Die Slawenreiche

Eine Textauswahl aus Mauro Orbini, Il regno degli Slavi (Pesaro 1601; Nachdruck München 1985)

Übersetzt von Uwe Topper

Begriffe zwischen < > in Kursive sind Erklärungsversuche des Übersetzers; Zahlen in ( ) sind Seitenzahlen

(82) "Die Fürsten von Pommern nennen sich heute auch Herren von Rügen. Dort befand sich eine Art Hochschule für Götzenanbetung für die Völker um das Baltische Meer. Sie hatten jedoch keineswegs einheitliche Götzen, sondern diese waren verschieden voneinander, und auch ihre Anbetungsform war verschieden. ... Da gab es auch Götzen in Menschengestalt wie PODAGA. Dieser war (wie Helmold mitteilt, Buch I, Kap. 84) der Gott der Plunesischen (?) Slawen. Andere wurden in heiligen Wäldern verehrt, wie der Gott PROVE der Altenburger. Wieder andere hatten gar keine Abbilder oder Ausdrucksformen. Die Polaben <in Westpreußen> und Lavonen <Livonen?, Livländer> beteten TEUTONE an, der mit Merkur gleichzusetzen wäre, und dem sie Menschenfleisch opferten; sie beteten auch eine Göttin mit Namen SIVA an, als fröhliches Kind mit Bogen, und auf dem Wurfspieß eine Krone, was heißen soll, dass jener, der Erfolg hatte und gut war im Waffengang, er sei von der Göttin Siva gekrönt; sie entspricht der Juno. RADIGAST oder RADIGOST hieß das Idol, das die Obotriten in der Stadt Retre < ? > anbeteten, in Gestalt eines tapferen Kriegers mit Schwert in der Hand, zu seiner Seite ein Mann als Fremdling gekleidet, was auf das Gesetz hinweist, dass ein Slawe, der einen Fremden nicht gastlich in seinem Hause aufnahm, seinen Kopf verwirkt hatte. ...

Es gab auch Idole mit zwei, drei oder vier Köpfen. Aber im Himmel wussten sie einen einzigen Gott, mächtiger als alle anderen, die ihm gehorchten. Während er im Himmel regierte, kümmerten sich die anderen, die aus seinem Blute stammten, um die Berufe wie Abgeordnete und Richter, und hielten für viel perfekter jenen, der näher jenem Gott der Götter war. Sie opferten ihm viele und verschiedene Tiere, (83) zuweilen auch Menschen, errichteten ihm Tempel und Altäre und hatten Priester, denen sie höhere Achtung und Verehrung zollten als dem König. Sie hielten ihm zu Ehren Festtage ab mit Banketten, wobei sie zu einem Becher Wein Verwünschungen aussprachen und Schwüre im Namen der Götter ... Und den Bösen, den Teufel nannten sie (wie Helmold sagt) ZARNEBOCH, d.h. Schwarzer Gott, und den Guten BELBOCH, d.h. Weißer Gott."

Orbini spricht weiter über die außergewöhnliche Gastfreundschaft der Slawen, die besonders Helmold und Giovanni Tigurino bezeugen, und dass alle Leute darüber wachten, dass dieses Gesetz eingehalten wurde. Er fährt fort:

"Eidesschwüre waren gänzlich verboten, (84) der Rache der Götter anheimgegeben. Wen sie bei solcher Tat ertappten, den kreuzigten sie, denn das Kreuz diente bei ihnen zu nichts anderem als zur Bestrafung der Übeltäter. Die Predigt vom Kreuz wollten sie nicht annehmen, weshalb viele heilige Männer und christliche Fürsten es unternahmen, sie zum Christentum zu bekehren. Es gab nämlich in Magnopoli <Magdeburg?>, Brandenburg, Rügen, Pommern, Preußen und Livland verschiedene Herren, die darauf aus waren, den christlichen Glauben zu zerstören. Und wenn einer bereit war, ihn anzunehmen, drehten ihn die anderen wieder zum Götzenglauben um. Kaiser < ! > Heinrich I versuchte, die Nachbarvölker zu bekehren, dann zwang sein Sohn Otto einige, Tribut zu zahlen und den Glauben anzunehmen, und sie tauften viele, besonders in der Mark Brandenburg und im Lande Mecklenburg. So füllten sich die Kirchen, Priestern und Mönchen ging es gut unter den drei Ottonen. Die aber am wilderen Meer wohnten, nahmen den christlichen Glauben nicht an. In Pommern wurde verboten, daß Fremde ihnen die neue Religion predigten. Daher waren sie fast die Letzten, die zum christlichen Glauben kamen. Aber im Osten, während Otto regierte, machte Herzog Boleslaw von Polen, der mit ihm verbündet war und ihn als Oberherrn anerkannte, die Slawen bis zur Oder tributpflichtig und ließ sie taufen, und so begann auch dort im Osten die Verbreitung des Evangeliums. Bilug oder Bilung, der erste christliche König der Slawen, starb 980. Sein Sohn bekannte öffentlich den christlichen Glauben, aber heimlich verfolgte er ihn. Dieser Bilug regierte zu Ottos I < diese I ist nachträglich durchgestrichen > Zeit im Küstengebiet der Slawen von der Weichsel bis zum Kimbernland < Jütland > , mit Vineta als Hauptstadt des Reiches, und den Städten Retra, Joklin, Starigard, Wolgast, Demin, Kustrin, Melkow und Kyssin. Nach Bilugs Tod teilten seine Söhne das Reich unter sich auf. Damals erhob sich Bernhard, Herzog von Sachsen, mit den Adligen gegen Kaiser Heinrich, sodaß die Slawen fast zum Heidentum zurückfielen. Der Markgraf von Brandenburg setzte soviel Strenge ein gegen die neuen Christen, dass sie gezwungen waren, ihre Freiheit mit Waffen zu verteidigen. Jene verachteten den christlichen Glauben und waren grausam gegen die Christen, verbrannten die Kirchen und töteten die Priester. Ebenso kehrten die Slawen, die jenseits von Elbe und Oder wohnten, die schon siebzig Jahre Christen waren, (85) zum Heidentum zurück, von dem sie der Herzog von Sachsen mit Mühe heilte und ihnen Tribut auferlegte. Kaum konnte er dieses mächtige Volk (wie Pietro Artopeo sagt) regieren. Heinrich der Löwe beteiligte sich an den Unruhen ..."

Es folgt die Geschichte am Hofe des Dänenkönigs, die schon S. 62-64 beschrieben ist, "bis zum 8. Jahr des Kaisers Heinrich IV im Jahr 1066."

"Später hat Fürst Boleslaw von Polen die Slawen Pommerns zum Christentum bekehrt, weshalb sie eher als die Westslawen Christen wurden."

Folgen wirre Ereignisse von Gottschalk, Heinrich V, Knut von Dänemark...

(86) "Pribislaw, Fürst von ganz Preußen, fuhr mit Heinrich dem Löwen nach Jerusalem, um das Grab des Herrn zu besuchen ..."

Es folgt die Gotengeschichte nach Giambulari, Buch IV.

Dieser kurze Ausschnitt hat trotz einiger offenkundiger Fehler (Heinrich I war nicht Kaiser) eine Tendenz, die mehrfach hervorgekehrt wird: Die Christianisierung der Slawen erfolgte nur teilweise von Westen (Sachsen) aus; ein bedeutender Vorstoß wurde von Polen aus unternommen. So steht es nicht in unseren Büchern, könnte aber Sinn machen. Dazu passen die Ereignisse des Stedinger Kreuzzuges 1234, bei dem die letzten Heiden an der Unterweser vernichtet wurden. Die Beschreibung der slawischen Götzenbilder läßt erkennen, daß deren Verehrung zu Orbinis Zeit noch nicht lange überwunden war.