Uwe Topper

Kein Respekt vor Erbsünde und Kollektivschuld


In der Nummer 3/98, S. 502 f. der "Zeitensprünge" schrieb Hanjo Schmidt:

"Nach meinem Verständnis ist unser Anliegen nicht die Zeitkürzung als solche, sondern die möglichst plausible Rekonstruktion der Entwicklung der Hochkulturen. Zeitkürzungen und Zeitumstellungen sind dabei nur ein Nebenprodukt, auch wenn gerade sie oft den brisantesten Teil ausmachen."

Dem werden die meisten unseres Kreises zustimmen. Dennoch stellt sich die Frage, warum gerade dieses "Nebenprodukt" den "brisantesten Teil" ausmacht. Brisant für wen? Nur für unsere Gegner oder für uns selbst auch?

Beispiel: Solange eine These die kulturellen und religiösen Parallelen zwischen Islam und Christentum darstellt, kann sie noch auf (bedingtes) Verständnis der etablierten Wissenschaftler rechnen. Erst wenn die chronologische Gleichzeitigkeit dieser Entwicklung postuliert wird, setzt das Verständnis bei der Gegenseite aus. Der Streit um Jahreszahlen ist wie ein Hämmern an sehr dicke Betonwände, fast hoffnungslos, daß es jemand auf der anderen Seite überhaupt hört.

Bei meinem ersten Lesen der neuen Thesen von Heinsohn und Illig hatte ich an mir selbst dieses Problem wahrgenommen und erstaunt festgestellt, daß ich zwar die Gedanken hinsichtlich der ideellen Neustrukturierung sofort akzeptieren konnte, für den Umbruch des Zeitstrahls aber längere Zeit zur Verarbeitung brauchte. Und vielen meiner Bekannten ist es ebenso ergangen. Am Ende wundere ich mich sogar, daß ich diesen Umsturz der Chronologie mitmachen konnte, und fand schließlich ein Motiv dafür. Ich vermute, daß sich bei manchen Mitarbeitern und Lesern ähnliche Gründe hervorholen lassen und bin auf die Diskussion darüber gespannt. Es handelt sich um drei Erinnerungsinhalte, die mir bei meiner Suche nach den psychologischen Bedingungen für die Zeitkürzung eingefallen sind:

1. Das erste Buch, das ich als Junge bewußt wahrgenommen habe und an das ich mich bis heute erinnern kann, war ein für Jugendliche geschriebenes romanartiges Erlebnisbuch mit geschichtlicher Thematik: "Die Höhlenkinder" von einem gewissen A. Th. Sonnleitner. Den ersten Band erhielt ich von meiner Großmutter mit etwa 10 Jahren geschenkt: "Die Höhlenkinder im Heimlichen Grund." Die beiden folgenden Bände, "Die Höhlenkinder im Pfahlbau" und "Die Höhlenkinder im Steinhaus" erhielt ich im Laufe der nächsten Jahre. Bis zu meinem 15. Lebensjahr (mindestens) beschäftigten diese Bücher meine Fantasie in starkem Maße.

Diese drei Bücher des Schullehrers Sonnleitner (richtig Alois Tluchor, geb. 1869 in Böhmen, gest. 1939 in Wien) wurden seit 1918 von sehr vielen Jugendlichen begeistert gelesen, die Gesamtauflage hat eine Million weit überschritten; bis heute sind die Bände - auch als Kurzfassung zu einem einzigen Band vereint - jederzeit im Buchhandel erhältlich (Kosmos-Verlag), ein Dauerbrenner, der nun gut drei Generationen in ihrer Frühphase, wenn sie am leichtesten zu beeindrucken ist, prägt.

Ganz kurz einige Hauptpunkte dieses "Höhlenkinder-Szenarios":

Es beginnt mit einer Katastrophe, in der die Menschheit, verkörpert durch die Großeltern, vernichtet wird. Damit geht auch bis auf geringe Reste das Wissen verloren. Die Enkelkinder Peter und Eva, die als einzige in einem abgeschlossenen Talkessel, dem Heimlichen Grund, überleben, müssen den gesamten Ablauf der zivilisatorischen Entwicklung, vom Höhlenleben über die Bronzezeit im Pfahlbau bis zur Eisenzeit im Steinhaus (ihr Sohn Hans) noch einmal durchmachen.

Mehrere Probleme der Forschung, die heute immer noch kursieren, sind dabei angesprochen: Gab es eine Zivilisation von höherer Form vor der der Höhlenmenschen, die vielleicht durch eine Katastrophe vernichtet wurde? Gehörten die beiden Personen des Urmenschenpaares zu zwei genetisch verschiedenen "Rassen" ? (Peter und Eva waren nicht Geschwister!) Hat sich die Entwicklung der weißen Rasse in einem engen isolierten Areal abgespielt ? Usw.

Was aber ganz klar aus Sonnleitners wissenschaftlich fundiertem Roman hervorgeht, ist einleuchtend und bestimmend für das weitere Denken eines jungen Menschen: Die gesamte Entwicklung der Menschheit von den Höhlen der Jägerzeit bis zur Erfindung der Schrift und der Metallwerkzeuge läßt sich in zwei Generationen unterbringen. Damit hat die Zeitkürzung von Heinsohn und Illig ihre solide Grundlage bekommen, ihre psychologische Akzeptabilität.

2. Ein anderes Buch, die "Glazialkosmogonie" von H. Hörbiger, habe ich als Junge nicht selbst gelesen, aber die Generation meiner Eltern, Onkel und Lehrer war damit vertraut und in meiner Umgebung wurde die Welteislehre häufig und heiß diskutiert. Um 1950, als man Velikovsky in Deutschland ganz kurz wahrnahm und sofort abservierte, war die seit 1913 publizierte und weltweit bekanntgewordene Katastrophentheorie à la Hörbiger immer noch wichtiges Gesprächsthema. Aus dem unermeßlich reichhaltigen Arsenal dieses Genies und seiner umfassenden Einheitstheorie will ich nur drei Punkte erwähnen, die zu unserem Thema gehören:

Katastrophen sind Momentereignisse. Die Saurier, die vollständig eingefroren erhalten sind, noch Blätter kauend, können nur binnen weniger Stunden vom feuchtwarmen Klima ins Eis verfrachtet worden sein.

Kohleflöze und dazwischenliegende Ablagerungen sind jeweils in einem einzigen Tag entstanden. Ein mehrere hundert Meter dickes Kohlelager braucht zur Bildung höchstens Monate, sonst funktioniert der Mechansimus der Ablagerung nicht.

Mensch und Saurier waren Zeitgenossen.

Wer mit diesen Gedanken aufwuchs, - und das dürfte ein recht großer Anteil meiner Generation gleichermaßen sein - hat es heute leichter, das krause Schulwissen wieder abzustreifen und sinnvollere Szenarien an diese Stelle zu setzen. Grundlegend ist wiederum, daß Hörbiger eine völlig andersartige Größenordnung für den Zeitablauf eingeführt hatte.

3. In meiner Jugend wurde im Geschichtsunterricht, in der öffentlichen Diskussion und sogar im familiären Gespräch ein Zeitraum von 12 Jahren mit aller Strenge ausgeklammert. Zwischen März 33 und Mai 45 klaffte eine Lücke. Dieser Zeitraum gehörte aber zur eignen Lebenszeit, der meiner älteren Spielkameraden wie auch der meiner Eltern. Er war einfach herausgeschnitten, vernichtet. Kann man das der Seele eines Heranwachsenden ungestraft antun?

Wenn er später hört, daß zwei Jahrtausende in Ägypten und Sumer problemlos - oder genauer: problembeseitigend - herausgeschnitten werden können, daß die Menschheit ganz jung ist und daß auch im Mittelalter eigentlich 300 Jahre wegfallen, dann kommt ihm die Methode irgendwie bekannt vor. Er ist psychologisch darauf vorbereitet und empfindet es möglicherweise sogar als Genugtuung, daß die ihm persönlich angetane Schmach nun die etablierten Dogmatiker auf ihrem eigenen Territorium trifft.

Die Antike schrumpft zu einem nur noch archäologisch erfaßbaren kleinen Rest, die Eiszeit fällt ersatzlos aus und die Gebirgsbildung des Tertiär findet in geschichtlicher Zeit statt.

Es braucht nun auch kein biblisches Ehepaar als Ureltern der gesamten Menschheit mehr, und noch weniger eine jahrmillionenlang vor sich hin evolutionierende Halbäffin im ostafrikanischen Grabenbruch.

Ich möchte sogar noch weiter gehen: Mensch und Saurier waren Zeitgenossen, und da die Menschheit sehr jung ist, liegt der sogenannte Endkreidezeit-Impakt in unserer frühen Vergangenheit, sagen wir vor zwei- bis dreitausend Jahren. Damit fallen 65 Millionen Jahre aus. Keiner der Festpunkte unseres Schulwissens bleibt bestehen.

Der Urknall fällt am Ende ganz aus, denn auf diesen protzigen Zeugungsakt nach biblischem Vorbild muß man wissenschaftlicherseits verzichten, wenn man den gesamten neuen Gedankengang folgerichtig bis zum Anfang durchdenkt.

Berlin, den 20. Okt. 1998