Kapitel 2: Ist eine absolute Chronologie möglich?



Inhalt des Kapitels

Abschnitt 1: Warven, Ablagerungsschichten in schwedischen Seen
Abschnitt 2: Die Radiokarbonmethode verändert unser Geschichtsbild
Abschnitt 3: Ist die Karbonbestimmung wissenschaftlich?
Abschnitt 4: Sind Eisschichten datierbar?

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Aus dem Gesagten ergibt sich, daß die christliche Chronologie recht willkürlich verändert wurde. Ein »fester Standpunkt« außerhalb unserer eigenen Geschichtsschreibung ist nötig, wenn wir die Zeitabstände der Vergangenheit erkennen wollen!
Der Zeitablauf ist ein unfaßbarer Begriff. Eine exakte Angabe über die Anzahl verflossener Jahre für einen beliebigen Gegenstand ist auch für modernste Physiker und Astronomen nicht möglich, selbst wenn dies den Anschein haben sollte. Die Naturwissenschaftler verlassen sich ganz auf die Historiker und benützen kritiklos die von jenen gelieferten Daten. Die Zuordnung physikalischer Jahre zu historischen Gegenständen ist vom augenblicklichen historischen Wissensstand abhängig.
Natürlich kann man vom augenblicklichen Verfallsprozeß eines Elementes, sagen wir vom Verhältnis der Kohlenstoff-12 zu den -14 Isotopen, rückwärts errechnen, wieviele »Jahre« vergangen sein müßten, seit der Verfallsprozeß eingesetzt hat. Daraus ergeben sich die »Radiokarbonjahre vor der Gegenwart«, also rückwärts projizierte Zeiteinheiten mit relativ geringer Variationsbreite (= kleiner Fehlerrate). Aber die Länge dieser »Jahre« ist von sehr vielen Bedingungen abhängig, nämlich von der Höhe des Ortes über dem Meer, von seiner unterirdischen Radioaktivität, von der Luftbeschaffenheit, vom lokalen Magnetismus usw., und wenn sich diese Faktoren stark verändert haben und die Rückwärtsberechnung über mehrere Jahrtausende hinweg aufgestellt wird, handelt es sich um rein »theoretische« Ergebnisse. (Ich komme weiter unten darauf zurück).
Entsprechend gibt es »Thermoluminiszenz-Jahre«, und außerdem die als besonders gesichert geltenden »Dendro-Jahre«, die an Baumringen ausgezählt werden. Auf die offensichtliche Schummelei dieser Methoden haben besonders Blöss und Niemitz hingewiesen (mehr darüber weiter unten und in ihrem Buch »C14-Crash«). So konnte auch der Versuch, die »Radiokarbon-Jahre« über die angeblich absolut sicheren »Dendro-Jahre« zu eichen (kalibrieren), keine besseren Ergebnisse bringen.
Jeder Ort auf der Erde und jedes Zeitintervall auf dem Zeitstrahl hat seine eigenen »physikalischen Jahre«. Bronzewerkzeuge können im Sudan mit diesen Methoden als 9000 Jahre alt, in Südostasien als 7000 Jahre alt und in Skandinavien als höchstens 3500 Jahre alt bezeichnet werden, obgleich sie sich in Herstellungstechnik und Zusammensetzung dermaßen gleichen, daß sie nach herkömmlichen Bestimmungsmethoden als gleichzeitig anzusehen wären.
Oder ein anderes Beispiel: Man versuchte, die recht häufig berichteten Sonnenfinsternisse oder Kometenbeobachtungen in mittelalterlichen Texten mit den durch heutige Astronomie rückwärts errechenbaren Daten in Deckung zu bringen, und stellte erstaunt fest, daß nur ganz wenige davon, eher zufällig, übereinstimmen. Entweder sind die alten Chroniken wertlos oder unsere physikalisch-astronomische Rückerrechnung arbeitet mit anderen Größen.

Abschnitt 1: Warven, Ablagerungsschichten in schwedischen Seen

Der älteste technische Versuch, den Ablauf der Jahre an geologischen Spuren zu messen, ist die sogenannte Warvenchronologie, die vor etwa hundert Jahren in Schweden ausgeklügelt wurde. Man zählte dafür die Ablagerungsschichten in tiefen Seen, denn die durch jahreszeitlich bedingte Regenschwankungen sauber geschichteten Ablagerungen (Warven) ergeben ein recht gutes Bild der abgelaufenen Jahre, das direkt optisch auswertbar ist. Genaugenommen werden aber hierbei Aussagen über Regenfälle gemacht, die nur hypothetisch auch mit der Jahresabfolge zusammenhängen müssen. Außerdem wurden die Warven aus verschiedenen weit auseinanderliegenden (schwedischen) Seen miteinander verzahnt, wodurch die Methode noch fragwürdiger erscheint.
Während ich die technischen Möglichkeiten einer unabhängigen Datierung prüfte, erschien gerade in einer Berliner Fachzeitschrift (Geowissenschaften 12/1994, Heft 10-1) ein Artikel von sechs Spezialisten (Brauer, Hajdas u.a.) dieser Disziplin mit dem Titel »Warvenchronologie. Eine Methode zur absoluten Datierung und Rekonstruktion kurzer und mittlerer solarer Periodizitäten.«
Solare Periodizitäten als Grundlage für eine absolute Datierungsmöglichkeit? Hier, sagte ich mir, könnte eine verläßliche Skala der tatsächlich vergangenen Jahre vorliegen. Abbildung 3 des Artikels brachte eine Überraschung: Ganz unerwartet macht die relativ regelmäßig verlaufende Warvenkurve einen Sprung beim Zeitpunkt 2400 vor heute. Die Autoren weisen auf diese Anomalität besonders hin, denn der nächste Sprung, rückwärts gerechnet, liegt erst bei 12 000 vor heute, was allgemein als der Einschnitt des Spätglazials, volkstümlich als Ende der Eiszeit, bezeichnet wird. Da diese (rein hypothetische) Annahme, die niemanden überrascht (weil sie aus literarischen Vorlagen in die Wissenschaft übernommen wurde), nicht zum Thema dieses Buches gehört, übergehe ich sie hier.
Daß die Warvenkurve aber vor 2400 Jahren springt und dann ihr Niveau bis heute unverändert beibehält, ist absonderlich. Wenn in der Lebenszeit von Plato und Kyros dem Jüngeren eine dermaßen starke klimatische Katastrophe stattgefunden hätte, dann wäre uns das in den zahlreichen Schriften der damaligen Zeit sicher überliefert worden. Um 400 v.Ztr. weist nichts auf eine allgemeine Klimakatastrophe hin.
Aber um 700 v.Ztr. ist allenthalben im Mittelmeergebiet und Westasien ein katastrophaler Einschnitt erkennbar, denn der archäologische Befund zeigt Brandschichten und Zerstörungen, die nicht von Menschen herrühren, sondern geologische oder kosmische Ursachen haben müssen. Wenn nun, sagte ich mir, das Jahr 700 v.Ztr. nur etwa 2400 Jahre von uns entfernt liegt, dann sind irgendwo rund 300 leere Jahre eingeschoben worden.
Leider läßt sich dieses Ergebnis weder durch Baumringzählung (Dendrochronologie) noch durch Radiokarbonmessung (C-14) mit derselben Sicherheit nachweisen. Einer der Autoren des Artikels, Hajdas, berichtet, daß die Differenz der durch Baumringe korrigierten C-14 Methode (kalibriert) schon im 1. Jahrtausend v.Ztr. mehr als ein ganzes Jahrtausend beträgt: »Beim Vergleich der Warvenchronologie mit den dendrochronologisch kalibrierten 14C-Daten ergeben sich übereinstimmende Ergebnisse für die letzten 2000 Jahre, während ab dem Bereich von 2000 bis 3000 Jahren B.P. (= before present) ein Versatz beider Kurven von rund 1100 Jahren (Abbildung 5) festzustellen ist. (...) Die Ursachen für diese Differenzen sind allerdings noch nicht genau bekannt.« (S.329)
Um es genau zu sagen: Die Ursachen sind unbekannt.
Was man aber auf der genannten Abbildung 5 gut ablesen kann: In eindrucksvoller Weise streben die beiden Kurven just um 2400 vor heute auseinander. Würden sie absolute Datierungen angeben, müßten sie auch identisch sein.
Nun ist man sich in archäologischen Kreisen keineswegs darüber einig, daß die große Katastrophe des Mittelmeergebietes, also der Schutt- und Aschehorizont, ins 8. Jahrhundert v.Ztr. zu datieren sei. Die Grabungsfunde werden ja entweder nach ägyptisch-mesopotamischen Parallelfunden datiert, (»1650 v.Chr.«, nach Ansicht der Zeitrekonstrukteure viel zu hoch), oder durch die Radiokarbonmethode, womit sie noch disparater und älter werden. Ich kann hier nur auf den Autor Gunnar Heinsohn hinweisen, der in seinen Büchern das -8. Jh. als Zeitraum der geologischen Katastrophe plausibel macht, wobei er sich auf Vorgänger, wie den französischen Archäologen Schaeffer, stützt. Diese verkürzte Chronologie ist übrigens gar nicht so ungewöhnlich. Für die Iberische Halbinsel wird sie seit langem akademischerseits vertreten. Man rechnet dort mit einem kolonisatorischen Neubeginn frühestens im 8. Jh. v.Ztr.
In der klassischen Antike sah man recht allgemein den Anfang der eigenen Kultur im 8. Jahrhundert und begann eine rückwärtig errechnete Jahreszählung, so etwa die römische Stadtgründungsära, UC, die 753 v.Ztr. als Startpunkt festlegt, oder die griechischen Olympiaden, die 776 als Beginn ansetzen. Entsprechend haben auch Mesopotamier, Chinesen und Japaner einen scharfen Einschnitt im 8. Jahrhundert als den Beginn ihrer historischen Zeit angesehen. Sie haben mit dieser Festlegung, die wohl nirgendwo vor dem 5. Jh. v.Ztr. erfolgte, erstmals einen größeren Zeitraum zusammengefaßt und so den eigenen Standort – also den Abstand vom nachkatastrophalen Neubeginn – festgelegt. Daß er bei fast allen antiken Kulturen ins -8. Jh. fällt, finde ich bemerkenswert.
Wenn dieser Einschnitt dem in der Warvenzeitskala für 2400 vor heute gleichgesetzt werden kann, dann wäre dies ein deutlicher Hinweis für eine Verkürzung um drei Jahrhunderte.
Kritisch anzumerken ist aber außer den schon angedeuteten inneren Schwächen der Warvenmethode, daß hier auch noch eine von den Autoren zugegebene Schönung der Kurve durch Ausschluß unpassender Meßergebnisse (S. 329) vorgenommen wurde.

Abschnitt 2: Die Radiokarbonmethode verändert unser Geschichtsbild

1992 erschien in New York ein Jubiläumsband (herausgegeben von Taylor, Long und Kra) zur vierzig Jahre alten Radiokarbon-Datierungstechnik, in dem nicht nur Frank W. Libbys nobelpreisgekrönte Entdeckung, sondern auch die inzwischen erfolgten Verbesserungen der Methode der Kohlenstoff-Isotop-Zeitbestimmung zusammengefaßt werden.
Das Fazit aller Beiträge des 600seitigen Gemeinschaftswerkes ergibt, daß die gesamte Vorgeschichtsschreibung (spätestens seit 1960) auf
14C-Daten aufbaut, die sich selbst wiederum auf die Chronologie der traditionellen Geschichtsschreibung stützen und an dieser selbst auch fortlaufend geeicht wurden. Sollten Fehler in der herkömmlichen Chronologie oder in der 14C-Methode als solcher oder gar in beiden erkannt werden, dann müssen alle neueren Geschichtsbücher hinsichtlich ihrer Schlußfolgerungen neu geschrieben werden.
Zunächst möchte ich einige Aussagen von drei der Autoren anführen, deren ungewöhnlich optimistische und selbstbewußte Einstellung einem etwas kritischeren Betrachter den Atem verschlägt. Im Vorwort sagt der Anthropologe Fred Wendorf aus Dallas etwas Grundsätzliches »über die Auswirkungen der Radiokarbondatierung auf unser Verständnis der menschlichen Kulturentwicklung in drei wichtigen Gebieten der Alten Welt. In jedem Falle hat die Einführung der Radiokarbondatierung unsere Sicht der örtlichen Vorgeschichte vollkommen verändert und einen bemerkenswerten Wechsel ... hervorgebracht. Allerdings hat die neue Datierungsmethode keine Vertiefung der Chronologieforschung ausgelöst, sondern im Gegenteil, da diese Technik verhältnismäßig unabhängige und präzise Daten lieferte, Archäologen von der nutzlosen Beschäftigung mit der relativen Chronologie befreit.«
Fred Wendorf bespricht, wie die
14C-Datierung die traditionellen Kulturabläufe sowohl im Niltal als auch im Maghreb umstürzte und wie diese neuen Chronologien unseren Blick für die nordafrikanische Vorgeschichte und ihre Beziehungen zu ähnlichen Entwicklungen in Europa und Südwestasien verändert haben. Donald Henry betont die Auswirkung der 14C-Datierung auf die archäologische Theoriebildung und die Forschungsvorhaben. Peter Robertshaw dagegen unterstreicht die Rolle, die 14C-Datierungen beim Studium der ausgehenden Vorgeschichte des subsaharischen Afrika, besonders in der Entwicklung der Eisenzeit, spielen. Trotz gelegentlicher Schwierigkeiten ist augenscheinlich, daß sich in allen drei Arbeitsgebieten die Radiokarbondatierungen durchgesetzt haben und Archäologen sich ihre Datierungen nicht mehr ohne sie vorstellen können.
In seinem eigenen Artikel berichtet Wendorf dann, daß das erste
14C-Datum für Archäologie von einer Probe aus Sakkara (bei Kairo) erstellt wurde: ein Stück Akazienholz vom Grab des Djoser (3. Dynastie). Diese sowie drei weitere ägyptische Proben dienten Libby 1955 um festzustellen, »ob ein echter Zusammenhang zwischen dem 14C-Datum und dem etablierten geschichtlichen Alter bestehe. Ein beträchtlicher Anteil Glück begleitete diese Ergebnisse der ersten Proben. Die Übereinstimmung mit den historischen Angaben war ausreichend nahe, so daß Libby keinen Fehler in seinem theoretischen Muster erkannte und sich ermutigt fühlte, damit fortzufahren.« Die Ergebnisse waren allerdings noch recht »uneben« und setzten sich nicht gleich durch, denn sie wichen noch um rund 600 Jahre (!) von der traditionellen Datierung ab; ein Jahrzehnt später fand man gar zu viele Ungereimtheiten in den 14C-Meßdaten, sodaß Archäologen die Nützlichkeit der Methode in Zweifel zogen. Als Fehlerquellen erkannte man die Verunreinigung der Proben oder stellte fest, daß der Gegenstand doch nicht zu dem jeweils vordatierten Ereignis gehören konnte.
Die Abweichung blieb aber auch bei den nicht als fehlerhaft erkannten Ergebnissen zu groß. Darum begann man 1970 die von Suess an Baumringen geeichte (kalibrierte) Kurve auch auf ägyptische Proben anzuwenden. Trotz nicht widerlegter Einwände von Clark und Renfrew wurde ab 1987 ein vereinheitlichtes Verfahren von
14C-Datierung mit Hilfe historisch datierter Gegenstände erzielt, wodurch ein Wechsel in der Ägyptologie spürbar wird. So hat man z.B. durch eine Reihe von 64 »kohärenten« Meßergebnissen von zehn Pyramiden in Gise, Sakkara und Umgebung gefunden, daß diese Gebäude 300 bis 400 Jahre älter sind, als man bisher gedacht hatte, und daß einige von ihnen aus vordynastischer (!) Zeit stammen. (Als kohärent bezeichnet man Meßergebnisse, die zueinander passen; nicht passende Ergebnisse werden unter den Teppich gefegt).
»Diese Daten wurden nicht mit Begeisterung aufgenommen, denn sie zeigten, daß unsere Vorstellungen von der Entwicklung der komplizierten ägyptischen Gesellschaft unzureichend waren oder daß der Anfang des Alten Reiches mindestens 300 Jahre eher gelegen haben muß.»
In der Oase Fayum wurde sogar die relative Abfolge umgekehrt: Die End-Altsteinzeit (Fayum B) und die Jungsteinzeit (Fayum A) wechselten die Plätze durch
14C.
»Für die Vorgeschichte ganz Nordafrikas brachte die
14C-Datierung eine wahre Revolution unserer Vorstellungen über Ursprung und Entwicklung fast aller bekannten Kulturgruppen. Diese Datierungstechnik änderte auch unsere Auffassung von kulturellen Zusammenhängen in Nordafrika und zwischen Nordafrika und anderen Gebieten tiefgründig. ... Man lese Abhandlungen, die vor der Verbreitung der 14C-Methode geschrieben wurden: Praktisch keine dieser so zuversichtlich vorgebrachten Zeitabfolgen vor 1960, von der mittleren Altsteinzeit bis zur Jungsteinzeit ... hat die Ansätze der von 14C erbrachten absoluten Daten überlebt.«

Auch in Nordwestafrika wurde durch die Einführung der Radiokarbonmethode die Vorgeschichte neugeschrieben. Aus den seit 1973 vorliegenden Ergebnissen wird deutlich, daß die Abfolge der archäologischen Kulturen im Maghreb völlig anders verlaufen war, als man bisher angenommen hatte. Trotz einiger Vorbehalte zeichnet sich ab, daß die Anfänge der Rinderzucht und der Töpferei immer früher datiert werden müssen, für das Aterien können »verschiedene Daten um 30.000 BP kaum noch zurückgewiesen werden.«
»Da nun zahlreiche
14C-Datierungen vorliegen, kann zukünftige Forschung von der (14C-gesicherten) Chronologie ausgehen und ergiebigere Fragen angehen, die das Funktionieren vorgeschichtlicher Gesellschaften betreffen.«
Kurzum: über Datierungen braucht nicht mehr diskutiert zu werden.
»Die Anwendung anderer Datierungstechniken einschließlich Uran-Serien, ESR, Thermoluminiszenz und Straußeneierschalen-Analyse an zwei Orten in Ägypten und einem weiteren in Libyen erbrachten für einige Aterien-Feuchtphasen Daten aus dem letzten Interglazial und davor (ca. 175.000 bis 70.000 BP). Die ägyptischen Bestimmungen wurden an genau denselben Orten und Ablagerungen gemacht, die
14C-Daten zwischen 20.000 und 30.000 BP durch (Proben von) Kohlenstoff und Schneckenschalen ergeben hatten.«
Damit wird die Unbrauchbarkeit der übrigen Datierungsmethoden demonstriert. Wendorf nennt dann
14C-Daten vor 9.000 BP für saharo-sudanesische Töpferei und Frühe Chartum Ware, die bisher mindestens 5 Jahrtausende jünger eingeschätzt wurde.
Und diese umwerfenden Neueinschätzungen stießen kaum auf Widerspruch!
Donald O. Henry (aus Oklahoma) bringt diesen Punkt zur Sprache (S.331): »In den späten 60er Jahren war die
14C-Datierung zum allgemeinen Werkzeug der Vorgeschichtsforschung des Nahen Ostens geworden. Skepsis hinsichtlich der Genauigkeit der Daten war selten. Die Planung der meisten Forschungsvorhaben setzte die beizubringenden Datierungen voraus und hing in gewisser Weise von ihnen ab.«
Und diese Datierungen sollten vor allem Gleichzeitigkeit gewisser umweltbedingter Veränderungen im Entwicklungsablauf der jeweiligen großräumigen Kulturen beweisen. Damit waren die Ergebnisse vorprogrammiert.
In seinem Schlußwort betont Henry: »Indem die Archäologen der Vorgeschichte des Nahen Ostens die Möglichkeit wahrnahmen, mittels
14C-Datierung eine exakte Chronologie aufzustellen, waren sie in der Lage, unsere kulturhistorische Rekonstruktion, besonders für die Übergangsphasen, neu zu gestalten. Indem diese andere Art chronologischen Maßstabs gewonnen wurde, jenseits der Ausgrabung stratigraphischer Ablagerungen, eröffnete die Technik die Möglichkeit ... ein angepaßtes oder funktionales Paradigma als Gegenargument für die bisher vertretene Entwicklungshypothese, um die Unterschiede vorgeschichtlicher Zeugnisse zu erklären.«
Diese etwas langen Zitate sind nötig, um den neuen Geist spürbar zu machen, der hier weht. Das technische Argument siegt über ideelle Einwände. Hoffentlich können wir uns auch auf diese Technik verlassen!
In seiner Würdigung von Libbys Arbeit sagt Rainer Berger im selben Buch (S. 431):
»Da die Produktionsrate von Radiokarbon in der Vergangenheit Veränderungen erlitt durch geomagnetische und heliomagnetische Feldschwankungen, wurde es höchst wichtig, die Abweichungen, die Suess (1965) zuerst gemessen hatte, soweit als möglich in die historische Vergangenheit zu verfolgen.« Man nahm dazu historisch gut datierte Proben aus dem alten Ägypten, denn »es ist allgemein anerkannt, daß diese Chronologie die am besten erarbeitete der Welt mit dem höchsten Alter ist. Berger (1985, also er selbst) bestätigte die von Suess geforderten Schwankungen, indem er mit historisch-archäologischen wie auch weitest modifizierten Radiokarbondaten die entsprechenden Kalenderjahre festlegte.«
Kann das wirklich sein, daß ein Wissenschaftler einen derartigen Zirkelschluß nicht erkennt?
»Interessanterweise,« sagt Berger weiter, »hat Clark in all den Jahren der Zusammenarbeit nicht einen einzigen Fehler gemacht hinsichtlich des von ihm geschätzten vermutlichen Alters der (dem Labor) übergebenen Proben.« Oder hat das Labor nicht gewagt, die vorgegebenen Alterseinschränkungen zu überschreiten, indem es unpassende Meßergebnisse unter den Tisch fallen ließ?
Wenn nun die ägyptische Chronologie doch nicht so zuverlässig ist, wie man bisher glaubte, sondern eher so große Fehler enthält, wie Heinsohn und Illig (1990) mit guten Argumenten vertreten, nämlich bis zu 2000 Jahre zu alt eingeschätzt, dann können die daran geeichten Radiokarbonjahre nicht genauer sein. Ihre Anwendung auf andere Gegenden der Erde müßte vollkommen unwirkliche Ergebnisse liefern, wie ich mit den Zitaten andeutete.

Große Publikumswirkung hatten einige Fernsehsendungen zur Anwendung der Karbonmethode auf die Archäologie, die vor allem die junge Generation beeindruckte. In dem dazu erschienenen Buch (Graichen und Hillrich 1993) wird an einem Beispiel (Schaukasten S. 36) der Erfolg der
14C-Datierung vorgestellt: »Der Beginn der ältesten Bauernkultur in Mitteleuropa war 1949 aufgrund sehr allgemeiner Vergleiche mit mittelmeerischen Kulturen auf etwa 3400 v.Chr. oder etwas früher datiert worden. Als man in den 60er und 70er Jahren die Radiokohlenstoffmethode für die Datierung einsetzen konnte, ließ sich dasselbe Ereignis auf die Zeit um 4600 v.Chr. festlegen. Heute – nach Berichtigung oder Kalibration der 14C-Datierungen durch das Verfahren der Dendrochronologie – wird der Beginn der bandkeramischen Bauernkultur Mitteleuropas auf etwa 5500 v.Chr. berechnet.«
Da staunt der Laie, wie leicht die Jahrhunderte sich vermehren! Und vielleicht stellt er sogar die Frage:

Abschnitt 3: Ist die Karbonbestimmung wissenschaftlich?

Die Meßergebnisse von heutigen Kohlenstoffproben sind durch menschliche Aktivität – radioaktiver Fallout seit 1945 – absolut unzuverlässig. Darum ist auch der »Startwert«, den Libby vorgab, unbrauchbar. Proben aus dem Zeitraum zwischen 1450 und 1950 ergeben ein breit gestreutes Feld von Werten, aus dem sich keine Kurve herausarbeiten läßt. Die zugegebene Fehlerrate und die nachweislich viel zu breite Streuung der Meßergebnisse bildet aber gerade die Grundlage für die Anerkennung der Methode, da sie einen statistischen Spielraum vortäuscht, innerhalb dessen die Daten gesäubert und den chronologischen Vorgaben gemäß erzeugt werden.
Mit diesen und vielen anderen Argumenten erklären Blöss und Niemitz seit einigen Jahren die groben Schnitzer oder genauer gesagt: den offensichtlichen Selbstbetrug, den Libby und Suess mit ihrer Methode begingen. Ihr neues Buch hat für einigen Wirbel gesorgt: C14-Crash: Das Ende der Illusion, mit Radiokarbonmethode und Dendrochronologie datieren zu können. (1997). Sie decken darin die Tricks auf:
In seiner Bekanntgabe der neuen Radiokarbonzeitbestimmung (in Science 1949) ordnete Libby die radiometrische Altersstreuung von 18 Holzproben, die alle aus neuerer Zeit stammten, dermaßen »geschickt« an, daß sie um einen geforderten »Mittelwert« zusammenrückten und nur eine Streuung von ±50 Jahren aufwiesen, während ihre echte Bandbreite 1000 Jahre betrug. Damit wurde das bis heute als grundlegend geltende Prinzip der
14C-Methode, das sogenannte Simultanitätsprinzip, »bewiesen«.
Auch die weiteren von ihnen bloßgestellten Fehler der Methode haben nichts mit Meßfehlern oder Verunreinigung der Proben zu tun, sondern sind einfach Denkfehler, deren simple Darstellung in Kurven ein Mathematikerhirn erschauern lassen. Ebenso beruht die Kalibrierung von
14C-Daten mittels Baumringen auf einem Zirkelschluß: Die Baumringe werden mittels 14C-Methode vordatiert und geordnet, dann wird 14C mit Hilfe der Baumringe geeicht (kalibriert).
Da kosmische Strahlung und erdmagnetischer Schutzschild Schwankungen unterliegen, die in der nach dem aktualistischen Prinzip erstellten
14C-Methode nicht einbezogen werden, ergibt sich für jeden Zeitraum und jeden Ort ein anderes Ergebnis. Während die erste lange Baumringchronologie (von amerikanischen Borstenkiefern) auf der Annahme beruhte, daß die 14C-Konzentration in der Atmosphäre über lange Zeiträume hinweg konstant gewesen sei, zeigen die modernen Ergebnisse der Ozeanographie und Geologie, daß bereits geringste Änderungen des Isotopengehalts im Ozean zu einer Beschleunigung oder Verlangsamung der 14C-Uhr um 100% führen können. Mehr noch: Die Produktion von 14C-Isotopen müßte zeitweise durch Diffusion ausgeglichen werden, weil sonst eine Umkehrung des Zeitstrahls – was die Kurven belegen! – anzunehmen wäre. Man zog also die Schwankungen in Betracht (»wiggle«) und erhielt Ergebnisse, bei denen lebende Organismen älter als schon gestorbene waren (S. 389). Sogar die fundamentale Annahme für die Kalibrierkurven ist nachweislich falsch (S. 404).
Mit diesen knappen Sätzen ist die Problematik der
14C-Methode nur angedeutet; das genannte Buch von Blöss und Niemitz zeigt die theoretische Unhaltbarkeit der 14C-Methode mit strengsten wissenschaftlichen Maßstäben.
Wenn man zudem bedenkt, daß die Meßwerte der verschiedenen Labore bekanntlich stark voneinander abweichen, sogar gleiche Proben an verschiedenen Untersuchungstagen verschiedene Ergebnisse bringen, kommt es mir unverständlich vor, daß Geisteswissenschaftler sich von dieser Art technischen Betrugs ihr Konzept verderben ließen.
Abschnitt 4: Baumringzählung als Jahreszählung
Einer der beiden Autoren des skandalträchtigen Buches über die Illusion der Karbonmethodiker, Hans-Ulrich Niemitz, hat sich ausgiebig mit dem Problem der Baumringdatierung auseinandergesetzt und in Vorträgen und Artikeln ( besonders in ZS 3 – 1995, S. 291-314) gezeigt, wie weit diese Methode verläßlich ist und wo sie versagt. Er beschreibt die dendrochronologische Methode, die in Amerika schon fast ein Jahrhundert alt ist, folgendermaßen (S.292): »Das Dickenwachstum der (jahr)ringbildenden Bäume verläuft nicht gleichmäßig. Bedingt durch die klimatisch verschieden ablaufenden Jahre entstehen in einmaliger historischer Folge wechselnde Ringbreiten.« Wenn zwei Ringbreitenfolgen von Bäumen derselben Art und aus dem gleichen klimatischen Großraum miteinander übereinstimmen, sind sie wahrscheinlich im selben Zeitraum gewachsen. Man kann nun Ringbreitenfolgen mehrerer wahrscheinlich zeitgleicher Baumringsequenzen zusammenstellen, die die charakteristische Folge der Baumringe eines Gebietes für einen großen Zeitraum wiedergeben und mit diesen Kurven als Meßlatte andere Baumringproben einordnen, also zeitlich festlegen. Während man ursprünglich die Ringfolgen visuell miteinander verglich, benützt man mittlerweile Computerprogramme dazu, wodurch das Verfahren für den Außenstehenden unkontrollierbar geworden ist. Die Aussagen über Gleichzeitigkeit beruhen auf statistischen Auswertungen, die nicht mehr nachvollziehbar sind. Je näher die Baumproben geographisch beieinanderliegend gewachsen sind, desto vertrauenswürdiger sind auch die Ergebnisse. Deshalb werden möglichst regionale Kurven erstellt.
Besonders problematisch wird es, wenn man rückwärts arbeitend an eine Lücke stößt, für die keine vordatierten Muster vorhanden sind. Mit Hilfe von Proben, die Anfang und Ende einer Lücke verbinden, überbrückt man das Loch und erhält dadurch eine fortlaufende Chronologie. Dabei können Irrtümer auftreten, denn die Übereinstimmung von Kurvenstücken ist nie hundertprozentig, sondern immer nur bis zu einem gewissen Grad »signifikant«. Hier spielen Wahrscheinlichkeitsberechnungen eine Rolle, aber auch Intuition und Erfahrung der untersuchenden Personen. Jeder Baum ist ja ein Individuum, seine Jahresringe sind wie menschliche Daumenlinien ein persönlicher Ausweis. Art des Baumes, Standort und Mikroklima müßten also beim Vergleich streng beachtet werden.
Seit den 50er Jahren entwickelten sich
14C- und Dendro-Verfahren nebeneinander her »in enger Verzahnung« (Niemitz S.291), sich gegenseitig korrigierend, wie es scheint. Die Baumringzählung gewann dabei einen Vorsprung, so daß heute 14C nur noch als Relativverfahren angewendet wird, während die Baumdaten als absolute Altersbestimmung gelten. Vergessen wird dabei oft, daß die amerikanischen Dendrochronologen für die erste längere – über Jahrtausende reichende – Jahresabfolge, die aus unverbundenen Teilstücken bestand, die 14C-Methode heranzogen, um die Einzelstücke vorzudatieren und über die Lücken hinweg aneinanderzufügen. Dabei wurde die aus der Vorstellung von konstanten Naturverhältnissen entwickelte Idealkurve zum Vorbild genommen. Statt gegenseitige Kontrollfunktion auszuüben, gehen beide auf dieselbe unbegründete Voraussetzung zurück.
Bei Durchsicht der europäischen Fachliteratur stellte Niemitz (S. 299 ff) überraschenderweise genau die Schwächen fest, die bei der Erforschung des Mittelalters hervorgetreten waren. Es gab eine in Deutschland an Eichen recht gut belegte Jahresabfolge von heute rückwärts bis etwa zum Jahr 1000, und dann nach einer offenen Stelle von mehreren Jahrhunderten eine römerzeitliche Abfolge, die zwar in sich auch einen geschlossenen Abschnitt darstellte, mit absoluten Jahreszahlen aber nicht belegt werden konnte, weil ihr der Anschluß an die gegen 1000 AD beginnende neuere Folge fehlte.
Für den zu überbrückenden Zeitraum lag zu wenig Material vor. Zu Zeiten Karls d.Gr. wurde offenbar kaum gebaut, auch Baumsärge gab es nicht genug. Man sprach auch von der »Völkerwanderungslücke«, nur über die genauen Grenzdaten war man sich noch im unklaren.
Zu diesem kritischen Zeitpunkt (1970), – sagt Niemitz (S. 304) in seiner Auswertung der Schriften Hollsteins, des seinerzeit führenden deutschen Dendrochronologen, – entdeckte man in einem Brunnen aus karolingischer Zeit Kanthölzer, die eine 339-jährige Kurve ergaben. Allerdings handelte es sich um Rotbuchenholz! Mit diesen wurden die auf Eichen erstellten Kurven der davor und danach liegenden Zeit verbunden. Das war ein Bruch in der wissenschaftlichen Methode, der dann auch Ergebnisse brachte, die stark in Zweifel gezogen wurden. Und ob die Datierung des Brunnens in die fragliche Zeit korrekt war, blieb ohnehin offen.
Die Zwangslage, in der Hollstein sich durch die Lücke befand, wurde eben erst richtig deutlich durch diesen Mißgriff, der einem Wissenschaftler nicht passieren sollte, sagt Niemitz.
Zehn Jahre später präsentierte Hollstein dann eine durchgehend auf Eichenproben gegründete Chronologie, die jedoch immer noch zwei Schwachstellen hat: »Für 380 müssen zwei Proben, für 720 vier Proben die Brücke schlagen.« (Niemitz S. 305). Genau das hatte Niemitz erwartet: extremen Mangel an Holz und zwei »Schummelstellen«. Die genauere Betrachtung der beiden Schwachstellen ergab dann, daß hier ungenügende Jahresringe vorliegen und die Proben nur durch historische Absicherung eingeordnet wurden.
Niemitz weist in diesem Zusammenhang auf Verdoppelungen hin, die 300 Jahre auseinander liegen. Auch das hatte er erwartet, wenn in der Geschichtsschreibung ein Zeitraum von drei Jahrhunderten aufgefüllt worden war: Wenn man den Zeitstrahl zerschneidet und dann mit Baumringkurven von beiden Seiten her die Lücke anzufüllen beginnt, müßten sich an den Randstellen Überlappungen gleicher Kurven ergeben, wenn ein Kritiker der Methode die beiden Enden zusammenfügt.
Die Weise, in der sich andere Dendrochronologen behalfen, ist genauso aufschlußreich: Man nahm Holzproben von weit über Nordwest-Europa verstreuten Orten, um vorhandene Ketten zu verbinden, und verwendete auch
14C-bestimmte Hölzer zum Schließen der Lücke. Dabei tauchte ein neues Problem auf: Im Frühmittelalter zeigte sich eine erhebliche Schwankung der 14C-Werte.
Auf einer Schautafel, die Niemitz (nach Becker 1981) abbildet, sieht man die Lücke optisch hervorragend: Ab dem Jahr 1000 rückwärts sind die Holzproben äußerst rar und steigen erst gegen 600 steil an, fallen dann um 500 erneut ab und werden in der Römerzeit wieder üppig. Die karolingische Lücke ist sehr groß, die völkerwanderungszeitliche reicht immerhin auch über 200 Jahre.
Für Ostfrankreich und für die mitteldeutschen Slawengebiete haben sich entsprechende Fehlerstellen herausgeschält. Die schriftlichen Quellen suggerieren völlig andere geschichtliche Zusammenhänge als die auf naturwissenschaftlicher Grundlage gewonnenen Daten. Um die Daten den »historischen« Quellen anzugleichen, mußten die naturwissenschaftlichen Ergebnisse entsprechend umgedeutet werden (Niemitz S. 309 ff).
Mit diesem Ausschnitt aus den Niemitzschen Untersuchungen des Forschungsstandes ist zwar kein Beweis für eine »Zeitlücke« geführt, aber ein unmißverständlicher Hinweis gegeben, daß hier mit der Chronologie etwas nicht stimmen kann.
Und vor allem ist wieder einmal deutlich geworden, daß eine der unabhängigen Methoden, auf die man sich bei der Suche nach einer Datierung verlorener Geschichtsereignisse stützen könnte, gerade an der fraglichen Stelle versagt, während sie für unser letztes Jahrtausend zuweilen verläßliche Ergebnisse liefert.
14C-Datierung und Baumringzählung, die sich ja gegenseitig korrigierten und beide an einer zweifelhaften Geschichtsschreibung vordatiert wurden, werden damit zu unbrauchbaren Werkzeugen der Chronologieforschung.

Abschnitt 4: Sind Eisschichten datierbar?

Wenn Schlamm- und Sandablagerungen (Warven) in stillen Seen und Wachstumsfolgen bei Baumstämmen (Baumringe) als Datierungshilfen herangezogen werden können, dann müßten auch die alljährlich rhythmisch wiederkehrenden Schneeschichten auf Gletschern in Grönland oder der Antarktis eine Möglichkeit bieten, Jahresfolgen zu erkennen. Man nimmt einfach an, daß die im Jahreslauf wachsenden und schwindenden Schneemengen einen entsprechenden »Jahresring« hinterlassen. Treibt man einen Bohrkern in einen Gletscher hinein, der aufgrund seiner Lage kaum fließen konnte, was auf Grönland mehrfach gegeben ist, dann müßte man an diesem Bohrkern die Geschichte der letzten Jahrhunderttausende ablesen können.
Heinsohn hat einen kurzen Bericht über diese Bemühungen veröffentlicht (ZS 4 – 1994), aus dem klar wird, daß hier mit denselben Denkfehlern vorgegangen wird, wie bei den anderen technischen Datierungsversuchen. Zwar konnte man einen beachtlich langen Bohrkern – 3 km – heraufholen, der für 200.000 bis 300.000 Jahre (!) bürgen sollte, mußte aber später erkennen, daß die angenommenen Faktoren etwas willkürlich verwendet worden waren. Gewiß: obenauf liegender Firnschnee nimmt pro Jahr einen großen Raum ein, und je tiefer man gelangt, desto dünner wird die Jahresdecke, denn mit dem zunehmenden Gewicht preßt sich der Schnee immer stärker zu Eis zusammen. In tiefen Schichten rechnete man einfach 1 mm pro Jahr, ohne noch die Abfolge zu zählen, denn Eis läßt sich nicht komprimieren. Bei einem Zeitraum von Jahrhunderttausenden sind damit die mehrfachen großen Schwankungen (»Eiszeiten«) offensichtlich nicht berücksichtigt. Die Uniformität des kosmischen Ablaufs und besonders der irdischen Perioden wird einfach vorausgesetzt, obgleich Geologen andererseits gerade mit starken Schwankungen vertraut sind. Das macht die Methode suspekt.
Doch folgen wir ihr weiter: Gewisse gut sichtbare Ereignisse im sonst einförmigen Ablauf der Eisschichten, wie zum Beispiel Vulkanausbrüche, deren Asche- oder Schwefelschicht deutlich erkennbar ist, werden historisch oder archäologisch datierten Ereignissen an die Seite gestellt, so daß man diese Schicht dann datieren kann und von ihr ausgehend einen Faktor für die abgelaufenen Jahre errechnet. Man nimmt also einfach an, ein im jahresmäßig vorausgeschätzten Bereich liegender Vulkanhorizont gehöre zu dem im Mittelmeer berühmten Ausbruch des Thera-Vulkans, und da dieser historisch auf 1650 v.Chr. festgelegt wurde (oder für Techniker lieber glatt -1500), muß die Eisschicht aus jenem Zeitraum stammen.
Daß isländische Vulkanausbrüche wegen ihrer Nähe zu Grönland dort viel größere Auswirkungen haben müßten als der einer winzigen Insel im Mittelmeer, macht diesen Technikern kaum zu schaffen; daß aber die Datierung des Thera-Ausbruchs auf 1650 v.Chr. nur eine der vielen möglichen historischen Hypothesen ist, durch gar zu viele Gegenargumente neuerdings arg ins Wanken geraten, davon nehmen diese Zeittechniker nicht einmal Notiz. Die gewonnenen Faktoren, hochgerechnet und auf andere Bohrkerne übertragen, werden wie ein in Paris geeichter Meterstock angelegt.
Heinsohn hat in seinem Artikel ein hübsches Beispiel für die Auswirkung dieser naiven Technik gegeben: Für ein im 2. Weltkrieg über Grönland abgestürztes amerikanisches Flugzeug, das man wieder aus dem Eis heraufholen wollte, wurde von den Eisspezialisten eine Tiefe von 12 m vorausgesagt. Die Kosten des Unternehmens wurden aber sichtlich größer, als man das Flugzeug endlich in 78 m Tiefe ortete. Es handelt sich nicht nur um einen Fehler mit dem Faktor 6, sondern auch um einen methodischen Fehler: Nicht die Jahre sind als Schneelagen erkennbar, sondern die einzelnen Schneefälle. Und diese unterliegen großen Schwankungen.
Obgleich sich die Forscher besonders über das letzte Phänomen vor Ort selbst informieren konnten, hat ein internationales Wissenschaftlerteam unter Verwendung der nun einmal erstellten Meßlatte eine anspruchsvolle Untersuchung in Science (272, 1994) veröffentlicht, mit der uns Paul C. Martin in einem kritischen Artikel (ZS 2–1996) bekannt macht. Man hatte den Gehalt an Kupferablagerungen in dem vorhin erwähnten 3 km tiefen Bohrkern von Grönland untersucht und an Hand der festgestellten Häufigkeitswerte Kurven gezeichnet, die ganz auffällige Spitzen und Täler aufweisen. Diese konnte man nun mit der vorhandenen Jahresschichtenskala gewissen weltweiten oder mittelmeerischen Ereignissen gleichsetzen, also den langsamen Anstieg der Kupferspuren mit dem Beginn der Bronzezeit um 3.000 v.Chr., den stärkeren Anteil an Kupfer mit dem Beginn des Geldumlaufs um 500 v.Chr., eine besonders hohe Spitze von Kupferausfall kurz nach der Zeitenwende als Inflation des späten Rom, eine ähnliche als chinesische Hochproduktion in der Sung-Zeit (ab 950 AD), und dann den unaufhaltsamen Aufstieg mit der industriellen Revolution in Mitteleuropa (1850). Liest man die vier Namen der Veröffentlicher, erkennt man auch gleich die Höhepunkte wieder: zwei Autorennamen klingen französisch und einer chinesisch. Sie brachten also ihre nationalbedingt enge Geschichtsschau in die Ergebnisse mit ein.
Die wahrscheinlich weltweit gleichzeitig einsetzende Bronzezeit mit ihrer plötzlichen Kupferförderung könnte natürlich auch im Grönlandeis Spuren hinterlassen haben, aber wiederum liegen über den Zeitpunkt die unterschiedlichsten Meinungen vor, von Radiokarbondaten um 7.000 v.Chr. über die »klassischen« Daten (2.250 v.Chr.) bis zu den modernen der Autoren Heinsohn und Illig (-1000 bis -700) wird alles vertreten. Die Kupfergeld-Inflation der Römer oder Chinesen für einen in den Kurven wirklich enorm starken Anstieg verantwortlich zu machen, scheint mir geradezu aberwitzig. Martin diskutiert jedoch ernsthaft alle Möglichkeiten und widerlegt mit nüchternen Zahlen derartige Annahmen. Er weist auch darauf hin, daß im Hauptgebiet der römischen Kupferförderung, nämlich auf der Iberischen Halbinsel, stetige Westwinde wehen, die dann die mit Kupfer angereicherte Luft einmal ganz um den Erdball treiben müßten, bevor sich die Reste im Grönlandeis ablagern können.
Martin bemerkt dann weiter, daß weder die antike Münzproduktion noch die moderne Technisierung, sondern die beginnende Verwendung von Kupfer für Geschütze ab der Renaissance für einen krassen Anstieg verantwortlich zu machen sei. Legt man die aus dem Versuch der Flugzeugbergung gewonnenen Daten zu Grunde, dann dürfte eine der 500m- Proben, die für die Jahre 1000 v.Chr. bis 1500 n.Chr. stehen soll (also für 2500 Jahre), eher für die Jahre 1458 bis 1884 n. Chr. gelten (für 426 Jahre), die Spitze mithin genau diesen gesteigerten militärischen Einsatz von Kupfer anzeigen. Martin schließt mit den Worten:
»Insgesamt ist der Science-Artikel doppelt unwissenschaftlich. Zum einen akzeptiert er unkritisch die phantastisch verlängerten Eiskerndatierungen, zum anderen versucht er allen Ernstes, anhand dieser Pseudo-Daten einen genaueren Überblick bis zur industriellen Revolution und bis zur Gegenwart zu gewinnen.«
So ist wiederum herausgekommen, daß mit derartig unwissenschaftlichen Methoden, bei denen von vorgefertigten geisteswissenschaftlichen Maßstäben ausgegangen wird, nie eine unabhängige Antwort auf die brennende Frage nach der abgelaufenen Zeit gefunden werden kann.

INHALT DES GANZEN BUCHS

Vorwort


Programm


Kapitel 1: Die zerbrochene Jahreszählung


Abschnitt 1: Seit Erschaffung der Welt
Abschnitt 2: Beginn der christlichen Jahreszählung: Regino von Prüm
Abschnitt 3: Die spanische ERA
Abschnitt 4: Das magische Jahr Tausendeins
Abschnitt 5: So wird eine Epoche geschaffen
Abschnitt 6: Die Entlarvung der spanischen ERA
Abschnitt 7: Der geniale Regiomontanus

Kapitel 2: Ist eine absolute Chronologie möglich?

Abschnitt 1: Warven, Ablagerungsschichten in schwedischen Seen
Abschnitt 2: Die Radiokarbonmethode verändert unser Geschichtsbild
Abschnitt 3: Ist die Karbonbestimmung wissenschaftlich?
Abschnitt 4: Sind Eisschichten datierbar?

Kapitel 3: Die Präzession als Zeitmaßstab

Abschnitt 1: Die Wanderung des Frühlingspunktes als Zeitberechnungsfaktor
Abschnitt 2: Wer schrieb das Almagest?
Abschnitt 3: Die neue Lösung: Der Zeitabstand stimmt nicht
Abschnitt 4: Finsternisse im Mittelalter
Abschnitt 5: Resignation?

Kapitel 4: Der Hebel von außen

Abschnitt 1: Die Frankengeschichte des Persers Raschid
Abschnitt 2: Das heidnische Königsbuch der Perser
Abschnitt 3: Der Sieger Mahmud
Abschnitt 4: Die Eroberer Indiens und ihre Zeitzählung
Abschnitt 5: Der Streit der Parsen in Indien
Abschnitt 6: Die Randgebiete Japan und Tibet
Abschnitt 7: Rom in China
Abschnitt 8: Chinesische Astronomie
Abschnitt 9: Geschichtsschreibung der Tang-Dynastie

Kapitel 5: Ausbreitung des Islam

Abschnitt 1: Im Kernland des Islam
Abschnitt 2: Verschiebung zweier Zeitskalen
Abschnitt 3: König Geiserich, der Eiferer
Abschnitt 4: Die rätselhaften Imasiren
Abschnitt 5: Gleichsetzung
Abschnitt 6: Der purpurgeborene Kaiser von Byzanz
Abschnitt 7: Wikinger oder die Emporien des Nordens
Abschnitt 8: Die Geburt des Fegefeuers
Abschnitt 9: Der Zeitsprung der Siebenschläfer

Kapitel 6: Wann entstand unsere Bibel?

Abschnitt 1: Das Alte Testament
Abschnitt 2: Neues Testament
Abschnitt 3: Mysterienspiele
Abschnitt 4: Annäherung
Abschnitt 5: Die Texte

Kapitel 7: Die Werkstatt der Humanisten

Abschnitt 1: »Renaissance«
Abschnitt 2: Roswitha von Gandersheim, die deutsche Nonne
Abschnitt 3: Der erotische Esel des Apuleius
Abschnitt 4: Tacitus und seine Germania
Abschnitt 5: Marc Aurel, der christliche Kaiser
Abschnitt 6: Die großen Fälscher
Abschnitt 7: Der Fundamentalist Erasmus von Rotterdam
Abschnitt 8: Die fabulöse Geschichte des Higuera

Kapitel 8: Bereinigung

Abschnitt 1: »Le dénicheur de saints«
Abschnitt 2: Harduinus
Abschnitt 3: Der Jesuit Germon
Abschnitt 4: Die Bollandisten
Abschnitt 5: Neue Ansätze in unserer Zeit
Abschnitt 6: Der Sprachforscher Baldauf
Abschnitt 7: Kammeiers Begriff der »Großen Aktion«

Kapitel 9: Chronologenprobleme

Abschnitt 1: Chronologiearbeit
Abschnitt 2: Weitere Gesichtspunkte zur Geschichtsrekonstruktion
Abschnitt 3: Vorwärtsstrategien?

Neue Aufgaben

Literatur


Stichwortverzeichnis


Uwe Topper als Katastrophist