Uwe Topper

Betrachtungen zu Ibn Battuta

Kann man den arabischen und anderen moslemischen historischen Quellen blind trauen?



Da uns der "letzte große Ruck" um 1350 fasziniert, suchen wir in den arabischen Texte nach Hinweisen. Darum habe ich Ibn Battuta angezapft, den großen Reisenden, der ein Vierteljahrhundert unterwegs war in Asien und Afrika und gerade in dem fraglichen Zeitraum am Leben war. Leider habe ich auf meinem Regal nur eine Jugendausgabe von einem gewissen H. D. Leicht (Knaur 1974), und die ist arg zurechtgekürzt. Die einzelnen Stücke dürften aber korrekt sein.

Zunächst einige Daten aus der Enzyklopädie des Islam:

Schams udDin Ibn Battuta ist 703 H (=1304) in Tanger geboren und 779 H (=1377) in Marokko gestorben. Er genoß überall großes Ansehen als Gelehrter und vierfacher Mekkapilger, war Richter usw...

Im Jahr 725 H (=1325) begann er seine große Reise, besuchte 732 (1332) auch Konstantinopel und erhielt Audienz beim Kaiser und kehrte nach langen Reisen durch Zentralasien, Indien und China erst im Schaban 750 H wieder nach Fes zurück. 754 H diktierte er dort auf Anregung des Meriniden-Sultans Abu Inan (ein überaus gelehrter Mensch) dem Dichter Mohammed ben Mohammed Djuzay (gest. 757 H = 1356) seinen Reisebericht.

Die mir vorliegenden Stücke in deutscher Übersetzung haben mich aber stellenweise sehr stutzig gemacht. So schreibt er, die von den Heiden erbaute Altstadt Delhi sei im Jahre 584 H von den Muslimen erobert worden. Der Übersetzer gibt als AD Jahr 1188/89 an, was nach dem Umrechnungskalender korrekt ist. "Tatsächlich" wurde Delhi schon viel eher erobert, nämlich von Mahmud Ghaznawi 1011 AD. Im Jahre 1193 wurde es abermals von Afghanen erobert, nämlich durch Mohammed von Ghor. Seit Kutb-ud-Din Ali Beg ist Delhi Hauptstadt des Sultanats. Ibn Battuta lebte jahrelang am Hof des afghanischen Sultans und hätte die korrekte Jahreszahl der Eroberung wissen müssen.

Der Sultan hält täglich Hof - und Ibn Battuta war häufig anwesend, wie er betont - im Saal der Tausend Säulen (Hazar Ustun), die eine bemalte Holzdecke tragen. Außer den vielen hundert Dienern, Leibwächtern, Würdenträgern, Richtern und Gesandten werden jedesmal 60 Reitpferde in den Saal geführt und so aufgestellt, daß der Sultan sie alle sehen kann, dazu 50 Elefanten, die alle an der Sitzung teilnehmen. Ibn Battuta schwört Stein und Bein (bzw. bei Allah, dem Propheten usw.), daß er alles so wirklich gesehen habe. Dann erzählt er eine Anekdote von einem Schihab ud-Din, den schon Kut ud-Din hochgeschätzt hätte (der Mann war aber schon gute 100 Jahre tot).

Ibn Battuta gelangte nach langen wirren Fahrten endlich nach Chan Baligh (= Peking, das Ziel seiner Mission) und an den Kaiserhof, im Jahre 1346. Dort erlebte er Aufstand und Kriegsgetümmel, schließlich die prachtvolle Beisetzung des im Krieg gefallenen Kaisers. Schünti Chan regierte aber von 1333 bis 1367, starb also erst 21 Jahre nach Ibn Battutas Besuch dort.

In Meschhed besucht Ibn Battuta das überaus prächtige Grab - man staune - von Harun er Raschid!, dem man beim ehrfürchtigen Segensgebet (Ziyara) einen Fußtritt verabreichen muß. In Wirklichkeit handelt es sich um das Grab von Imam Reza (ich weiß es aus eigener Anschauung) und das Grab von Harun liegt in Tus.

Ein schönes Durcheinander!

Irren ist menschlich, aber was sollen dann diese Berichte?

Natürlich kann man behaupten, es sei der Dichter Djuzay gewesen, der die dürftigen Reisenotizen des Ibn Battuta mit Phantasieberichten aufgefüllt habe. Der hat dafür auch kräftig bei Ibn Djubayr abgeschrieben, was ja damals Mode war (auch El-Makrizi und zahlreiche andere berühmte Chronisten haben diese erste Rihla ausgewertet). Ibn Djubayr lebte von 1145 bis 1217, sein Bericht seiner ersten Reise (1183-1185), die berühmte Rihla, ist der erste Reisebericht in arabischer Sprache!

Dann ist aber Ibn Battutas Reisebreicht, der ja vielen neuzeitlichen Forschungen über das damalige Asien und Nordafrika zugrundeliegt, eine Novellensammlung und eventuell schlechter als die von Marco Polo. Und die ist schon haarsträubend verzerrt.

Wer aus solchen Büchern Rückschlüsse zieht, ist selbst schuld, und bessere gibt es nicht aus jener Zeit.

Oder folgende Überlegung:

Der berühmte Nationalheld der frühen Türkei, Saiyid Battal Ghazi, der südlich von Eskischehir in einer Tekke begraben liegt und verehrt wird, fiel (nach Tabaris "Geschichtswerk") im Jahre 122 H (= 740) im Kampf gegen die byzantinischen Christen. Später wurde er allerdings durch arabische Chronisten in eine andere Zeit verschoben, man nimmt heute an, daß er "um 1000" lebte (was mir auch sinnvoller scheint, denn er dürfte Seldschuke gewesen sein).

Gut, aber was machen wir dann mit Tabari, dessen Schriften ja den Grundstock unserer Kenntnis des frühen Islam bilden ?