.) soll seine monumentale "Geschichte" in 142 Büchern verfasst haben, etwa ein Viertel soll erhalten geblieben sein. – Lekt.)

20. Alexandrija, Moskau, Leningrad, 1966 (Russ.)

21. Anna Komnene, Sokraschtschennoje skasanie o delach zarja Alekseja Komnina. St.Petersburg, 1862 (Verkürzte Sage von Taten des Kaisers Alexios Komnenos. Russ.; Anna Komnene, ang. 1083-nach 1148, Frau des Geschichtsschreibers Nikephoros Bryennios, verherrlichte ihren Vater Kaiser Alexios I. in "Alexias", 1790 von F. v. Schiller übersetzt. – Lekt.))

22. Lauer, J-F. Sagadki egipetskich piramid. Moskau, 1966 (Russ.)

22a. Lauer, Jean-Philippe, Le Problème des Ryramides d’Égypte, Kairo, 1948.

22b. Lauer, Jean-Philippe, Das Geheimnis der Pyramiden. München, 1980.

23. Psell, M. Chronografija. Moskau, 1978. (Russ.)

23a. Psellos, Michel, Chronographie ou histoite d’un siècle de Byzance (976-1077), texte établi et traduit par E. Renauld, t. I-II. Paris, 1926-28.

24. Klassowskij W. Sistematitscheskoje Opisanie Pompeji i otkrytych w nej drewnostej. St.Petersburg, 1848 (Systematische Beschreibung von Pompeji sowie dort entdeckten Antiquitäten. Russ.)

25. Istorija franzusskoj literatury. Sbornik statej. St.Petersburg, 1887 (Geschichte französischer literatur. Sammlung Artikel. Russ.)

26. Senderlend (Senderland), I.T. Swjaschtschennye knigi w swete nauki. Sapadnoje isdatelstwo, 1925 (Heilige Bücher aus wissenschaftlichen Sicht. Russ.)